Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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sagt er in einem Aphorismus, „ist die Tragödie des arischen Stammes. Ein blondes, wundervolles Volk erwächst im Norden. In überquellender Fruchtbarkeit sendet es Welle auf Welle in die südliche Welt. Jede Wanderung wird zur Eroberung, die Eroberung zur Befruchtung der Kultur und Gesinnung. Aber mit zunehmender Weltbevölkerung quellen die Fluten der dunklen Völker immer näher, der Menschenkreis wird enger. Endlich ein Triumph des Südens: eine orientalische Religion ergreift die Nordländer. Sie wehren sich, indem sie die alte Ethik des Mutes wahren. Zuletzt die höchste Gefahr: Die technische Kultur erringt sich die Welt, mit ihr entsteht die Macht der Furcht, der Klugheit, der Verschlagenheit, verkörpert durch Demokratie und Kapital ...“ „Die Tragödie des arischen Stammes“, nicht die des jüdischen!, so fühlte er – das ist das Besondere an Rathenaus Einstellung zur Judenfrage; und deshalb genügt ihm keine der landläufigen Lösungen: Beseitigung aller Beschränkungen, Übertritt zum Christentum, Zionismus. Mag man den gesellschaftlichen Boykott und das „Staatsbürgertum zweiter Klasse“ beseitigen; das wäre gerecht und für den Gaststaat nützlich, aber nicht genug, um den tragischen Knoten zu lösen. „Was also muss geschehen?“ fragt er in „Höre Israel“. „Ein Ereignis ohne geschichtlichen Vorgang: die bewusste Selbsterziehung einer Rasse zur Anpassung an fremde Anforderungen. Anpassung nicht im Sinne der Mimikry Darwins, welche die Kunst einiger Insekten bedeutet, sich der Farbe ihrer Umgebung anzugewöhnen, sondern eine Anartung in dem Sinne, dass Stammeseigenschaften, gleichviel ob gute oder schlechte, von denen es erwiesen ist, dass sie den Landgenossen verhasst sind, abgelegt und durch geeignetere ersetzt werden ... Das Ziel des Prozesses soll nicht imitierte Germanen, sondern deutschgeartete und erzogene Juden sein.“ Diese Lösung hat er später weiter ausgebaut, als er dazu fortgeschritten war, Rassengegensätzen eine tiefere Bedeutung abzusprechen und nur noch einen Unterschied der Gesinnung anzuerkennen, den Unterschied zwischen Menschen, die aus Furcht, und solchen, die aus Mut handeln. Im Kriege schreibt er einem völkisch gesinnten Freund: „Ich bin der Überzeugung, dass Glaube, Sprache, Geschichte und Kultur hoch über den physiologischen Dingen der Blutmischung schweben und sie ausgleichen.“ (Brief 191.) Und ein paar Monate später an denselben Freund: „Du sagst gelegentlich ‚mein Volk‘ und ‚Dein Volk‘.“ Ich weiß, dass es nur ein verkürzter Ausdruck ist, aber ich möchte ein Wort dazu bemerken. „Mein Volk“ sind die Deutschen, niemand sonst. Die Juden sind für mich ein deutscher Stamm, wie Sachsen, Bayern oder Wenden ... Für mich entscheidet über die Zugehörigkeit zu Volk und Nation nichts anderes als Herz, Geist, Gesinnung und Seele. In diesem Empfinden stelle ich die Juden etwa zwischen die Sachsen und Schwaben. Sie sind mir weniger nahe als Märker und Holsteiner, sie sind mir vielleicht etwas näher als Schlesier oder Lothringer. Ich rede natürlich nur von deutschen Juden.“ (Brief 208.) „Die bewusste Selbsterziehung zur Anpassung an das Deutschtum“ wurde für die Juden damit zu einer bloßen Sache des Wollens und der Ausdauer. Diese Überzeugung festigte sich in Rathenau von Jahr zu Jahr; sie bot ihm den sichersten Halt gegen das Gespenst der Unsicherheit, das er in sich fühlte. Und in diesem Sinne hat er auch an sich selbst geformt. Seine Schätzung junkerhafter Ideale, seine Bevorzugung altpreußischer Kunstformen, wie er sie durch den Kauf und die Wiederherstellung des Schlösschens Freienwalde betätigte, die eigenartige Kargheit, die er im Stil von 1813 um sich liebte, kurz, sein Preußentum, flossen, wenigstens zum Teil, aus dieser bewussten Anpassung an das Volk, das er mit so leidenschaftlichem Pathos als das seine begehrte. Daher erschienen sie den einen affektiert, den anderen oberflächlich romantisch, weil wenige, und diese nur ganz allmählich, die tiefe Not durchschauten, aus denen sie geboren waren. Vor allem bezweifelten seine Feinde seine Aufrichtigkeit und benutzten das angeblich Fragwürdige seiner deutschen Gesinnung als wirksamstes Mittel der Hetze gegen ihn, bis die völkischen Kreise, deren Ideale er im Grunde teilte, ihn ermordeten. In den zitierten Sätzen des Aufsatzes „Höre Israel“ ist diese tragische Entwicklung vorbereitet.

