Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski. Harry Kessler

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Walther Rathenau - Leben und Werk - Band 126 in der gelben Reihe bei Jürgen Ruiszkowski - Harry  Kessler


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nicht zu brauchen. Sie haben keine Kenntnis von den Personen und wollen alles Vielfältige strahlenförmig einordnen‘.“

      Wie er im Übrigen das neue Reich von seinem neuen Standort Berlin aus sah, hat er in knappen Zügen in seinen Schriften „Der Kaiser“ und „An Deutschlands Jugend“ festgehalten:

      „Man war reich geworden, mächtig geworden und wollte es der Welt zeigen ... Ein überhitztes, tatsachenhungriges Großstadtleben, auf Technik und sogenannte Errungenschaften gestellt, begierig nach Festen, Erstaunlichkeiten, Aufzügen und ähnlichen Nichtigkeiten, für die der Berliner die Spottnamen Klimbim und Klamauk erfunden hat, veranlasste eine Repräsentation, die Rom und Byzanz, Versailles und Potsdam auf einer Platte vereinigte ...“

       „Den Monarchen umgab das Hofgesinde, das in entsagungsvoller Sorgsamkeit ihn vergötterte, den Staat als Allerhöchste Familienangelegenheit ansah und alles Widrige ihm fernhielt. ‚Er muss Sonne haben‘, hieß es.“

      „Den Hof umschloss die Schicht des ländlichen, militärischen und bürokratischen Adels. Ihr gehörte Preußen, sie hatte es mitgeschaffen, sie war in Wechselbeziehung der Interessen mit der Krone verbunden ...“

      „Um diese Schicht lagerte sich das plutokratische Bürgertum, Einlass fordernd um jeden Preis und bereit, alles zu verteidigen, für alles einzustehen ...“

      „Draußen aber lag das Volk. Das Landvolk zäh, ohne Vergleichsbild, der Führung des ländlichen Adels, der Kirche, des Instruktionsfeldwebels, des Landrats hingegeben, das Stadtvolk beweglich, respektlos, doch imponierbar, im Taumel des Verdienens und Vergnügens sich verbrauchend. Abseits grollend die Arbeiterschaft, abweisend und abgewiesen, grundsätzlich die Gegenwart verneinend, der Zukunft lebend.“

      Als Typus der hoffnungsvollen Jugend, die Aussicht auf „Karriere“ hatte, „der Patentscheißer, aufgeschwemmte Burschen, schnöde und zynisch im Auftreten, mit geklebtem Scheitel, gestriemten Gesichtern, Reiterstegen an den gestrafften Beinkleidern, schnarrender Stimme, die den Kommandoton des Offiziers nachahmte. Den Hochschulbetrieb verachteten sie, die kümmerlichen Prüfungsreifen erlangten sie durch sogenannte Pressen, ein feindseliges und herausforderndes Wesen trugen sie zur Schau, außer wenn es sich um Konnexionen handelte, ihre Zeit verbrachten sie mit Pauken, Saufen und Erzählen von Schweinereien. Solche Gestalten wurden geduldet, ja anerkannt; sie waren bestimmt, zu denen zu gehören, die das Volk regieren, richten, lehren, heilen und erbauen.“

       Diese, wie Domela bezeugt, noch heute nicht völlig ausgestorbene Art, beherrschte damals in der Tat alle Zugänge zur Macht im Staat. Man konnte ihr und ihren Vertretern in Beamtentum und Militär nur von oben beikommen; von unten ließ sie sich nur strategisch umgehen, nicht durchbrechen. Rathenau, dem solche bloß auf Anmaßung und Missbrauch der Macht beruhende Überlegenheit besonders zuwider sein musste, umging sie, indem er sich die Türen zu demjenigen Teil der Hofgesellschaft, welcher Geist und Eigenart schätzte, zu öffnen verstand. Dieser Kreis, durch den etwas frische Luft und Kultur in die obersten Regionen des Militär- und Beamtenstaates eindrang, vereinigte Elemente aus den Umgebungen der Kaiserinnen Augusta und Friedrich mit solchen aus der Hocharistokratie, die mehr europäisch als bürokratisch eingestellt waren. Er hatte sich von Salon zu Salon fortgeerbt, von den Zeiten, da die Frau des preußischen Hausministers von Schleinitz, die spätere Gräfin Wolkenstein, gegen Bismarck frondierte und Richard Wagner protegierte, über die Teezirkel der Kaiserin Augusta, die sich den französischen Dichter Jules Laforgue als Vorleser hielt, über die Atelierbesuche und musikalischen Unterhaltungen der Kaiserin Friedrich, bis in eine Anzahl von Salons, die um 1900 in der Berliner Hofgesellschaft den Ton angaben: den Salon der schönen Palastdame Gräfin Harrach, den der Frau von Hindenburg, Tochter des Fürsten Münster, den der Frau Cornelie Richter, Tochter Meyerbeers, den der Fürstin Guido Henckel-Donnersmarck, geborenen Murawioff, den der Fürstin Marie Radziwill, geborenen Gräfin Castellane, vor allem den der Fürstin Bülow, der Frau des Reichskanzlers, der schönen italienischen Prinzessin Camporeale. Diese Salons übten durch ihre europäischen Beziehungen, ihr Ansehen, ihre Unabhängigkeit selbst gegenüber dem Kaiser, ihre Lebensart und gesellschaftliche Klugheit einen Einfluss aus, der bei der Besetzung hoher und höchster Posten, namentlich in der Diplomatie, dem Einfluss der Beamtenkreise die Wage hielt; besonders gerade unter den Kanzlerschaften von Bülow und Bethmann, die beide zu diesem Kreise gehörten. Rathenau war in dieser Welt, die sich damals noch streng abschloss gegen den neuen Reichtum, bald nach 1900 als einziger seiner Gesellschaftsschicht ein gern gesehener Gast. Eine der großen Damen, deren Salon ich genannt habe, schreibt mir auf meine Frage nach ihren Beziehungen zu Walther Rathenau: „Es sind über zwanzig Jahre, seit ich Walther Rathenau kennen lernte bei einem kleinen Diner bei Frau Richter. Als mir Gustav Richter sagte, Rathenau sollte mich führen, war ich nicht zufrieden, weil ich immer dort gewohnt war, einen nahen Freund als Führer zu haben. Gustav amüsierte sich sehr, weil auch Rathenau nicht zufrieden war; Cornelia lächelte verständnisvoll, sie hatte uns zusammenbringen wollen! Wir verstanden uns gleich. Mit Rathenau hatte ich immer das Gefühl des Ausruhens von Kritik, die ich sonst leicht empfinde. Er kam, wenn er konnte, oft zu mir, er hatte gleich den Tag nach unserer Bekanntschaft gesagt, wie er sich darüber freute.“ – Das Geheimnis von Rathenaus gesellschaftlichen Erfolgen steht hier zwischen den Zeilen. Er verstand es, wenn er wollte, in der Gesellschaft ebenso wie später in diplomatischen Verhandlungen, mit einer blitzschnellen Intuition sich seinen Hörern anzupassen, sie nie seine Kritik fühlen zu lassen, und sie doch durch das Schillern seines erstaunlich vielseitigen Geistes so zu fesseln, dass sie ihn mit dem Wunsch verließen, bald wieder mit ihm zusammenzukommen.

