Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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Dingen, nicht in Begriffen und Worten: Er nahm alle überlieferten Verhältnisse als gegeben, außer wo sie seine Arbeit betrafen. Da war er kühn, phantasievoll und voll seltener Intuition ...“ (Brief 584.)

       Was den Verkehr mit ihm oft schwierig machte, war der Wechsel, der jäh und unberechenbar eintrat, zwischen übersprudelndem grenzenlosen Vertrauen und wortkarger, missmutiger Verschlossenheit. „Unbegrenzter Optimismus“, sagt Riedler, „erfüllte Rathenau beim Planen, Pessimismus und schärfster Zweifel bei der Ausführung.“ In der optimistischen Stimmung öffnete er jedem sein Herz, riss die ganze Welt in sein Vertrauen, „erzählte alles, was er auf dem Herzen hatte ... plauderte über seine Pläne, selbst mit Wettbewerbern ganz rückhaltlos ... Es wird die Geschichte erzählt, dass eine große Unternehmung an St. Moritz Bad zugrunde gegangen sei. Ihr Direktor fand sich alljährlich in St. Moritz ein, wenn Rathenau auch dort war, erfuhr von ihm die neuesten Ideen und führte sie dann nach eigenem Ermessen durch, ohne die nötige Kritik, mit fortdauerndem Optimismus und schlechtestem Erfolge.“ (Riedler.) In dieser optimistischen Phase war er ein Visionär, ein Prophet. „Was er erzählte und was er schilderte,“ sagt Walther Rathenau in seiner Gedächtnisrede, „das war die Zukunft, und in dieser Zukunft sah er so klar wie wir sehen in unserer Zeit ... So sah er viele Dinge, die heute unerfüllt sind und die einst der Erfüllung entgegengehen“; ja, er sah sie so wie Faust im unfruchtbaren Meer Räume für viele Millionen, „nicht sicher zwar, doch tätig frei zu wohnen.“ Dann aber wurde dieser Faust plötzlich zum Mephisto. „Sein letzter Wahrheitswille“, sagt sein Sohn an derselben Stelle, „drang tiefer in den Kern des Lebens und der Dinge ... Und so wandte er sich gegen sich selbst, so zerriss er in den Augenblicken des Zweifels, des Ungenügens und der Bedrängnis sein eigenes Werk.“ Riedler beschreibt das im Einzelnen: „Das Gegensätzliche, der stärkste Pessimismus war bei Rathenau am Werk, wenn die verantwortliche Gestaltung nahte. Dann begann er eines Tages unerwartet, als ob er sich vorher für die Idee überhaupt nie begeistert hätte, die strengste Kritik daran zu üben und stand fortan allen damit zusammenhängenden Fragen streng prüfend gegenüber. Unvermittelt folgte der größten Begeisterung das größte Misstrauen. Besprach er vorher die Idee mit jedem, so verarbeitete er nunmehr alles allein, war nicht mehr mitteilsam, lebte der Selbstkritik, der Aufspürung und Widerlegung von Bedenken und war schwer zugänglich ... Inmitten der von Pessimismus gespaltenen Arbeit war er oft niedergeschlagen, nie freudig erregt wie beim ersten Planen, nicht großzügig schwärmend, ganz nüchtern ...“

       Dieser Pessimismus hatte dann für Familie und Mitarbeiter noch überaus peinliche praktische Auswirkungen. „Die Anspruchslosigkeit Rathenaus war ungewöhnlich“, sagt Riedler, „seine persönlichen Lebensansprüche waren sehr bescheiden, danach beurteilte er auch andere. Wenn nun die pessimistische Stimmung eintrat, dann zeigte sie sich auch in Geldsachen; er verlangte dann in allen Dingen die größte Sparsamkeit. Sein Freund, der Bankier Carl Fürstenberg, hat einmal gesagt: „Rathenau begreift und billigt alles bis zum Betrage von dreihundert Mark, dann kommt eine große Lücke, innerhalb deren er finanzblind ist. Erst bei drei Millionen fängt das Verständnis wieder an.“ Diese „treffende Kennzeichnung“, bemerkt hierzu Riedler, „ist aber dahin zu ergänzen, dass die kleinen Ausgaben vereinzelt bleiben mussten, sich nicht summieren oder multiplizieren durften, sonst war er auch bis zum Bereich von dreihundert Mark unerbittlich ... Die Geldausgaben für den bloßen Verbrauch vertrug er nicht ...“ Man versteht daher, was Walther Rathenau andeutet, wenn er in seiner „Apologie“ sagt: „In Not bin ich nicht aufgewachsen, aber in Sorgen“, und fühlt den tieferen, etwas schmerzlichen Sinn in dem drolligen Gratulationsschreiben des Dreizehnjährigen an die Mutter, in dem er unter einen Geldsack in zierlicher Kinderhandschrift die Unterschrift gesetzt hat:

      „Stirb, Ungeheuer!

