Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens - Helmut Lauschke


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er jedoch nur zwei, die gesättigt an der Wand saßen, erschlagen, mit dem Ergebnis, dass er die roten Fleckmarken neben den geplätteten Hochbeinern als sein Blut identifizierte. Malaria hatte er bislang nicht gehabt, auch wenn es sie endemisch in Deutschland gab. Er ging in die Küche, füllte ein Glas mit Leitungswasser und spülte eine Quinintablette herunter. Er ging ins Wohnzimmer, löschte die noch brennenden Lichter aus und legte das vierte Brandenburgische Konzert auf den Plattenteller. Die Nadel des Tonarms knirschte durch die Rillen, so dass er noch einmal kräftig über die Platte pustete, um den Asbeststaub wegzublasen. Der Traum hatte ihn so mitgenommen, dass er noch müde war und sich geschwächt fühlte. Er ging in die Küche, tat zwei gehäufte Teelöffel vom Instantkaffee in eine übergroße Tasse, gab zwei Löffel Zucker hinzu und goss kochendes Wasser fast bis zum Rand darüber, so dass es beim Umrühren und Hineintragen in den Wohnraum kleckerte. Dr. Ferdinand lehnte sich in dem Polsterstuhl mit den zahlreichen Flecken zurück und genoss mit der ersten Morgenzigarette die musikalische Ansprache des Stuttgarter Kammerorchesters unter seinem Dirigenten Karl Münchinger. Das Zuhören sollte ihm helfen, dass Ordnung in die Dinge käme, damit er ein neues Leben beginnen konnte. Er schaute durchs Fenster und sah, wie dunkel gekleidete Männer und Frauen mit der Bibel in der Hand oder unterm Arm vom Gottesdienst zurückkamen, wobei die Männer ernste Gesichter hatten und ihre Frauen belehrten, die Frauen ihren Männern zuhörten und dabei keine Miene verzogen. Vor dem Haus hielt ein Toyota-Kleinbus, und ein etwas untersetzter, dicklicher Mann in den Enddreißigern mit braunem, schütteren Haar auf einem rundlichen Burenkopf schob die Passagiertür nach hinten auf, aus der drei Jungen im Alter von fünf bis zehn Jahren in weißen Hemden und Sonntagshosen sprangen, während die Frau und Mutter, jünger, kürzer und schlanker als der Burenmann, die linke Fronttür sanft ins Schloss fallen ließ. Der Mann sprach zu den Kindern, hob den Torriegel an der Einfahrt aus dem Schloss, schob das Tor auf, ließ es offen stehen, und führte Frau und Kinder im Gänsemarsch über die kleinen, quadratischen Betonplatten, die in einer Linkskurve zum Hauseingang führten, dessen Türen offen standen. Nach zweimaligem Klopfen traten sie ein, gerade als Dr. Ferdinand die Zigarette auf einer Untertasse ausdrückte. Der Mann grüßte in Afrikaans, wiederholte den Gruß aber auf Englisch, als er Verständigungsprobleme ahnte. Er stellte sich mit Thys C. vor und nannte die Namen seiner Kinder, indem er zur Verdeutlichung seine rechte Hand auf den Kopf jenes Jungen legte, dessen Namen er gerade nannte. Seine Frau hieß Laura. Auch die Eltern trugen Sonntagskleidung, die Frau eine weiße Bluse und einen erdbraunen Rock, der bis zur Unterschenkelmitte reichte, der Mann einen dunklen Anzug mit dunkelbrauner Krawatte über einem weißen Hemd. Herrn C. stand die Röte des erhöhten Blutdrucks im Gesicht. Er sagte, dass die Sonntagsschule diesmal länger gedauert hatte. Auch hätten die Leute nach dem Gottesdienst länger zusammengestanden, um ihre Sorgen über die zunehmende Unsicherheit nach dem Granatenbeschuss der letzten Nacht auszutauschen. Erfreulicherweise sei bis auf eingedrückte Fensterscheiben kein Wohnhaus ernstlich getroffen worden. Lediglich an einem Haus hatte die Druckwelle das Dach abgehoben. Die Menschen machten sich ernsthafte Sorgen. So hätte die Gemeinde, die die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt hatte, um den Schutz ihrer Familien gebetet. „Es liegt in Gottes Hand, denn er hat die Macht, uns und unsere Kinder zu beschützen“, sagte Herr C. mit dem religiösen Brustton der felsenfesten Überzeugung. Die Buren hätten in ihrer dreihundertjährigen Geschichte schon viel gelitten, aber durch Fleiß und Standfestigkeit auch viel erreicht. Sie hätten von Beginn an fest zu ihrem Christentum gestanden. Dr. Ferdinand stellte Gläser auf den Tisch, die er mit kaltem Wasser füllte, da die Cocabüchsen geleert und andere „Drinks“ nicht vorhanden waren. Das letzte „Guinness“ ließ er in der Annahme im Eisschrank stehen, dass der „Boer“, der fest zu seinem Christentum stand, um diese Uhrzeit keinen Alkohol zu sich nimmt, selbst in der wenig konzentrierten Form des Bieres nicht. Herr C. begann aus der Geschichte des Burenvolkes zu erzählen. Das tat er mit Stolz und der Überzeugung, dass diesem Volk ein besonders starker Wille eingegeben sei. „Wie sonst“, fragte er, „hätten sie die Burenkriege, die hohen Verluste, die Armut und den Hunger letztendlich überstehen können?“ Er beantwortete die Frage gleich selbst: „Weil sie den starken Willen zum Überleben hatten.“