      Die zweite, schon ganz reife Frucht von Rathenaus zähem Bemühen um die Anschaulichkeit der Welt ist die 1901 in Hardens „Zukunft“ erschienene „Physiologie der Geschäfte“; ein Werkchen, das sich in Geist und Form eng an die der französischen „Moralisten“ anschließt, witzig, treffend, Schlag auf Schlag Einblicke und Ausblicke eröffnend, teilweise so fest geprägt, dass einige seiner Sätze schon klassisch wirken:

      „Bedürfnisse erkennen und Bedürfnisse schaffen ist das Geheimnis alles ökonomischen Handels.“

      „Eine Organisation soll ihr Gebiet bedecken wie ein Spinnennetz: von jedem Punkt soll eine grade und gangbare Linie zur Mitte führen.“

      „Geschäfte müssen monarchisch verwaltet werden. Kollegien arbeiten selten schlecht, aber im besten Fall mittelmäßig.“

      „Kollegialität heißt Feindschaft.“

      „Denke dich beständig an die Stelle deines Gegenüber. Proponiere, was du selbst in seiner Lage annehmen würdest, und erwäge bei allem, was man dir sagt, die Interessen, die dahinter stecken. Denke nicht nur für dich, sondern auch für den anderen.“

      „Bei gescheiten Menschen, die in Verhandlungen erfahren sind und sich kennen, genügen wenige Worte, um wichtige Dinge zu entscheiden. Ein unerfahrener Zuhörer würde kaum erkennen, dass sie mit der Frage im Zusammenhang stehen und oft nicht einmal fühlen, ob eine Ablehnung oder Zustimmung erfolgt ist.“

      „Wenn man erwägt, wie oft ein Spaziergang, ein Mittagessen, ein Kopfnicken oder ein Gähnen über das Entstehen und Schicksal großer Unternehmungen entscheidet, so ist es zweifelhaft, ob man über die Stärke oder über die Schwäche der Menschen erstaunen muss.“

      „Ich pfeife auf das, was man die ‚großen Ideen‘ nennt. Sie liegen auf der Straße. Sie kommen zu Dutzenden, dieses Gesindel, wenn wir träumen, wenn wir verdauen, oder wenn wir Erholung suchen. Und das ist ihre rechte Zeit und ihr rechter Ort ... Ich stelle mir vor: ein Industriekönig liest in seiner eigenen Biographie, wie der ‚große Gedanke‘ seines Lebens erklärt, erläutert und gefeiert wird. Wie muss der Ehrliche über die Gläubigkeit der Chronisten lachen! Denn die große Idee war, als er sie aufgriff, eine zehnmal breitgetretene Plattheit, ein Erbstück, ein Gemeingut aller Vernünftigen gewesen: was gefehlt hatte war der Mann, der Wille, der Fleiß, die Ausdauer. Und war Genialität dabei nötig, so war es die Genialität der tausend Mittel, der tausend Auswege und Umwege, der Überzeugungskraft und der Halsstarrigkeit.

      Ich hasse die geistreichen Gedanken und misstraue den brillanten und paradoxen Worten.“

      „Wenn du Menschen findest, die sich mit Erfolg in eine Organisation einfügen, so sind es Germanen oder Angelsachsen. Von allen Rassenüberlegenheiten erscheint mir diese die wichtigste. Juden sind niemals Beamte. Selbst in der unbedeutendsten Stellung sind sie Unternehmer und Geschäftsleute auf eigene Faust.“

      „Ein junger Mann aus guter Familie lobte mir seine Begabung und fragte mich, was er im kaufmännischen Beruf verdienen könne, unter der Bedingung, dass er täglich nur fünf Stunden arbeite. Ich antwortete ihm, dass in Geschäften die Arbeitszeit nur von der siebenten Stunde aufwärts bezahlt werde und veranlasste ihn, in den Staatsdienst zu treten.“

      Entscheidend für die weitere Entwicklung von Rathenaus Ideen sind die Anschauungen, die in den letzten Aphorismen der kleinen Sammlung formuliert sind:

      „Plutokratie. („Reichtumsherrschaft“ – Geldherrschaft – Geldadel) Es gibt nichts Betrübenderes als die Erkenntnis, dass wir der Plutokratie rettungslos verfallen sind. Noch widerstehen ihr drei oder vier germanische Staaten; auf wie lange?“

       „Auflehnung. Ich sehe die Herrscher der kommenden Zeit und ihre Kinder. Hässliche Menschen mit großen Schädeln und stechenden Augen, Menschen, die beständig sitzen, sitzen und zählen, rechnen, beraten. Jedes Wort eine Tatsache, jeder Blick ein Urteil, jeder Gedanke auf das gerichtet, ‚was ist‘. Vielleicht werden sie etwas mehr Kultur als ihre Brüder von heutzutage besitzen, wahrscheinlich weniger Gesundheit. – Und ihre Nachkommen! – Alles hat sich vererbt, nur nicht Geist und Kraft. Ein mattes, nervenschwaches Gesindel, krankhaft, verwöhnt, launisch und willenlos. Eine Drachenbrut, liegen sie auf überkommenen Schätzen, zu faul, sie zu mehren und zu schwach, sie zu erhalten. Und die von ihnen werden die Besten sein und sich den Dank der Besonnenen erwerben, die durch Spiel, Verschwendung


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