Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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Offenbar auf solche Vorwürfe antwortete er: „Du musst nicht glauben, dass ich gegen Gefühle und Neigungen kämpfe. Aber das Leben unter leidenschaftlichen Menschen – die wir alle von Natur sind – hat mich vor dem Übermaß gewarnt. Das ist ein gutes und schönes Füreinander-Leben, das keinen Enthusiasmus und keine Selbstvernichtung erstrebt, sondern sich in unerschütterlicher und wandelloser Gleichmäßigkeit der Zuneigung und in ruhiger, aber rastloser Tätigkeit erhält und stärkt. Aber den Ausdruck, die äußere Bezeugung, die liebe ich nicht ... Es mag sein, dass ich in meiner Art extrem bin und auf dich, die du es nicht bist, mehr Rücksicht nehmen könnte. Aber da kann ich dir nicht helfen. Es geht mir zu sehr gegen den Strich, und auch dieser Brief wird mir schwer, zumal der Ausdruck für diese Sujets den Gedanken nie recht adäquat ist ...“ Ihn peinigte geradezu die Furcht, dass einer ihn aushorchen, über ihn Macht gewinnen, über ihn als Stärkerer Herr werden könnte. Er reagierte auf jeden leisesten Versuch, ihn gegen seinen Willen auch nur zu beeinflussen, mit fast krankhafter Empfindlichkeit. In seinen „Aphorismen“ findet sich, vielleicht aus der Bitterfelder Zeit, das Wort: „Hüte dich, Mensch, dass sie dich nicht lieben wie ein schönes Tier, nicht aus Liebe, sondern aus Habsucht.“ Samuel Saenger, der ihn gut gekannt hat, sagt: „Bei aller scheinbaren Vertraulichkeit, ja mitten in den Heimlichkeiten eines intimen Gesprächs, war Walther Rathenau immer wie von einem Schleier umhüllt ... er war der Gralshüter seines Innern.“ (Neue Rundschau September 1926, S. 324). Und er selbst schreibt einmal: „Vor Jahren war ich geneigt, mein Herz zu verschenken. Ein Wort der Güte schloss mich auf. Obwohl Jude, bin ich nicht misstrauisch, sondern glaube gern. Als ich merkte, dass man mich als Mittel zum Zweck wollte, war ich zerschlagen, entehrt, entwürdigt, verraten. Ich hätte gern aus freiem Herzen geholfen, aber als missbrauchtes, für dumm genommenes, verachtetes Werkzeug? Als betrogener Betrüger? Die verletzte Eitelkeit heilt sehr schwer: es dauerte eine Zeit, bis ich mich fand.“

      Er fand sich, indem er schon sehr früh in jedem Verhältnis zu anderen, schon in dem zu seiner Mutter, die Führung übernahm, selber der Überlegene, Hilfreiche, Tonangebende wurde. So wahrte er seine Unabhängigkeit. Er belehrt und beschützt seinen jüngeren Bruder Erich. Sehr charakteristisch für ihn und ein Zeugnis davon, wie früh schon selbst äußerliche Züge, in denen diese Neigung sich ausprägte, bei ihm fest wurden, ist eine Photographie der beiden Brüder aus ihrer Knabenzeit; Walther legt dem Jüngeren von oben herab den Arm beschützend auf die Schulter, eine Geste, die ihm im vertrauten Gespräch mit Freunden immer natürlich blieb. Er spielte selbst bloßen Bekannten gegenüber bis an sein Lebensende, oft nicht ohne Anstoß zu erregen, gern den „großen Bruder“.

       Die Waffe, die ihm die Überlegenheit sicherte, war sein Verstand, ein von Rasse und Haus aus ungewöhnlicher und dann noch persönlich mit eisernem Fleiß erweiterter, trainierter, geschmeidig und glänzend gemachter, von Phantasie beflügelter Geist, der mit tausend Armen zur Abwehr um sich griff, wie ein indischer Gott, Willige und Widerstrebende umschlang und fesselte. Über den Ursprung hohen Verstandes dachte er geringschätzig, brandmarkte ihn als ein Erzeugnis der Furcht. Furcht und Mut „die mutvoll oder furchthaft gefärbte Willensstrebung, die Neigung zum Angriff, zum Hervorbrechen, und die Neigung zur Abwehr, zur Flucht“ sind, so sagt er, „die gewaltige Gegensätzlichkeit, welche die gesamte Schöpfung durchquert ... die gegensätzlichen Urelemente der menschlichen Seelenstimmung; unbeeinflusst vom Erlebnis, unabhängig vom Denken und Wollen, von Glauben und Wissen. Die Stimmungen (die eine oder die andere dieser Stimmungen) beherrschen von der Geburt bis zum Tode das Leben der Menschen, Völker und Rassen ... Mut kommt aus Stärke, Furcht aus Schwäche. Die Wehr der Starken ist Kraft und Zuversicht, die Wehr der Schwachen ist Furcht und Flucht ... Blick und Sorge ins Künftige gewandt, wird (der Furchtmensch) sich seiner Verstandeskräfte bewusst, die das Dunkel zerteilen. Er sinnt und sorgt, strebt und begehrt, forscht und grübelt. So schmiedet er sich zu der Wehr der Furcht die neue Waffe des Verstandes ...“ („Von Schwachheit, Furcht und Zweck“, S. 13 ff.)