      Der Zusammenhalt und die Nachbarschaftshilfe seien bei den Buren stark ausgeprägt, deren Wurzeln bis zu den ersten Siedlern, die aus Europa kamen, zurückreichen. Dr. Ferdinand erhielt die erste Lektion über die Geschichte und Bräuche des Burenvolkes, die er teils akzeptierte und teils mit einem Fragezeichen versah, wenn er sich die leidenden Menschen mit schwarzer Hautfarbe vor Augen führte, denen die Buren keine Nachbarn sein und ihnen die Nachbarschaftshilfe nicht geben wollten. Ihm fiel die „Trekker“-Geschichte mit der Wagenburg-Mentalität ein. Die Buren waren bis auf den Tag ein Volk für sich, sie schirmten sich gegen andere ab und grenzten andere aus. Das erklärte ihm, warum die Buren keinem Schwarzen in ihrem Dorf ein Wohnrecht zuerkannten, wohl wissend, dass das Land den schwarzen Vätern und Vorvätern gehörte, die hier geboren waren. Auf der anderen Seite derselben Münze stand die Forderung der Weißen nach schwarzen Arbeitskräften, die für die „Herrenrasse“ für Spottlöhne zu arbeiten hatten. Mit Sonnenaufgang kamen schwarze Männer und Frauen zu den Häusern der Weißen, um die Wohnungen zu säubern, auf die Kinder aufzupassen, die warmen Mahlzeiten zu kochen, in den Gärten Unkraut zu jäten, die Pflanzen zu bewässern, mit dem Rechen den Sand vor dem Haus gleichmäßig zu verstreichen und die Autos zu waschen. Noch vor Sonnenuntergang mussten sie das Dorf verlassen und eine der zwei Kontrollstellen passieren, wo sie ein handgeschriebenes Papier des „Baas“ (Boss, Meister, Herr des Hauses) vorzuzeigen hatten, dass sie im Haus oder im Garten arbeiteten. Nur dieses Papier berechtigte die Schwarzen, das Dorf „For Whites Only“ nach Sonnenaufgang zu betreten und vor Sonnenuntergang zu verlassen. Vor dem Durchgang neben der Sperrschranke wurde kontrolliert wie beim Grenzübergang von einem Land zum andern. Die Schwarzen hatten ihre Plastiktüten vor dem Wachhabenden zu öffnen, damit dieser reinschauen und mit seinen Fingern darin rumwühlen konnte. Oft schüttete er den Tüteninhalt auf dem Kontrolltisch aus, um sich persönlich von den schwarzen Armseligkeiten zu überzeugen. Dort am „Grenzübergang“ mussten sich die Schwarzen die Leibesvisitation durch weiße Wachsoldaten gefallen lassen. „Die Situation“, fuhr Herr C. fort, „hat sich in den letzten Wochen deutlich verschlechtert, da die Aktivitäten der SWAPO ständig zunehmen und ihre Leute die Bevölkerung immer mehr mit ihren Kampfparolen aufhetzen. Dort bekommen sie Unterschlupf und Verpflegung. Es ist deshalb unvermeidlich, dass die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt werden.“ Dr. Ferdinand hielt sich die primitiven Granatbunker vor Augen, diese gemauerten Kästen von der Größe großer Hundehütten, die sich unter Sandsäcken neben jedem Haus verbargen und von denen nur die Ein- und Auskriechluken zu sehen waren, welche die Hunde zum Schlafen benutzten. Dass es seit Langem eine UN-Resolution 435 gab, das erwähnte Herr C. nicht, als entspräche diese Resolution nicht dem Buren-Konzept von Gegenwart und Zukunft mit dem gleichen Anspruch aller Menschen auf Frieden, Freiheit, Achtung und menschliche Würde. Dr. Ferdinand tat gut daran, sich aufs Zuhören zu konzentrieren. So konnte sich Herr C. aussprechen, während die Kinder sich vor dem Haus vergnügten. Seine Ausführungen, die unter der Überschrift „Ansichten eines Buren über Gegenwart und Gesellschaft“ stehen konnten, wurden gegen zwölf Uhr unterbrochen, als Dr. Witthuhn in seinem zu kurzen Morgenmantel erschien, der noch schiefer hing als in der vergangenen Nacht und wegen der Bauchfülle die Vorderansicht der Unterhose freigab, wobei die männlichen Geschlechtsteile noch verdeckt blieben. Mit verschlafenem Gesicht, geröteten Augen und einem Anflug des Gähnens begrüßte er Herrn C., dessen Frau und die Kinder, als diese hereinstürzten, weil sie seine sonore Bassstimme draußen gehört hatten. Sie gaben ihm die Hand zur Begrüßung, konnten dabei das Missverhältnis von Bademantel und Körperfülle nicht übersehen und rannten wieder heraus, wo sie sich wegen dieser Unstimmigkeit vor Lachen ausschütteten. „Ich mache erst einmal einen Kaffee.“ Dr. Witthuhn ging in die Küche, legte einen neuen Papierfilter in die Kaffeemaschine, verschüttete von den hoch gehäuften Löffeln einen Teil, füllte den Behälter bis zum Rand mit Leitungswasser, in dem kleine Flocken auf und ab wirbelten, und stellte die Kaffeemaschine an, die vor braunen Flecken strotzte. Er kam mit einem Tablett zurück und stellte es mit Tassen, Teelöffeln, Milchkännchen ohne Henkel und der angekatschten Zuckerdose auf die Glasplatte des Klubtisches. Er nahm seinen Platz auf der zweisitzigen Couch neben Herrn C. ein, ließ sich ins Polster sinken und zog die Zipfel des Bademantels über seine Schenkel, während in der Küche die Kaffeemaschine röchelte und ein anregendes Aroma bis in den Wohnraum


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