      Du aller Sorgen,

      Du alles Kummers

      Drückende Last.“

       Der in jähem Wechsel stürmisch vertrauensselige und dann unvermittelt missmutige und verschlossene Vater scheint das Kind hauptsächlich abgestoßen zu haben. Denn ganz im Gegensatz zu seinem Vater war Walther Rathenau schon als Kind von einer nie versagenden Gleichmäßigkeit des Temperaments, von einer unerschütterlich heiteren Verschlossenheit und Kühle. Nichts lag ihm bereits damals weniger als Gefühlsausbrüche oder Aufregung. Wie Etta Federn-Kohlhaas in ihrem hübschen Buch über ihn berichtet, hat ihr die Mutter erzählt, dass er den kleinen Strafen, die sie wegen gelegentlicher Unarten über ihn verhängte, eine lächelnde Gelassenheit entgegensetzte, die die Strafe in sich aufhob. „Die Mutter stellte ihn in die Ecke, und dort blieb er heiter lächelnd und gänzlich unbekümmert ohne Trotz stehen, bis sie ihn aus einem zwingenden Grunde, wie die Heimkehr des Vaters oder das abendliche Schlafengehen, hervorholen musste. Dann kam er heiter und liebenswürdig, ohne Trotz, aber auch ohne jede Bekümmerung, und sie sah ein, wie zwecklos das Strafen gewesen war, „Mit dieser heiteren Verschlossenheit verband sich ein schon damals sehr ausgeprägtes Gefühl für die eigene Würde und Verantwortung, ein starkes kindliches Selbstgefühl. Eine französische Gouvernante erzählt, wie ebenfalls Etta Federn-Kohlhaas berichtet, „wie liebenswürdig, gütig und in einer kindlichen Art verantwortungsbewusst der kleine Knabe versprach, für sie zu arbeiten und zu sorgen, damit sie schöne Kleider und gutes Essen habe und nichts zu tun brauche.“ Das Selbstgefühl des Kindes muss der Vater mit seiner flackernden Zärtlichkeit, seiner jäh einsetzenden Gleichgültigkeit oft schmerzlich verletzt haben.

       Vater und Sohn waren von Charakter sehr verschieden; die Grundzüge seines Wesens, die guten Nerven, die kühle Herzensgüte, die hinter einer gleichmäßigen und heiteren Unnahbarkeit verborgen lag, sowie das starke Selbstgefühl hatte der Sohn offenbar von der Mutter. Diese, die aus Frankfurt am Main stammte, aus einer begüterten jüdischen Bankier-Familie Nachmann, war eine Frau von fast bäurisch gesunden Nerven, von unerschütterlicher Ruhe und Würde, eine Puritanerin, deren wie aus Granit gemeißeltes Profil niemand vergessen wird, der sie bei der Beisetzungsfeier ihres ermordeten Sohnes im Reichstag gesehen hat. Als junge Frau war sie sehr schön, ausgesprochen südländisch, mit dunklen Augen und Locken, die vielleicht von spanischen Vorfahren stammten. Sie kam aus einem reichen Frankfurter Hause mit zahlreicher Dienerschaft, Equipagen, allem Luxus in die knappen Verhältnisse der Chausseestraße und brauchte lange Zeit, um sich einzuleben. Sie tröstete sich mit ihrem Söhnchen, mit Musik, war schöngeistig, sentimental, romantisch, aber im Verkehr mit Männern herb, mit ihrem eigenen Manne und mit ihren Kindern leidenschaftlich eifersüchtig. Eine Frau von großem Format und zielsicherer Klugheit, die es verstand, den Sohn an sich zu fesseln, während zwischen ihm und dem Vater fortwährend kleine Reibungen und Verstimmungen vorkamen.

       Dieser harte, visionäre, oft in Gelddingen kleinliche Hausvater war noch dazu auf der Höhe seiner Schaffenskraft zehn Jahre ohne regelmäßige Beschäftigung, meistens verstimmt, grüblerisch, friedlos, innerlich zerwühlt vom Drang nach neuer Betätigung, ohne Aussicht auf Verwirklichung seines Wunsches. Anfang der siebziger Jahre hatte er seine Maschinenbauanstalt in der Chausseestraße verkauft und sich bald nach der Krisis von 1873 auch von ihrer Leitung zurückgezogen. „Zu jung für den Beruf eines Rentners“, warf er sich auf das Studium der Technik in allen ihren Zweigen. Zu Studienzwecken besuchte er die rasch aufeinanderfolgenden großen Ausstellungen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Anfänge der Weltwirtschaft begleiteten: Wien 1873, Philadelphia 1876, Paris 1878, wo er das erste Bogenlicht kennenlernte, 1881 wieder Paris, wo in der Elektrizitätsausstellung zum ersten Male von Edison das Glühlicht gezeigt wurde. Die Elektrotechnik hatte den Maschineningenieur Rathenau bis dahin wenig angezogen. Aber das neue Glühlicht wirkte auf ihn wie eine Offenbarung: „Rathenau erkannte“, sagt Riedler, „dass dem Glühlicht die Zukunft gehöre, dass es nicht nur die Lampe des Luxus sei, sondern auch der Kleinbeleuchtung, selbst für Dachkammern und Stallungen, während das Bogenlicht keins von beiden sein kann.“ In einem Anfall des ihm eigentümlichen visionären Optimismus erwarb er noch auf der Ausstellung die europäischen Patente von Edison. Und da er selbst nicht genügend Mittel hatte, lieh er sie sich von einigen befreundeten deutschen Firmen und gründete mit dem geliehenen Gelde gleich nach seiner Rückkehr in Berlin eine Versuchsgesellschaft. Schon 1882 konnte er auf der Elektrotechnischen Ausstellung in München eine Glühlichtanlage zeigen, die Aufsehen erregte. Der Intendant von Perfall übertrug ihm noch während der Ausstellung die Beleuchtung des Königlichen Residenztheaters; allerdings, wie Riedler


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