Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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       Der Eindruck, den Walther Rathenau von seinem Vater in diesen Jahren empfangen hatte, hat sich ihm, bewusst oder unbewusst, viel später, als längst zwischen beiden die innigste Freundschaft und Zusammenarbeit erwachsen war, verdichtet zu zahlreichen Zügen, die er seinem „Zweckmenschen“ verleiht. So in der „Mechanik des Geistes“: „Da der Zweck ihn (den Zweckmenschen) ganz hinnimmt, so bleibt er bei aller Erfüllung arm und glücklos ... Zweckhaftes Schaffen ist Frondienst.“ Und in „Von kommenden Dingen“: „Die Dinge selbst, vernachlässigt und verachtet, bieten (dem Zweckmenschen) keine Freude mehr, denn sie sind Mittel geworden. Mittel ist alles, Ding, Mensch, Natur, Gott; hinter ihnen steht gespenstisch und irrend das Ding an sich des Strebens: der Zweck. Der nie erreichte, nie erreichbare, nie erkannte: ein trüber Vorstellungskomplex von Sicherheit, Leben, Besitz, Ehre und Macht, von dem je so viel erlischt, als erreicht ist, ein Nebelbild, das beim Tode so ferne steht wie beim ersten Anstieg. Ihm drohend gegenüber erhält sich, realer und tausendfach überschätzt, das furchtbare Bild der Not. Von diesen Phantasmen gezogen und getrieben, irrt der Mensch vom Irrealen weg zum Irrealen hin: Das nennt er leben, wirken und schaffen, das vererbt er als Fluch und Segen denen, die er liebt.“ (S. 39.)

       Das muss dem jungen Walther Rathenau beim Anblick seines Vaters sehr bald eingeprägt worden sein durch tägliche Erlebnisse und Enttäuschungen. Sein Vater war nicht Herr, sondern Knecht der von ihm selbst aufgerichteten riesigen Maschine: umso unfreier, je größer diese Maschine wurde. Und hierdurch bekam das Verhältnis zwischen Vater und Sohn einen neuen Stoß. Denn ein tiefer Grundzug Walther Rathenaus, vielleicht der ausgeprägteste in ihm, war eine unbändige Abneigung gegen jede Art von Abhängigkeit. Jede Beschränkung seiner Unabhängigkeit empfand er als Schmerz, gegen den er sich mit allen Mitteln zur Wehr setzte. Wer anders fühlte, war ihm unverständlich und immer ein wenig verächtlich; und sein Vater fügte sich in eine beispiellose Unfreiheit freiwillig. Wie eifersüchtig der Primaner Walther Rathenau sich jeder Bevormundung oder Aufsicht entzog, bezeugt eine Geschichte, die Etta Federn-Kohlhaas von der Mutter erfahren hat. Diese erzählte, wie sie im Wilhelm-Gymnasium einer der öffentlichen Prüfungen beiwohnen wollte und sich ganz vorn hinsetzte. „Als ihr Sohn mit seiner Klasse kam, schien er sie nicht zu bemerken, beantwortete aber keine Frage und blieb völlig stumm. Der exponierte Sitz war der Mutter sehr peinlich, und sie ging erzürnt und beschämt nach Hause, wo sie den Sohn mit Vorwürfen empfangen wollte. Aber der kam sehr unbekümmert und vergnügt an und fragte sie gleich, ob sie bald wieder zu einer Prüfung kommen werde?“

      Und einige Jahre später schreibt er als junger Beamter an seine Mutter aus Neuhausen: „Mich bringt es zur Verzweiflung, dass ich abhängig bin, und dass ich niemals einen Ausweg, niemals ein Ende sehe. Jeden Tag kontrolliert werden, Arbeiten bekommen, sich ausfragen lassen müssen, sich zu Bitten erniedrigen müssen, wo man glaubt, Recht zu haben, bisweilen zu Entschuldigungen; mit inferioren Menschen kollegial stehen ... das macht nach Jahr und Tag verrückt, wenn man seine Freiheit höher stellt als den Rest.“ Mit diesen Gefühlen und Anschauungen betrachtete er die Unfreiheit seines Vaters. Die persönlichen Eigenschaften Emil Rathenaus, seine sprunghaften Launen, seine Schwierigkeit in Gelddingen, hatten zwischen Vater und Sohn Reibungen ergeben; die unpersönlichen Begleiterscheinungen seiner Stellung als großer Wirtschaftsführer erzeugten einen prinzipiellen Gegensatz, der leicht zu einer völligen Entzweiung, vielleicht zu einer Katastrophe, hätte führen können (der Sohn beging einen Selbstmordversuch) und dessen Überwindung nach vielen Jahren ein grundlegendes Ereignis in der inneren Entwicklung Walther Rathenaus wurde.

