Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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macht. Dann folgt bald, meist auf beiden Seiten, die Enttäuschung; und die angebahnte Freundschaft erkaltet. Beziehung folgt auf Beziehung, mit Männern und Frauen, mit bedeutenden und unbedeutenden, mit berühmten und unberühmten, mit anspruchsvollen und rührend anspruchslosen, mit naiven und schlauen, meistens nur auf Tage, Wochen, Monate und ohne eine Spur zu hinterlassen, so dass nicht ganz ohne Recht jemand, der das Jahr für Jahr mit ansah, von ihm halb bedauernd, halb spöttisch sagen konnte, er sei „nur ein Don Juan der Freundschaft“. In einem Falle, der Freundschaft mit Harden, ist die Enttäuschung beim andern Teile zum unversöhnlichen Hass bis über den Tod hinaus geworden, in vielen anderen zu einer etwas geringschätzigen Gleichgültigkeit; einige haben sich mit dem abgefunden, was er geben konnte, und seiner Hilfsbereitschaft, seinem Zartgefühl trotz mancher Enttäuschungen eine dauernde Zuneigung entgegengebracht; im ganzen aber hat ihm dieses so eigenartig gehemmte und gestörte Gefühlsleben mehr Feinde als Freunde gemacht und einen Kern von Missvergnügten geschaffen, von dem ausstrahlend Hass gegen ihn in weite Schichten hinausgetragen wurde.

       Diese sozusagen halbseitige Lähmung seines Gefühlslebens durch die Vielseitigkeit seiner Natur erklärt auch seine Einstellung zur Kunst. Er hat ein „Grundgesetz der Ästhetik“ formuliert, und zwar mit den Worten: „Ästhetischer Genuss entsteht, wenn eine verborgene Gesetzmäßigkeit empfunden wird.“ (Ges. Schr., Bd. 4, S. 49.) Diese Formel setzt eine Hemmung des Gefühlslebens als selbstverständlich schon voraus; denn Gesetze erkennt man durch den Verstand. Wem die Ahnung einer verborgenen Gesetzmäßigkeit als letzte Wirkung eines Kunstwerkes genügt, nicht bloß als Vorstufe zu seiner Inbesitznahme durch alle Seelenkräfte, der bleibt an der Schwelle stehen; – wie in der Erotik derjenige, welcher die Liebe nur als Einkleidung der Fortpflanzung empfindet, und nicht als eine alle Kräfte der Seele in sich einsaugende und überwältigende, in jedem Falle wieder neue und einzigartige Erschütterung zu Zweien. Denn wie die Liebe ist die Kunst in jedem Falle, wo ein Künstler und ein Liebhaber durch das Werk miteinander eins werden, eine solche Erschütterung zu zweien, in der auch beim Liebhaber nicht die bewusste oder unbewusste Tätigkeit seines Verstandes, sondern die Ergriffenheit seiner ganzen Seele durch das Kunstwerk das Wesentliche ist; und diese tiefe Erschütterung entstammt in der Kunst, ebenso wie in der Liebe, nicht dem Geist, sondern der Sinnlichkeit, die allein von ihren primitivsten bis zu ihren verfeinertsten Formen die ganze Seele restlos durchglühen kann. Naturen, denen die Tiefe des erotischen Erlebnisses aus inneren, nicht bloß äußeren Gründen verschlossen ist, sind daher selten Liebhaber großer Kunst. Und auch Rathenau war trotz unzweifelhafter Begabung für Malerei und Architektur – seine Bleistiftskizzen sind nicht die eines Dilettanten – seine Wiederherstellung des Schlösschens Freienwalde und sein Grunewaldhaus, das er selbst entwarf, zeigen einen feinen, wenn auch kühlen Geschmack – auch Rathenau war als Kunstliebhaber durch seine Anlage gehemmt. Er liebte Gilly, Schadow, Schinkel, die anmutige, etwas provinziale, wie zu zarten Eisblumen erfrorene Antike des preußischen Klassizismus, die vom pathetischen Empire sich so rein abhebt. Er hatte Freude an hübschen, übersichtlichen, sauberen Kunstwerken, die nach einem historisch erprobten Stil und leicht durchschaubaren Regeln hergestellt waren. Darüber hinaus versagte sein Kunstgefühl. An seine Freundin schreibt er: „So sehr ich das Gewaltsame in der Kunst oder vielmehr das Gewaltsame, durch Kunst gebändigt, dankbar hinnehme: Gewaltsame, aufgeregte, steile Kunst ist mir nicht gemäß.“ Van Gogh war ihm ein Ärgernis. Unter den Werken, die er angekauft hat, ist nicht ein einziges, das großes künstlerisches Format hat.

       Seine einzige von Leidenschaft gefärbte Beziehung ist vor der Erfüllung wie die anderen im Dornengestrüpp innerer Hemmungen steckengeblieben. Einige Briefe, die sie beleuchten, sollen hier und später folgen. Sie sind wie an eine Idealgestalt gerichtet, die ihn blenden, entflammen, beglücken, bis zur Selbstentlarvung treiben konnte, wenn er sich in ihr spiegelte –, aber für ihn vielleicht doch hauptsächlich Spiegel blieb, vor ihm immer wie Helena vor Faust ganz dicht und doch unermesslich fern zu schweben scheint.