      Darauf beruhte wohl auch seine Beziehung zum Kaiser.

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       Wilhelm II – 1902

       Abgesehen davon, dass beide viele verwandte Züge hatten – denn auch der Kaiser war ein „Furchtmensch“, mit dem Grundtrieb, seine Schwäche durch „Führung“ zu maskieren – eröffnet Rathenaus Schrift „Der Kaiser“ einen Einblick in die Art, wie er sich in den Monarchen einfühlte und kritische Bedenken in Mitgefühl weich bettete. Von 1901 an hat Rathenau den Kaiser „durchschnittlich ein bis zweimal im Jahr“ gesehen, „manchmal freilich einige Stunden lang“. „Das erste Mal sollte ich vor ihm einen wissenschaftlichen Vortrag wiederholen, den ich zuvor in einem größeren Kreise gehalten hatte, und der mir daher geläufig war. Der Kaiser saß dicht vor mir, ich konnte ihn genau betrachten.

      Wie anders als ich ihn erwartet hatte. Ich kannte die schneidigen Jugendbilder mit breiten Backen, gesträubtem Schnurrbart, drohenden Augen; die gefährlichen Telegramme, die kraftstrotzenden Reden und Denksprüche.

      Da saß ein jugendlicher Mann in bunter Uniform, mit seltsamen Würdenzeichen, die weißen Hände voll farbiger Ringe, Armbänder an den Handgelenken; zarte Haut, weiches Haar, kleine weiße Zähne. Ein rechter Prinz; auf den Eindruck bedacht, dauernd mit sich selbst kämpfend, seine Natur bezwingend, um ihr Haltung, Kraft, Beherrschung abzugewinnen. Kaum ein unbewusster Moment; unbewusst nur – und hier beginnt das menschlich rührende – der Kampf mit sich selbst; eine ahnungslos gegen sich selbst gerichtete Natur.

      Viele haben es mir seither gestanden: Hilfsbedürftige Weichheit, Menschensehnsucht, vergewaltigte Kindlichkeit, die hinter physischer Kraftleistung, Hochspannung, schallender Aktivität fühlbar wurde, hat sie ergriffen und empfinden lassen: Diesen Menschen muss man schützen und mit starkem Arm behüten, vor dem, was er fühlt und nicht weiß, was ihn zum Abgrund zieht.

      Ein Freund fragte nach dem Eindruck der Erscheinung und des Gesprächs. Ich sagte: ein Bezauberer und ein Gezeichneter. Eine zerrissene Natur, die den Riss nicht spürt; er geht dem Verhängnis entgegen.“ („Der Kaiser“ S. 26f.)

       Rathenau hätte wahrscheinlich damals eine Staatsstellung haben können. Denn als Ergebnis der gesellschaftlichen Diplomatie, die ihm die Türen zur Hofgesellschaft geöffnet und ihn dem Umkreis des Monarchen genähert hatte, galt er als „kommender Mann“, als möglicher Botschafter, vielleicht sogar Minister. Ein sichtbares Hindernis war nur sein Judentum. Warum er dieses Hindernis nicht beseitigte, indem er sich taufen ließ, ist trotz seiner eigenen Erklärungen nicht ganz klar. Religiöse Hemmungen kommen nicht in Frage.


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