Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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mit fünf Millionen Mark Kapital unter Emil Rathenaus Leitung die „Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektrizität“ gegründet, die Stammgesellschaft der späteren A. E. G.

Grafik 29

      Emil Rathenau, 6. von links, am 12. September 1891 beim Besuch des ersten

      Drehstromkraftwerks in Lauffen am Neckar

       Walther war, als der Vater die Edison-Patente erwarb und seine neue Laufbahn begann, vierzehn Jahre alt. Die Wirkung auf das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war tief und wurde für die Zukunft des Sohnes und seine spätere Weltanschauung entscheidend. Die zunächst für das Kind fühlbare Folge war, dass der Vater von dem neuen Beruf aufgezehrt, der Familie entzogen wurde. „Mehr als ein Jahrzehnt hindurch reichte die Arbeitszeit Rathenaus und seiner Mitarbeiter“, sagt Riedler, „von früh morgens bis spät in die Nacht mit einer halbstündigen Unterbrechung für das Mittagbrot. Bei Tisch wurden die geschäftlichen Angelegenheiten weiter besprochen, abends Betriebe besichtigt; über Nacht wurde Arbeit mit nach Haus genommen und auch Sonntags gearbeitet, denn am Sonntag ist man ungestört ... Rathenau hat sich jahrzehntelang kaum einen freien Nachmittag gegönnt; seine Erholung lag eigentlich nur im Wechsel der Arbeit, Erholung und Zeitvertreib im gewöhnlichen Sinne waren ihm fremd, und nur dem Zwange gehorchend unterbrach er die Arbeit. Er konnte wie Napoleon von sich sagen: „Ich bin geboren und gebaut für die Arbeit, ich kenne keine Grenze für die Arbeit.“ Der Erfolg war allerdings für die ganze deutsche Wirtschaft umwälzend. Bald wurde Emil Rathenau als Leiter des neuen Unternehmens einer der führenden Wirtschaftsorganisatoren, ein Schöpfer neuer Wirtschaftsformen, ein Bahnbrecher des Hochkapitalismus. Die Gabe, die ihn dazu befähigte, hat Riedler völlig einleuchtend definiert: Nur das Einfache konnte Rathenau begreifen, darum wandte er sich nur Dingen und Verhältnissen zu, die klar und einfach waren oder die er einfach gestalten konnte. Er konnte aus verwickelten Beziehungen das Wesentliche, überzeugend Einfache, herausholen, wo andere es nicht sehen konnten ... Er ist nie Angelegenheiten nahegetreten, die er nicht einfach gestalten konnte ... Das ist eine große, fruchtbringende Gabe. Denn das Einfache liegt nie in der Sache selbst, die hat immer zahlreiche Gestaltungen und Beziehungen voll innerer Widersprüche; das Wesentliche ist der Geist, der den Kern der Sache herausschält.“

Grafik 10

       Emil Rathenau

       Emil Rathenau hat die Massenproduktion in einem der wichtigsten modernen Industriezweige, der Elektrizitätswirtschaft, möglich gemacht, indem er Herstellung und Vertrieb von Grund auf rationell organisierte, er hat der Zusammenarbeit zwischen Banken und Industrie neue Wege gewiesen, indem er als Erster die gemeinsame Beteiligung vieler Großbanken an dem Unternehmen der A. E. G., das er begründet und aufgebaut hatte, durchsetzte und dadurch das Musterbeispiel gab, wie große Kapitalmassen auch für andere rasch wachsende Industriezweige mobil gemacht werden könnten; und er hat schließlich durch die planmäßige Verschmelzung mit anderen Elektrizitätsunternehmungen, durch die Hereinnahme fremder, aber verwandter Industriezweige, durch die Vereinigung vieler Unternehmungen zu einem Wirtschaftsganzen in seiner Hand, und durch Interessengemeinschaften mit großen ausländischen Gesellschaften wie der „General Electric Company“ in Amerika, dem Horizontaltrust die Bahn gebrochen. Die billige und dauerhafte Glühbirne als Massenartikel, das städtische Kraftwerk als neues Herz der Stadt, die Ausbreitung des elektrischen Stromes als Kraft und Licht über das platte Land, die wirtschaftliche Ausnutzung der Wasserkräfte zur Erzeugung und Verteilung von Elektrizität, die Einführung des elektrischen, an Stelle des Dampfbetriebes, in die Industrie und den Verkehr, diese heute selbstverständlich scheinenden Grundlagen der neuen Großwirtschaft, sind ihm mehr als irgendeinem anderen zu danken: das heißt der einzigartigen Vereinigung höchster technischer und kaufmännischer Begabung in seiner Person. Walther Rathenau hat das umwälzend Neue seiner Tätigkeit dahin zusammengefasst: „Bei der Schaffung der angewandten Elektrotechnik handelte es sich um die Entstehung eines neuen Wirtschaftsgebietes und um eine Umgestaltung eines großen Teils aller modernen Lebensverhältnisse, die nicht vom Konsumenten ausging, sondern vom Produzenten organisiert und gewissermaßen aufgezwungen werden musste.

