Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.von Menschen, die ihre verantwortlichen Positionen missbrauchten und ihre Augen mit den Blicken der Gefälligkeit in Richtung Pretoria wandten und vor den dringendsten Notwendigkeiten im Norden verschlossen. Es war an einem Mittwochmorgen in der ersten Januarwoche, als Dr. Witthuhn den deutschen Kollegen offiziell den Ärzten vorstellte. Während der schwarze Kollege, Dr. Nestor, und seine zwei Kolleginnen, Dr. Ruth und Dr. Teopolina, ein Lächeln der Erleichterung erkennen ließen, verzogen die uniformierten Ärzte, die das zusammengefaltete Barett unter die rechte Epaulette geschoben hatten, keine Miene. Ihre Gesichter bekamen lediglich, bis auf einige Ausnahmen, Züge der Nachdenklichkeit, Neugierde und der frühesten Abwehr. Als Dr. Witthuhn erwähnte, dass Dr. Ferdinand ein Spezialist der Chirurgie sei und zuständig sein werde für die Leitung der chirurgischen und orthopädischen Männer-, Frauen- und Kinderstationen, verspannten einige Militärärzte ihre Gesichter, die sich durch einen Nichtafrikaner um ihren Status beraubt oder zurückgesetzt fühlten. Es war der dunkelhaarige Dr. Daryll Hutman, dem das Gesicht rot anlief, der finster blickte und aus dessen dunklen Augen Hassflammen sprühten. Es war unverkennbar, dass er einen deutschen Kollegen neben und über sich nicht dulden und die Erklärung des Superintendenten nicht akzeptieren würde. Dann schoss er los: „Haben Sie denn schon eine Arbeitserlaubnis aus Pretoria? Werden Sie denn hier als Spezialist überhaupt anerkannt?“ Diese und weitere Fragen richtete er, als die Wutröte der Zornesblässe wich, als ein unverträglicher Karrieremacher an Dr. Ferdinand und den Superintendenten. Die anderen Kollegen begriffen, dass sich hinter den Fragen eine abgrundtiefe Feindschaft verbarg. So schwiegen sie aus Gründen des Anstands. Dr. Witthuhn atmete hörbar und erwiderte, dass der Antrag auf Arbeitsbewilligung bereits in Pretoria sei und mit einer positiven Entscheidung innerhalb einer Woche zu rechnen sei. Der junge Leutnant gab nicht auf. Da platzte dem Superintendenten der Kragen: „Zähmen Sie ihre Zunge, schließlich sind Sie noch in der Ausbildung und Dr. Ferdinand ist ein ausgewachsener Chirurg, der mit reichen Erfahrungen gekommen ist, um unseren Patienten zu helfen.“ Dr. Hutman schlug das rechte Bein über das linke und schwieg mit dem aschfahlen Gesicht des Zorns. Seine Augen schworen dem deutschen Kollegen Feindschaft. Dr. Ferdinand begriff, dass die Arbeit in diesem Hospital schwierig werden würde. Das Ausmaß der Probleme hatte er allerdings unterschätzt, und das in der Annahme, dass die Not der Menschen hier, wo der Krieg eskalierte, Ärzte dringend erforderlich machte. Dr. Witthuhn saß als Superintendent mit seiner Entscheidung auf einem Stuhl, an dessen Beinen bereits gesägt wurde. So trafen sich die uniformierten Jungärzte nicht nur mit dem ärztlichen Direktor, sondern auch mit dem Regimentskommandeur, um ihre Haltung gegen einen deutschen Arzt, der ihnen übergeordnet werden sollte, zu bekräftigen. Es fanden entsprechende Telefonate mit dem Superintendenten statt, die durchaus als eine Frühwarnung zu verstehen waren, doch Dr. Witthuhn ließ sich weder vom Kommandeur noch vom Sekretär der „Administration for Ovambos“ von seiner Entscheidung abbringen. Das Hospital sollte für die Zivilbevölkerung offen gehalten werden und ein Chirurg wurde dringend gebraucht. Es sollte patientenfreundlicher werden, und das war nur mit Zivilärzten zu schaffen. Dass Dr. Witthuhn als Arzt auch ein Patriot war, weil er sich für die Menschen in Not bedingungslos einsetzte und für sie kämpfte, ist ihm eigentlich nie gedankt worden; im Gegenteil, seine Achtung vor den Menschen und seine Hilfsbereitschaft gegenüber der leidenden Bevölkerung sollte ihm binnen Jahresfrist die Stellung als Superintendent kosten.
