Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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Der Grund, den er selber vorgab, war, dass es verächtlich wäre, durch einen Gesinnungswechsel einen persönlichen Vorteil zu erkaufen und dem Unrecht, das den Juden angetan würde, Vorschub zu leisten. So in einem Brief an Frau von Hindenburg, geborene Gräfin Münster, die wünschte, dass er Außenminister werde: „Meine wirtschaftliche Tätigkeit befriedigt mich, meine literarische ist mir Lebensbedürfnis, und dazu eine dritte, die politische, zu gesellen, würde nicht nur meine Kräfte, sondern auch meine Neigungen übersteigen. Hätte ich aber die Neigung, auf politisches Gebiet mich zu begeben, so wissen Sie, verehrte gnädige Frau, dass alle äußern Umstände dies verhindern würden. Wenn auch ich und meine Vorfahren nach besten Kräften unserm Lande gedient haben, so bin ich, wie Ihnen bekannt sein dürfte, als Jude Bürger zweiter Klasse. Ich könnte nicht politischer Beamter werden, nicht einmal in Friedenszeiten Leutnant. Durch einen Glaubenswechsel hätte ich mich den Benachteiligungen entziehen können, doch hätte ich hierdurch nach meiner Überzeugung dem von den herrschenden Klassen begangenen Rechtsbruch Vorschub geleistet.“ – Das ist einleuchtend, aber nicht ausreichend. Sicher sprachen gewichtigere Gründe mit: möglicherweise ein Rest von Unsicherheit, die ihn befürchten ließ, in einer großen Staatsstellung bei den Widerständen, denen er begegnen musste, nicht viel durchsetzen zu können; dann auch das Urteil, das er sich über die Persönlichkeit des Kaisers und das preußisch-deutsche Regierungssystem gebildet hatte, weil sie den Versuch, den Staat von oben auf erreichbare und lohnende Ziele hinzulenken, als wenig aussichtsreich erscheinen ließen; am stärksten aber, bewusst oder unbewusst, die Scheu vor einem endgültigen Bruch nicht nur mit der Religion seiner Kindheit, sondern auch mit den neueren, auf eine dogmenlose Mystik ausgehenden Strömungen des Judentums, denen die auf Innerlichkeit gerichtete Seite seines Wesens ganz besonders zuneigte.

       So schwankte er am Rande der Macht, halb hoffend, halb verzagend, weil der Anlauf, den er genommen hatte, nie zum Absprung führte. – Um so stärker wurde das Bedürfnis, geistig zu führen. Bald nach seiner Rückkehr aus Bitterfeld hatte er sich Stützpunkte geschaffen im Brennpunkt des geistigen Berlin. Max Liebermann war sein Vetter. Diejenigen literarischen und künstlerischen Kreise, die in einer heftigen, schon über ein Jahrzehnt währenden Fehde mit dem Kaiser gegen den Allerhöchsten Boykott zur Geltung gekommen waren, waren sein täglicher Umgang: Harden, dessen „Zukunft“ auf der Höhe ihres Erfolges stand, Max Reinhardt, der gerade anfing, und schon offiziell verpönt war, Wedekind, der von Misserfolg zu Misserfolg emporstieg, Hoffmannsthal, Dehmel, Gerhart Hauptmann – wenn sie einmal in Berlin auftauchten – die Kreise des „Pan“ und der „Insel“, der beiden Zeitschriften, die die dem Kaiser verhasste „Moderne“ in Deutschland eingeleitet hatten, Alfred Walther Heymel, der später so schmählich von Otto Julius Bierbaum als „Prinz Kuckuck“ verratene und karikierte, dessen Vetter, der Odyssee-Übersetzer Rudolf Alexander Schröder, und der Mitherausgeber des „Pan“ und Kruppdirektor Eduard Bodenhausen, dazu der Kunstkritiker Meier-Graefe, der Architekt Henry Van de Velde, der Maler Edvard Munch, der Schauspieler Moissi und die Schauspielerinnen Eysoldt und Tilla Durieux. Alle diese gehörten zu denen, die oft und gern in Rathenaus kleinen, noch bescheidenen Fünfzimmerwohnung in der Victoriastraße oder im Automobilklub mit ihm zusammensaßen, um seinen Ausführungen zuzuhören, die, auch wenn es sich um Elektrizitätszentralen oder Bankbilanzen handelte, immer wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht klangen oder in ein Brillantfeuerwerk ausliefen. Am besten verstand er sich offenbar mit Maximilian Harden, dessen Geist dem seinigen verwandt war. Aber immer blieb er etwas fremd, wie ein Prinz aus Morgenland, der jede allzu intime Annäherung fürchtet. Widerspruch verstimmte ihn; ein Angriff konnte ihn aus der Fassung bringen. Deshalb sprach er am liebsten selbst. Wie er als Kind zwischen sich und seiner Mutter durch Lächeln und Verschlossenheit eine gläserne Mauer zog, so schmiedete er mit den Jahren bewusst Wort für Wort die glänzenden Zauberformeln, die sein Inneres verhüllen und ihm Macht über die Dinge und die Menschen geben sollten; schmerzlich war es ihm, wenn man daran rührte, ärgerlich, wenn der Zugriff so unzart war, dass Gefahr bestand, der reichgewebte Schleier könnte reißen. Denn er konnte oder wollte seine Ansichten nicht mit Gründen verteidigen. Vielleicht war er zu lange einsam gewesen; vielleicht fürchtete er sich vor der in seinem Innern schlummernden jüdischen Rabulistik; vielleicht glaubte er wirklich nicht an die Wirksamkeit von Beweisen. In der „Physiologie der Geschäfte“ hatte er gesagt: „Es ist nicht möglich, einen Menschen zu überzeugen, geschweige zu überreden. Führt neue Tatsachen und Gesichtspunkte an, aber insistiert niemals. Die beste Stärke liegt darin, neue Vorschläge zu ersinnen, sobald starke Einwände erhoben werden.“ Wichtiger war, dass hinter der blendenden Geisteshülle, die er der Welt zukehrte, ein Umschwung vor sich ging, in seinem Innern die zweite Achse, um die es sich bewegte, die Sehnsucht nach Verinnerlichung, stärker wurde, die Kräfte seines Innenlebens an sich zog, eine Abkehr vom Geist, einen Zustand des Zweifels an der Macht des bloßen Geistes, einen Aufstand gegen seine Vorherrschaft vorbereitete.