       Zunächst schloss sich der Sohn ganz an die Mutter an. In ihr lernte er die Welt der Goetheschen und romantischen Ideale und einer ruhigen Würde von der anziehendsten Seite kennen; während sein Vater die andere neue Welt der atemlosen Jagd nach Gewinn, des rastlosen Suchens nach technischer Neuerung in einer ihm würdelos erscheinenden Form verkörperte. Allerdings aber doch so unabweisbar, so eindrucksvoll genialisch, dass sie sich tief in die Seele des Kindes einbohrte. Dieser Gegensatz zwischen den gleich mächtigen Eindrücken, die er von Vater und Mutter empfing, hat gewiss beigetragen zu der Doppelbestimmung Walther Rathenaus, zu jenem nie in ihm ausgeglichenen Konflikt zwischen dem Hang zu weltfremder seelischer Verinnerlichung und der geheimnisvoll unwiderstehlichen Nötigung zu eng auf einen Zweck eingestelltem kaufmännischem und technischem Schaffen, zu jener Doppelheit, die ihn schließlich tragisch innerlich zerriss und äußerlich zu einem Gegenstand des Anstoßes und des Hasses für Millionen machte: bis ein gewaltsamer Tod ihm selbst und vielen seiner Freunde wie ein zwangsläufig unentrinnbares Schicksal erschien. Es war der gleiche Konflikt zwischen dem Zwang zu rastlosem technischen Fortschreiten, das die ganze Kraft des Menschen beansprucht, und dem unabweisbaren Drang nach Entfaltung aller Seelenkräfte, ohne Rücksicht auf ihre Nutzbarkeit, der Hass und Verachtung von Millionen gegen unsere Zivilisation unterhält, und auch ihr, wie dem ähnlich zerrissenen und verhassten Walther Rathenau, ein gewaltsames Ende wie ein fast unabwendbares Schicksal in Aussicht stellt. Gerade deshalb, weil dieser Konflikt, der der Konflikt der Epoche ist, Rathenaus Schicksal gestaltet hat, wirkt seine Figur nicht einmal so sehr durch seinen Tod wie durch sein innerlich zerrissenes und in den letzten Jahren dauernd bedrohtes Leben wie ein tragisches Sinnbild unserer Zeit.

      * * *

      Der Weg des Geistes

       Der Weg des Geistes

      Walther Rathenaus Eigenart, die Bewegung seines Innenlebens um zwei nicht aufeinander abgestimmte Achsen, dem Willen zu zweckhaftem Schaffen und dem zu weltferner innerer Vertiefung, von denen bald die eine, bald die andere als die Hauptachse erscheint, bildet sich unter den gegensätzlichen Einflüssen des Elternhauses früh aus. In den doppelten Wirbel wird dann allmählich eine ungeheure Menge von Kenntnissen, Erlebnissen und Erfahrungen hereingezogen, in stetem Fluss gehalten durch die zwei feindlichen Antriebe, zwischen ihnen hin und her geschleudert, wie farbige Glasstückchen in einem Kaleidoskop immer neu zusammengewürfelt, bis schließlich eine unübersehbare, nach undurchschaubaren Gesetzen sich selber instrumentierende Vielstimmigkeit, ein einzigartiges Ballett von Vorstellungen die glänzende Hülle wird, hinter die sich das Schwanken seiner Natur zwischen den in ihr wirkenden zwei entgegengesetzten Grundtrieben zurückzieht. Das ist von innen betrachtet die Geschichte von Rathenaus Jugend.

       Von außen gesehen, verliefen seine Jugendjahre sehr gewöhnlich. Auf den verschiedenen Gymnasien, die er besuchte, war er nirgends ein Musterschüler. Nur im Deutschen glänzte er. Der Drill der deutschen Erziehung verletzte seinen Unabhängigkeitsdrang. Unbefriedigende Zensuren verschärften die Spannung zwischen Sohn und Vater. Doch macht er schon mit siebzehn Jahren das Abiturientenexamen. Dann studiert er in Berlin und Straßburg: bei Helmholtz mathematische Physik, bei Hofmann Chemie, bei Dilthey Philosophie. Mit zweiundzwanzig Jahren, 1889, promoviert er mit einer Dissertation über „Die Lichtabsorption der Metalle“. Er wendet sich dem neu entstehenden Industriezweig der Elektrochemie zu, mit der bezeichnenden Begründung, dass dieses der einzige Zweig der Elektrotechnik sei, auf den die Unternehmungen seines Vaters noch nicht die Hand gelegt hätten. Um sich darauf vorzubereiten, studiert er ein Jahr in München Maschinenbau und Chemie und wird dann technischer Beamter der „Aluminium-Industrie A. G.“ in Neuhausen in der Schweiz, wo er ein Verfahren ausarbeitet, um durch Elektrolyse Chlor und Alkalien zu gewinnen. 1893 übernimmt er die Leitung der „Elektrochemischen Werke G. m. b. H.“ in Bitterfeld und bleibt dort sieben Jahre an der Spitze dieses fortwährend mit Schwierigkeiten kämpfenden, wenig ertragreichen Unternehmens, bis es sich geschäftlich durchgesetzt hat. Mit seinem Fortgang aus Bitterfeld sind seine Lehrjahre zu Ende.

      Wenn man im Einzelnen die innere Entwicklung Rathenaus während dieser Jugendjahre betrachtet, so sieht man die Tragödie seines Schicksals zwangsläufig herannahen. Wie die Figuren eines Dramas treten nacheinander und nebeneinander die Charaktereigenschaften auf, die den tragischen Knoten schürzen und Rathenau zu einem symbolischen Opfer seiner Zeit machen.

       Im Elternhaus schloss er sich, wie bereits gesagt wurde, eng an die Mutter an. Aber auch ihr öffnete er sich nicht ganz. Die Erinnerungen, die Etta Federn-Kohlhaas verzeichnet hat, lassen erkennen, wie er eine gläserne Wand zwischen sich und ihr aufrichtete, eine lächelnde Abwehr der letzten Innigkeit, die für das Kind im Verhältnis zur Mutter immer zugleich eine halbe Unterwerfung ist:


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