Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens. Helmut Lauschke

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Namibia - Von der Weite der Landschaft zur Enge des Denkens - Helmut Lauschke


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sich wichtig, der Sohn wohlhabender jüdischer Eltern aus Johannesburg, der an der Wits-Universität in der Mitte seiner chirurgischen Facharztausbildung stand. Seine Funktion am Oshakati Hospital ragte heraus, da die anderen uniformtragenden Kollegen ausbildungsmäßig jünger waren. Unter ihnen beobachtete Dr. Ferdinand einige, die dem herausragenden Kollegen beim Zuhören ein devotes Verhalten entgegenbrachten, während bei anderen ein leichtes Grinsen über das Zuviel seiner Selbstgefälligkeit nicht zu verkennen war. Auf die Frage, welche Methode die sicherste bei der Entfernung der Gallenblase sei, setzte Dr. Hutman zu einem längeren Monolog an, der allerdings mit dem chirurgischen Textbuch nicht immer übereinstimmte. Das zentrale Problem dabei war das rechtzeitige Auffinden der Gefäße am Gallenblasenhals und ihre Unterbindung und Durchtrennung. Die Einwände von Dr. Ferdinand aufgrund seiner Erfahrungen entkräftete Dr. Hutman mit der linken Hand und der Bemerkung, dass das nach den neuesten Erkenntnissen doch obsolet sei. Erst Wochen später stellte sich heraus, dass Dr. Hutman nicht nur den Buchtext falsch verstanden hatte, sondern dass er das Kapitel über die Verfahren der Cholezystektomie gar nicht gelesen hatte. Es zeigte sich aufs Neue, dass Dr. Hutman dem deutschen Kollegen negativ gegenüberstand und ihm mit bissiger Arroganz, die er nicht als ein Wissen vom Nichtwissen verstehen wollte, entgegentrat. „Ich werde Ihnen das Kapitel aus dem Textbuch bringen“, entgegnete Dr. Ferdinand. Dr. Hutman wehrte nun mit beiden Händen ab und empfahl ihm, er solle sich um seine eigenen Sachen kümmern und erst einmal zusehen, dass er die Arbeitserlaubnis aus Pretoria bekomme. „Dann können wir weiterreden“, schloss Dr. Hutman bedeutungsvoll die Diskussion ab.

      Dr. van der Merwe hatte sich schweigend verhalten, bis er beim Leeren der Tasse bemerkte, dass er zum „Outpatient department“ gehen müsse, um die dort wartenden Patienten zu untersuchen. Auf seine Empfehlung an Dr. Ferdinand, mitzukommen, verließen beide den Teeraum. Unterwegs sprach Dr. van der Merwe von seinem Unbehagen, wie Dr. Hutman auf die Fragen reagiert und sich selbst in eine Position gehoben habe, die ihm überhaupt nicht zustehe. „Um es verständlicher zu machen“, ergänzte er, „Dr. Hutman gehört der englisch sprechenden Gruppe der Südafrikaner an und der noch kleineren Gruppe der reichen Juden. Doch das gibt ihm nicht das Recht, so unkollegial und arrogant aufzutreten.“ Dr. Ferdinand ging neben ihm her und versuchte sich ein Bild zu machen, wie die Menschen in Südafrika wohl lebten. Da gab es das Apartheidsystem mit den Gesetzen der Rassentrennung, das die weiße Minderheit zu einem Leben in Wohlstand und Reichtum und die schwarze Mehrheit der Bevölkerung zu bitterer Armut und Abhängigkeit geführt hatte; dann gab es weitere Markierungen innerhalb der weißen Minderheit, deren Linien sich zwischen den verschiedenen Sprachgruppen entlangzogen. Dr. van der Merwe war Sohn eines Farmers und gehörte der Afrikaans sprechenden Gruppe der „Boere“ an. Die Juden in Johannesburg oder Cape Town hingegen sprachen überwiegend englisch. Einige von ihnen kamen noch vor dem Zweiten Weltkrieg nach Südafrika und hatten es als Ärzte, Rechtsanwälte und Kaufleute zu enormen Reichtümern gebracht. „Ihr Einfluss auf Banken und Handel ist groß, auch besitzen sie große Farmen in den schönsten Gegenden des Landes. Sie achten mehr als die anderen Afrikaner auf die strikte Einhaltung der Apartheid.“

      Es ging auf elf Uhr zu, und die Sonne brannte über den Gängen. Dr. van der Merwe öffnete eine zerrammte Tür, und sie betraten das überfüllte „Outpatient department“. Direkt links vom Eingang saß Dr. Nestor Shivute an einem ausladenden Tisch, auf dem ein bereits verjährter Blutdruckapparat zwischen Glasbehältern, Plastikspritzen und Kanülen zur Blutentnahme sowie zahlreichen weißen, gelben und blauen Formularen stand. Neben ihm saß auf einem herangerückten Stuhl mit fehlender Rückenlehne eine alte Frau, die die Jahre der Entbehrung auf ihrem Gesicht wie eine Käthe-Kollwitz-Zeichnung festhielt und den abgegriffenen Knauf eines selbstgefertigten Stockes mit seinen zahlreichen Krümmungen zwischen ihren abgemagerten Händen hielt. Dr. Nestor, im Begriff den Blutdruck zu messen, sprach den vorbeigehenden Kollegen an. Er teilte ihm mit, dass diese Patientin über starke Rückenschmerzen klage und im rechten Bein gehbehindert sei und er sie ihm zur weiteren Diagnostik und Behandlung schicken werde. Dr. van der Merwe bejahte mit nickender Kopfbewegung sein Anliegen und schritt durch die wachsende Menschentraube hindurch in einen separaten Raum, der für die Orthopädie reserviert war. Dr. Ferdinand folgte ihm und setzte sich neben seinen Kollegen an die linke Ecke eines kleineren Tisches, nahe dem geöffneten Fenster. Er sah eine Klimaanlage über dem Fenster, die jedoch seit Langem nicht mehr arbeitete. In diesem Raum saßen bereits ein junger Mann mit einem völlig verdreckten Rundgips am linken Bein und eine ältere Frau, die ihr Enkelkind, ein etwa dreijähriges Mädchen mit doppelseitigen Spitzfüßen, auf ihrem Schoß hielt. Der Patient mit dem Rundgips wurde in den Nebenraum zur Gipsentfernung beordert und eine anschließende Röntgenkontrolle angeordnet.