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      Abkehr vom Geist

       Abkehr vom Geist

       Hier ist die Peripetie des Dramas Rathenau; hier wird es zur Tragödie. Die gewaltsam vom Verstand zurückgedrängten Seelenkräfte rebellieren. Zu schwach, um die Übermacht zu erringen, zu stark, um endgültig unterdrückt zu werden, vergiften sie sein Innenleben durch die Sehnsucht nach ihrem Siege und kompromittieren ihn vor der Welt durch den immer unentschiedenen Kampf. Wie homerische Helden marschieren sie auf: Mut contra Furcht, Gesinnung contra Schlauheit, zweckfreie Schöpfung contra zweckhaftes Geldverdienen, visionäre Intuition contra kritischen Verstand, Wunsch nach vollem Menschentum contra Beschneidung der Fähigkeiten zu Instrumenten besseren Fortkommens: homerische Kämpferpaare, homerisch auch in ihren Beschimpfungen! Niemand, außer später Harden, hat Walther Rathenau so erbarmungslos Stück für Stück auseinandergenommen, sein schlechteres Ich kritisch so zerpflückt wie Walther Rathenau selbst in seinem 1904 in der „Zukunft“ erschienenen Aufsatz „Von Schwachheit, Furcht und Zweck“. Es ist ein Pamphlet, in dem die aufständischen Seelenkräfte die anderen, gegen deren Herrschaft sie sich auflehnen, öffentlich an den Pranger stellen. Man kann in dieser Schrift voll bösartigster Psychologie den angeprangerten „Zweckmenschen“, „Furchtmenschen“, „Klugen“, fast überall gleichsetzen dem böseren Ich, das Walther Rathenau als Medusenhaupt vor sich sah; und dieses Bild gibt, als Untermalung, seiner Figur erst die richtige Tiefendimension.

       Hier im Auszug seine Schilderung der gespenstischen Erscheinung! „Das Lachen, dem lebenskräftigen Menschen ein Naturlaut der Freude, ist dem Klugen eine Reaktion auf Witzempfindung: eine halbe Schadenfreude. Bewunderung ist ihm ein verhasstes Gefühl; denn sie erhebt ihn nicht, sondern wirft ihn zurück. Er ist lernbegierig, lüstern nach Wissbarem, neugierig. Eine mechanische Klarheit und handgreifliche Theorie scheint ihm zweckdienlich. Er begreift nicht, dass das bloße Dasein ein Quell der Seligkeit ist. Er kennt nicht die Freude an eigener Kraft und Schönheit der Welt. So lechzt er nach dem, was ihm Ersatz der Freude ist, nach Genüssen. Die Schuld seiner Organe den Dingen aufbürdend, erhofft er von schwer Erreichbarem, was seine im Genuss versagende Natur ihm verwehrt. Der Kraftlose beneidet den Starken um seine Gewalt. Das Urteil anderer ist ihm wichtig. Er ist sich selber nur, was er anderen scheint. Er begehrt, fordert und bettelt Anerkennung. So ist das, was Menschen Eitelkeit und Anmaßung zu nennen pflegen, der Bescheidenheiten tiefste, denn sie ist wahrhaftige Unterwürfigkeit. Und so wird er den Menschen zum Ekel. Denn er verlangt beides von ihnen, das sie niemals zugleich geben: Bewunderung und Knecht-Dienst. Deshalb ist er als Herr unmöglich. So groß ist bei einzelnen die Menschensucht, dass sie kaum ihren Nächsten erblicken, ohne seiner im Geist zu begehren. Sie wollen wissen, wer er ist und was er treibt; sie wollen einen Eindruck irgendwelcher Art auf ihn machen, ihm gefallen, imponieren oder auffallen und, wenn alles versagt, wenigstens in ihrer Art ihn dadurch überwinden und besitzen, dass sie ihn kritisieren. Selbst wenn der Geist, mit lockerem Zügel sich selbst überlassen, seine Straße wählen darf, treibt der Zweckhafte höchst persönliche und praktische Dinge: ‚Gesetzt dies und das passiert, was werde ich antworten? Wie werde ich mich benehmen? Wie werde ich wirken?‘ und so wird er zum Schauspieler seiner selbst.“

      Mit Entsetzen wendet sich Rathenau ab von diesem Bilde, zu dem sich langsam im Laufe langer Jahre Zug an Zug gefügt hat. Mit zäher Selbsterziehung, mit Erfolg hat er diese Auswüchse


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