      Die Länder, die die Entwicklung den Konsumenten überließen, konnten ein solches Wirtschaftsgebilde nur unvollkommen und aus zweiter Hand erhalten. Die Elektrizität in ihrer heutigen Zentralisation dagegen entstand eigentlich in Deutschland, einem weder kapitalistisch noch geographisch hierzu besonders prädisponierten Lande, während in Amerika die elektrische Industrie zwar infolge des enormen Konsums einen lebhaften Aufschwung nahm, aber doch immerhin bis in die jüngere Zeit die Form der älteren Industrien, wenn auch in größten Dimensionen, beibehalten hat.“ (Brief 29.)

       Unter den Männern vergleichbaren Formats, die bei der Entstehung der modernen Großwirtschaft führend hervortraten, erscheint Werner Siemens größer als Gelehrter, Edison bahnbrechender und unermüdlicher als Erfinder, Ford konsequenter als Organisator von Maschinen und Arbeitskräften; aber Emil Rathenau bleibt, mindestens für die deutsche und europäische neue Wirtschaft, die am meisten typische Persönlichkeit, weil die beiden Grundtendenzen, die sie von jeder früheren Wirtschaft unterscheiden, die sofortige Nutzbarmachung jeder technischen Neuerung für den Massenverbrauch und die sofortige Heranziehung jeder neuen Kapitalquelle für die Vergrößerung der Produktion in ihm am einheitlichsten und zielbewusstesten hervortreten.

       Denn die Rücksichtslosigkeit, mit der beide Tendenzen bei Rathenau auf ein Ziel eingestellt wurden, die unerbittliche Logik, die jeden Schritt auf dieses Ziel hin prüfte, sind die Grundlagen seiner Unternehmertaktik und der Hauptgrund, warum er in seiner langen Tätigkeit nie einen wesentlichen Rückschlag erlitten hat. Er galt lange Zeit selbst bei einigen seiner Mitarbeiter für einen vom Glück begünstigten Spekulanten. Sogar ein Vorsitzender seines eigenen Aufsichtsrates hat einmal erstaunt gefragt: „Versteht er denn auch etwas von der Technik?“ Tatsächlich waren seine Erfolge die Frucht der fast fanatischen Einseitigkeit, mit der er ungewöhnliche technische und kaufmännische Kenntnisse für einen einzigen Zweck einsetzte. Gelderwerb war ihm persönlich gleichgültig; er besaß für seine Person keinen Erwerbssinn. Aber sein strenger Grundsatz, den er auch allen Mitarbeitern einschärfte, war, so berichtet Riedler: „Wir müssen für die Aktionäre Geld verdienen; eine andere Aufgabe haben wir nicht, dafür sind wir angestellt; wir haben nur dann unsre Schuldigkeit getan, wenn das Unternehmen großen Gewinn bringt.“ Das schuf ihm seine Stellung bei den Banken und die Möglichkeit, über fast unbegrenzte Mittel zu verfügen: Die großen Gewinne öffneten ihm die Kassenschränke. So sicherte er sich die eine unentbehrliche Triebkraft für die Erweiterung seiner Fabriken zu Weltunternehmungen: den Zufluss fast unbegrenzten Kapitals. Und ebenso rücksichtslos spannte er die andere Triebkraft der modernen Großwirtschaft, die fortdauernde technische Vervollkommnung für den gleichen Zweck ein, indem er sie, wie später Ford, unerbittlich auf Massenproduktion und Verbilligung hinlenkte. So wurde er in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ein vollkommenes, ja ins Riesenhafte aufgeschossenes Exemplar des „Zweckmenschen“, wie Walther Rathenau diesen Typus später bezeichnet hat, den Typus, der sich ganz irgendwelchen außerhalb seiner Person liegenden Zwecken unterordnet. „Was nicht einheitlich organisch in sein Denken und Schaffen passte, ließ er unberührt, mochte es noch so bedeutend scheinen oder sein“, sagt Riedler, „um Gebiete, auf denen er nicht Meister sein konnte oder wollte, bekümmerte er sich nicht. Jede Zersplitterung der Kräfte vermied er. Sein persönlicher Interessenkreis war, der Selbstbeschränkung entsprechend und mit dem üblichen Maßstabe moderner Vielgeschäftigkeit gemessen, sehr eng. Eigentlich hat ihn nur sein Beruf interessiert. Dennoch war sein Gesichtskreis ein sehr weiter. Rathenau hatte eine vorzügliche Allgemeinbildung; aber alles, woran er nicht inneren Anteil nahm, war bald vergessen. Aus seiner Schulzeit hat er nicht viel mehr behalten als geographische und naturwissenschaftliche Kenntnisse ... Dauernd interessierte ihn nur die Welt der Tatsachen, das vielgestaltige technische und wirtschaftliche Leben. Kunst im üblichen Sinne hat ihn wenig angezogen. Alles Belletristische blieb ihm fremd, das Theater war ihm nur Zeitvertreib, bei dem man nicht aufzupassen braucht; er hörte nur halb hin und sah Stücke mehrere Male, ohne es zu merken.“ Das gleiche berichtet Stendhal von Napoleon: Während der Oper addierte er die


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