Die „theatre list“ (Operationsliste) der chirurgischen und orthopädischen Operationen, für die Dr. Hutman verantwortlich war, war so angelegt, dass der Montag für ausgiebige Saalrunden frei gehalten wurde, um die Diagnostik der Patienten, die über das Wochenende aufgenommen worden waren, abzuschließen. Jede operative Station hatte ihren speziellen Tag zur Ausführung der Operationen; so waren der Dienstag und Freitag reserviert für die Männerstationen, der Mittwoch und Donnerstag für die Frauen- und Kinderstation. Die Stationsärzte schrieben Namen und Diagnose des jeweiligen Patienten auf ein Papier, das Dr. Hutman in Empfang nahm und daraus das Operationsprogramm zusammenstellte. Ein Durchschlag dieser Liste ging an den Superintendenten des Hospitals, ein weiterer an den ärztlichen Direktor. Je ein Jungarzt mit dem Barett unter den Schulterklappen kam auf eine der Stationen; es waren jedoch zwei, die für die chirurgischen Stationen verantwortlich waren, von denen der maßgebende Dr. Hutman war. Dieser stand am Beginn der Spezialisierung, die an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg erfolgte, wenn auch sein Mund wie der eines fertigen Chirurgen sprach. Lediglich der gynäkologische Saal und der Kreißsaal standen unter der Leitung der fleißigen und menschlich sympathischen Dr. Ruth, die ein großes Pensum meist ohne Hilfe zu bewältigen hatte. Sie sprach die Sprache der Menschen und verstand am besten die Nöte der Frauen und Mütter mit allen Aspekten des täglichen Lebens. Ihr wurde einer der jungen Militärärzte zugeteilt. Wie sich herausstellte, war dieser noch ein Student, der an der UCT gerade den vorklinischen Abschnitt seines Studiums erfolgreich abgeschlossen hatte. Er war ein ungewöhnlich freundlicher und gebildeter Mensch, der mit den Merkmalen des Charismas und der Fähigkeit des geduldigen Zuhörens versehen war. Sein Name war Jakobus Burger. Er absolvierte hier das erste klinische Praktikum während seines Militärdienstes in der südafrikanischen Streitmacht.
Es war ein Donnerstag. Die Morgenbesprechung dauerte länger. Wieder saß Dr. Ferdinand zwischen den schwarzen Kollegen und den uniformierten Jungärzten. Mühsam mahlten die Mühlen an den Stolpersteinen in der alltäglichen Arbeit. Die Probleme waren dieselben wie gestern. Die Säle waren hoffnungslos überbelegt, die Wundinfektionen nahmen kritische Ausmaße an, es fehlte an den einfachsten Antibiotika der ersten und zweiten Generation und die Tuberkulosepatienten spuckten sich vor dem Saaleingang aus, da es an Spucknäpfen fehlte. Die Reinigung mit antiseptischer Lösung lag im Argen, die Toiletten in einigen Sälen waren extrem verschmutzt und verstopft, da die Wasserspülung nicht funktionierte. „Ein penetranter Uringeruch schlägt den Patienten und Besuchern beim Betreten des Hospitalgeländes entgegen, das ist eine unmögliche Situation“, beklagte die Hauptmatrone, Antje P. Die Ursache des Gestanks waren die vielen Menschen, die wegen der Sperrstunden nicht nach Hause konnten, auf dem Vorplatz übernachteten und die dortige Toilette benutzten, die meist verstopft war. Es wurde angeordnet, den Vorplatz jeden Morgen abzuspritzen und die Toilette täglich zu säubern. In verständlicher Sprache sollte der Superintendent eine Anweisung für die Toilettenbenutzer zur Sauberhaltung dieser Einrichtung verfassen, die gut sichtbar am Toiletteneingang angebracht werden sollte. Dann hob Dr. Hutman mit dem Gesicht der Wichtigkeit die linke Hand. In einem längeren Monolog zeichnete er Bilder des Chaos in den chirurgischen Krankensälen als auch der kritischen Situation im „theatre“. „Die Patienten werden unzureichend versorgt, sie erhalten nicht zu den angegebenen Zeiten die angeordneten Medikamente, die Räume sind verschmutzt, die Fenster verschmiert und das Glas an vielen Fenstern ist eingeschlagen, eine ordnungsgemäße Übergabe zur nächsten Schicht findet nicht statt, um einige Punkte zu nennen.“ Zur Situation im „theatre“ klagte Dr. Hutman, dass der Operationstisch nicht richtig arbeite, die Hydraulik ab einer gewissen Höhe klemme und zudem völlig veraltet sei, dass viele Instrumente schrottreif seien, die Scheren nicht schnitten, die Klemmen nicht klemmten und die Pinzetten nicht fassten. Manche Instrumente seien so abgenutzt, dass sie beim Gebrauch auseinander brechen würden. Letzteres brachte bei den Zuhörern ein befreiendes Lachen hervor, wenn es auch jedem klar war, dass die Arbeit an den Patienten mit schier unlösbaren Problemen verbunden war. Dr. Witthuhn gab Weisung, dass die Matronen für eine ordnungsgemäße Übergabe der Patienten beim Schichtwechsel des Pflegepersonals sorgen sollten, dass die Fenster geputzt, die zerbrochenen Scheiben ersetzt und die Patientensäle mit den Toiletten täglich gereinigt werden. Bezüglich der klemmenden Hydraulik am Operationstisch und der schrottreifen Instrumente machte er nur vorsichtige Vorhersagen. Er konnte jedoch glaubhaft machen, dass ein neuer Operationstisch und neue Instrumente seit über einem Jahr von der „Administration for Ovambos“ angefordert wurden. Die Dringlichkeit sei dem „Sekretaris“ bekannt, und er habe die Unterstützung zugesagt. „Mehr kann ich von hier aus nicht tun.“ So endete die Morgenbesprechung mit dem Wissen um die totale Abhängigkeit vom „Sekretaris“ und seiner Bantu-Administration und die Notwendigkeit zur Improvisation, um mit den verfügbaren Mitteln den Hospitalbetrieb aufrecht zu halten. Es war ein Wissen, der Not begegnen zu müssen, entgegen der hinter vorgehaltener Hand getriebenen politischen Intrigen und Machenschaften in der Zone des Krieges.
Vom ersten Tag an redeten sich Dr. Leon Witthuhn und der deutsche Kollege mit den Vornamen an, wenn sie unter sich waren. „Bleib noch