      Dr. van der Merwe, assistiert von einer beleibten weiblichen Pflegekraft in den mittleren Jahren mit schwarzen Epauletten, deren linke infolge eines ausgerissenen Knopfes über dem Oberarm wedelte, wandte sich in der Zwischenzeit dem Mädchen mit den Spitzfüßen zu und untersuchte beide Beine auf weitere Missbildungen, die aber nicht vorlagen. Dann schaute er auf einen Kalender und teilte der Großmutter im Afrikaans mit, dass sie das Kind in fünf Wochen bringen solle, weil dann ein orthopädischer Spezialist aus Windhoek kommt, der die notwendige Operation vornehmen werde. Die Großmutter schaute die daneben stehende Schwester an, die ihr das Gesagte ins Oshivambo übertrug. Mit einem leisen „Baie dankie“ stand sie auf und band ihr Enkelkind mit dem traditionellen Tuch auf ihren Rücken, während die Schwester auf einem abgerissenen Papierstück das Datum vermerkte, wann sie wieder zu erscheinen habe, und ihr das Papier zusteckte. Beim Verlassen des Raumes wurde die alte Frau von der plötzlich nach innen aufgeschlagenen Tür fast umgeworfen, als ein junger Mann mit einem blutdurchtränkten Verband am rechten Oberschenkel auf einer Trage gebracht wurde. „Bringen Sie den Mann zum ,Outpatient theatre’“, wies Dr. van der Merwe die Schwester und die beiden Begleitpersonen an. Es war der übernächste Raum noch hinter dem Gipsraum, und Dr. Ferdinand half bei diesem Transport von Zimmer zu Zimmer durch Türen hindurch, die von wartenden Menschen umstellt waren. Dr. van der Merwe ging indessen zum Gipsraum, um beim ersten Patienten die Festigkeit des sechs Wochen alten Schienbeinbruches zu prüfen und den Mann auf einem Rollstuhl alten Baujahrs zur Röntgenkontrolle zu schicken.

      Der junge Mann war bei der Feldarbeit mit einem Buschmesser, auch „Panga“ genannt, von einem anderen Mann verletzt worden. Dr. van der Merwe entfernte den Verband und fand eine tiefe, bis auf den Knochen gehende Wunde am rechten Oberschenkel vor, die sich von der Streckseite nach außen zog. Mit einem Instrumentarium, das an Dürftigkeit nichts zu wünschen übrig ließ, klemmte und unterband er die blutenden Gefäße in der Tiefe und nähte die Enden der klaffenden Muskelpartien fast anatomiegerecht zusammen. Der Eingriff wurde in Lokalanästhesie durchgeführt, wobei ihm eine junge Schwester instrumentierte als auch assistierte und die überstehenden Fadenenden nach Beendigung jeder Naht auf die erforderliche Kürze zurückschnitt. Die Operation dauerte bis zum Verband etwa vierzig Minuten, und der Patient wurde stationär aufgenommen. Er bekam ein Papier, auf dem die weiteren Anordnungen standen, wie das Tetanol zur Tetanusprophylaxe und ein Antibiotikum zur Vermeidung der Wundinfektion. Vor dem orthopädischen Untersuchungsraum hatte sich inzwischen eine längere Menschenschlange angesammelt, die bis an den Tisch mit dem seitwärts geschobenen Stuhl heranreichte, den Dr. van der Merwe zurechtrückte und darauf Platz nahm. Das waren Patienten, die mit neuen Röntgenaufnahmen zur Kontrolle einbestellt waren; andere hatten Verbände an Händen, Armen und Beinen. So verlief der Vormittag bis etwa ein Uhr, und nach einer Mittagspause ging es um zwei Uhr weiter mit Untersuchungen, Wundversorgungen und Einrenkungen von zwei Schultergelenken und einem Hüftgelenk bis in den späten Nachmittag hinein. Dr. Ferdinand, der aufgrund der noch fehlenden Arbeitserlaubnis zum bloßen Zuschauen verurteilt war und von seinem Stuhl aus das hektische Treiben in dem überhitzten Raum verfolgte, war beeindruckt vom Ausmaß der geleisteten Arbeit und den primitiven Bedingungen, die hier herrschten. Er verneinte es innerlich, dass je ein Krankenhausarzt in Deutschland ein solches Pensum unter derartigen Bedingungen schaffen würde; von denen wäre mit großer Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsverweigerung zu erwarten oder im günstigsten Falle eine Forderung nach Stresszulage. Hier im afrikanischen Alltag eines Arztes war es so, dass das Pensum manchmal nicht ganz bewältigt werden konnte. Dann warteten die Patienten mit Geduld auf bessere Zeiten, legten sich neben den Haupteingang und übernachteten auf einer Decke, einer Pappe oder ausgelegtem Zeitungspapier, da mit Sonnenuntergang und Eintritt der Sperrstunde jede Bewegung auf offenen


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