      Die Reihenfolge der Briefe ist nicht mehr festzustellen: die meisten sind undatiert; die hier folgenden stammen aber aus der Zeit von 1906 bis 1911.

      * * *

      „Ihr schöner, ernster Brief bewegt mich und begleitet mich seit gestern.

      In Schreiberhau, auf dem Weg nach Agnetendorf, habe ich in vollkommener Wahrheit Ihnen gesagt, was mich den Menschen problematisch macht, und was selbst die, die mich am meisten lieben, zwingt, mich zu fürchten und zu hassen. Das erste ist, dass ich keinem Menschen ganz gehören kann. Ich bin im Besitz von Mächten, die, gleichviel ob sie mich zum Guten oder zum Bösen führen, ob sie mich im Spiel oder Ernst beherrschen, mein Leben bestimmen. Es kommt mir so vor, als ob ich nichts aus mir heraus willkürlich tun kann, als ob ich geführt werde, sanft, wenn ich mich füge, rau, wenn ich widerstehe.

      Verfolge ich mein vergangenes Leben, so finde ich äußere Wahrzeichen nicht außer in meinen Gedanken, die – ich weiß nicht, ob stärker oder schwächer – mir immerhin anders erscheinen als die der andern (die für meinen Blick sich meistens gleichen), und die mir im realen Leben manche seltsame Erfüllung, im geistigen Leben manche neue Lösung gegeben haben. Aber auch meiner Gedanken bin ich in keiner Weise Herr; Sie selbst kennen die verzweifelten Zeiten meines Verlöschens.

       Zum zweiten: Es ist wahr, dass mein Empfinden polyphon ist. Die Melodie schwebt klar als Diskant über den Stimmen, aber sie ist fast niemals unbegleitet. Und im Bass, im Tenor, da rollen andere Klänge, zuweilen sich fügend, zuweilen im reinen Gegensinn des Gesanges. Ich kenne unvergleichlich Größere, ja Große, denen ich das gleiche Spiel aus jedem Wort und Gedanken nachfühle: Hierin finde ich mich nicht vereinsamt. Ja, zuweilen will es scheinen, als sei es gerade diese Kraft oder Schwäche, die einer Muschel gleicht, die das ganze Brausen der Welt, verloren zwar, wiedertönen lässt. Indessen das reine Schalmeienspiel einer einfacheren Empfindung mir einförmig, lieblich und etwas flau erscheint.

      Deshalb nun werden die Menschen an mir irre, weil sie aus diesem Stimmengewirr keine Melodie erkennen. Aber ich erkenne sie und weiß, dass sie da ist, und dass sie alles leitet.

      Der Beweis aber ist der: wenn alles trügt, so trügt das Leben nicht. Betrachten Sie mein Leben. Kennen Sie ein anderes, ernsteres, entsagenderes? Und das liegt wohl nicht an Unempfindlichkeit und Stumpfheit. Es liegt auch nicht an irgendetwas, das ich will. Denn ich will nichts. So sehr ich mein Inneres zerquält habe, ich habe nie Weltliches gefunden, das ich will. Ich will, was ich muss, sonst nichts. Und was ich muss, das sehe ich wie ein nächtlicher Wanderer mit der Laterne nur wenige Schritte voraus. Dass dieses mein Leben ein Opfer ist, das gutwillig und freudig den Mächten gebracht wird, nicht um Lohn noch um Hoffnung, das darf ich sagen und das wissen Sie selbst; dass mir die Liebe der Menschen dabei zerbrochen ist, das weiß ich und empfinde es hart.

      Wenn ich nun gesagt habe, dass Ihr Leben ein Spiel ist, so meint das nicht, es sei frivol, sondern vielmehr, es sei kein Opfer. Sie sind um Ihrer Schönheit und Ihres Griechentums willen geschaffen worden, und meinem Nordseegeblüt konnte nur dies eine Licht geschenkt werden und kein anderes.

      Bleiben Sie, was Sie sind, und bleiben Sie mir, was Sie mir sind. Adieu, ich verreise heute nach Köln. Leben Sie wohl!

      Ihr W.“

      * * *

      Was wollen Sie denn eigentlich von mir? Mit der Natur, mit meinem Gott und mit mir stehe ich ganz gut, das wissen Sie. Auch Sie haben mich manchmal ganz gern und verwöhnen mich ab und zu. Was soll's denn da noch weiter? Was hab' ich da mit den Menschen zu schaffen? Soll ich Ihnen eine Fensterscheibe in meinen Brustkasten setzen, damit Sie mir hinterher für die „Anregung“ quittieren? Oder soll ich ein paar Jahre meines Lebens daran setzen, um mir ein Etikett zu beschaffen, damit man mich nicht geradeweg als einen Hanswurst ansieht?

      Mit zwei Sachen tun Sie mir unrecht. Selbstüberschätzung! Ich kenne meine Grenzen sehr genau und habe sie immer respektiert. Aber Sie kennen sie nicht, denn einen Menschen erschöpft man nicht im Gespräch. Und abhängig sind Sie trotz allem von dem etablierten Urteil: „geistreich, fein und kalt“. Gleichviel.

      Aber dass Sie, Sie mir gerade Kälte und Empfindungslosigkeit vorwerfen, das empört mich. Das tut Ihr Egoismus, der über alle Reflexionen hinausgeht.

      Gottlob. Jetzt dürfen Sie zanken, was Sie wollen.


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