       Das vornehmste Furchtvolk und daher das Volk der höchsten Geistigkeit sind die Juden. „Wann hat je ein Mensch, der den blonden Typus der Göttersöhne zeigt, in der Kunst und in Gedanken Großes geleistet?“ (W. R. „Aphorismen“). Ein Furchtvolk von Anfang an sind die Juden, und dann von ihrer Geschichte, ihrem „Gott“, zu einer einseitigen ungeheuren Überzüchtung dieses einen Organes, des Verstandes, gezwungen worden. In einem seiner funkelnden Tischgespräche, um 1906, erzählte Rathenau nach seiner Art die Geschichte des jüdischen Volkes dem Dichter Hofmannsthal, dem Diplomaten Mutius und mir: „Sehen Sie, das ist so: der liebe Gott hat es bei der Erschaffung der Welt gemacht wie ein guter französischer Koch, der eine Zutat, die er am Abend zum Diner gebrauchen will, schon am Morgen vorbereitet. Er hat sich den Luxus gestattet, eine Portion reinen Geistes „Geist“ definiert Rathenau in einem Brief an Frau Minka Grönvold als „das bewusst differenzierte Denken. Niedere Form: Verstand. Höhere Form: Vernunft“ (Brief 69), eine bestimmte Masse Hirnsubstanz in einen Topf zu tun, zu versiegeln und zwei Jahrtausende sozusagen in die Tiefe des Meeres zu versenken. In ihren wasserdichten Topf hat er ihr nur ein Buch, ein einziges Buch mitgegeben und sie im Übrigen hermetisch abgeschlossen gegen die übrige Welt und in sich fermentieren lassen. Was ist die Folge gewesen? Zweitausend Jahre hat diese Masse Geist immer wieder dieselben Gedanken bis zur äußersten Verfeinerung und Kompliziertheit durchgedacht. Man hat über jeden Satz in der Bibel Kommentare geschrieben und Kommentare zu den Kommentaren, und Kommentare zu den Kommentaren der Kommentare. Eine riesige Wissensmenge häufte sich um das eine Buch an, die nur wenige beherrschen konnten. Aber von Zeit zu Zeit erstand so einer, und dann wallfahrte man zu ihm von Cordova nach Krakau oder von Posen nach Lissabon. Die Macht und das Ansehen des Geistes, dieses ganz unpraktischen, aber aufs höchste verfeinerten und komplizierten talmudischen Geistes, wuchs aufs höchste. So bildete sich eine intellektuelle Form, die dann, am späten Abend der Zivilisation, für unsere heutige Welt, unser heutiges internationales Wirtschaftsleben unentbehrlich geworden ist. Ohne sie ist die moderne Weltwirtschaft undenkbar. Aber ich halte diesen bloßen Geist doch für unfruchtbar an sich. Simmel ist seine vollkommenste Anwendung in der Wissenschaft. Was kommt dabei heraus? Eigentlich betreibt er nur ein Wechselgeschäft mit Gedanken. Und selbst im Wirtschaftsleben ist es so. Die Juden sind das Salz der Erde; aber Sie wissen, was geschieht, wenn man zu viel Salz nimmt. Ich habe immer gefunden, dass die Leute, die bloß gescheit sind, in Geschäften unter die Räder kommen; und mit Recht! Sie sind für sich allein unproduktiv.“

       Furcht und als Erzeugnis der Furcht und einer einzigartigen Geschichte ein ungeheuerlicher, bis zur Unfruchtbarkeit überzüchteter Verstand, so empfand Rathenau die Erbmasse, die seine Vorfahren ihm vermacht hatten. Mag man zu dem Mythos, der zugrunde lag, der Vorstellung von dunklen, geistigen Furchtrassen und einer blonden, ungeistigen, mutigen Herrenrasse, stehen wie man will, psychologisch ist die Tatsache, dass er diesen Mythos ernst nahm und seiner Weltanschauung zugrunde legte, ein Bekenntnis. Rathenau, der, wie er später bewiesen hat, physisch furchtlos war, fühlte sich geistig als Glied einer dunklen, furchtsamen Sklavenrasse. Irgendwo saß in ihm die Furcht und erschien ihm als sein Grundtrieb; saß in ihm, spukte in ihm, jüdisch vergeistigt und verdünnt, in gespenstischer Gestalt als quälende Unsicherheit vor der brutalen Gewalt der Dinge, vor jeder geistigen, moralischen, gesellschaftlichen, materiellen Überlegenheit. Gerade in den Jahren, die über seine künftige Laufbahn entschieden, wurde sie vertieft durch eine Erfahrung, die ihm gleichzeitig sein Judentum und den harten Druck der Welt in schmerzlicher Weise zum Bewusstsein brachte. In seinem Aufsatz „Staat und Judentum“ sagt er: „In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist, und dass keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.“ Als Einjähriger bei den Garde-Kürassieren war er, obwohl militärisch tüchtig, nicht befördert worden.

Grafik 1

       Einjähriger bei den Garde-Kürassieren

      Die romantische Bewunderung, die er damals noch der preußischen Junkerkaste zollte, muss ihm die Demütigung besonders schmerzlich gemacht haben. Und so ließ er sich bestimmen und handelte, obwohl er sich dafür verachtete, aber weil er anders nicht seiner Unsicherheit Herr wurde, nach der Erbweisheit seiner Väter


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