Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Gustav Haders

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Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Gustav Haders


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Für dich vielleicht nicht, aber für mich. Und das Liebhaben liegt auf meiner Seite, nicht auf deiner. Du kannst mir weder verbieten noch wehren, dich für einen lieben Feind zu halten.

       Weil er nichts hierauf erwiderte, fuhr ich fort: „Es ist etwas Wahres in dem, was du vorher gesagt hast. Wer Jesus kennen lernt, gibt alle die Dinge auf, die du vorher genannt hast. Aber ich sage euch nicht zu dem Zweck von Jesu, um euch die Dinge zu nehmen. Die gebt ihr eines Tages aus freiem Willen her, indem ihr Jesus bitten werdet, sie von euch zu nehmen. Ich sage euch von Jesu, um euch etwas zu geben. Ihr sollt nehmen. Ich will nicht nehmen, ich will geben. Ihr sollt nehmen, nehmen lernen, was Gott euch gegeben hat, euch, wie allen Menschen: Das ewige Leben und die Vergebung alles eurer Sünden.“

      „Davon sollst du schweigen“, fuhr er auf, ich will das nicht hören, und du schweigst nicht, so hast du in mir einen Feind, so bitter, wie du noch keinen gehabt hast.“

      „Kannst du schießen?“ fragte ich mit erzwungener Ruhe und deutete auf die Schusswaffe in seiner Hand.

      „Ich verfehle nie mein Ziel!“ erwiderte er und sah mich scharf an.

      „Siehst du die kleine Blechkanne dort drüben im Sande liegen?“ fragte ich und wies auf die offene Tür hinaus.

      „Ja.“

      „Schieß und triff sie.“

       Der Indianer drehte sich ein wenig auf die Seite, hob den Arm, zielte, schoss und traf.

      „Ich kann auch schießen!“ sagte ich, nahm ihm flugs die Waffe aus der Hand, was er ruhig geschehen ließ und schoss die drei Kugeln, die noch in dem automatischen Revolver saßen, direkt vor seinen Füßen in den Fußboden.

       Der Indianer rührte sich nicht von der Stelle. Kein Zucken, kein Zurückziehen auch nur eines seiner Füße konnte ich wahrnehmen.

       Mit kalter Ruhe fragte er, als ich ihm seine Waffe zurückgab: „Warum hast du Löcher in den guten Fußboden geschossen?“

      „Das will ich dir sagen,“ entgegnete ich, indem ich ihm scharf in die Augen blickte, „diese Löcher sollen mir eine stete Erinnerung daran sein, dass hier an dieser Stelle einmal ein Indianer gestanden hat, der da meinte, ich fürchte mich vor seinem Revolver, der sich einbildete, er könne mir glauben machen, dass er es je wagen oder nur daran denken würde, seine Waffe wider mich zu erheben.“

       Es sah mich von oben bis unten an, drehte sich langsam um und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

      „Du solltest mir deinen Namen nennen, bevor du gehst. Mein Name wird dir durch deine Leute bekannt sein. Ich heiße David Brown!“ sagte ich.

       Der Indianer antwortete nicht, sondern schritt durch die Tür, ging über die Veranda und stieg langsam die beiden Steinstufen hinab ins Freie.

      „Ich sollte doch den Namen meines Feindes kennen!“ rief ich ihm nach. „Wie heißt du? Willst du mir nicht sagen, wie dein Name lautet?“ bat ich noch einmal, ihm bis auf die Türschwelle folgend.

       Weiterschreitend drehte er seinen Kopf auf die Seite und rief mir über die Schulter hinweg zu: „Dohaschtida.“

      „Dohaschtida, ich hoffe dich wiederzusehen!“ rief ich ihm nach. Er gab mir keine Antwort, schritt hoch erhobenen Hauptes zu seinem Pferde, das er sofort bestieg und in gestrecktem Galopp davonjagte.

       Ich sah ihm nach, solange meine Augen ihm folgen konnten. Dann trat ich in mein Zimmer zurück und warf mich erschöpft in meinen Stuhl. Die kurze Unterredung hatte mich angegriffen. Wie sehr, das merkte ich erst jetzt. Mir trat der Schweiß auf die Stirn, und ich fühlte ein Beben in meinen Gliedern. Hätte Dohaschtida mich jetzt gesehen, er würde höhnisch aufgelacht und mich gefragt haben: „Du keine Angst?“ Hatte ich wirklich keine Furcht gehabt? Nein, Furcht war es nicht gewesen, nur der Gedanke hatte mich gepackt, dass mein Leben in Gefahr stehe. Jetzt, bei ruhiger Überlegung, verwarf ich auch diesen als töricht und lächerlich. Dohaschtida war weder betrunken noch irrsinnig; er war wohl erbittert, erregt, erfüllt von Hass, aber doch nicht in solchem Zustande, in dem der Mensch am Menschen zum Mörder wird. Dazu die ganze Persönlichkeit dieses Indianers. Obwohl voll Leidenschaft, würde dieser Mann doch nie etwas tun, das nicht das Resultat eines wohl überlegten, klar bewussten, scharf kontrollierten Wollens oder Nichtwollens wäre. Ich hätte mir die drei Schüsse in den Fußboden sparen können. Ein völliges Ignorieren der Waffe in des Mannes Hand von meiner Seite hätte dieselbe, wenn nicht vielleicht bessere Wirkung gehabt. Ich fragte mich: wie hätte Dohaschtida gehandelt, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre? So, wie ich handelte? Nein! Er hatte mich auf die Probe gestellt, und ich hatte dieselbe in seinen Augen ohne Zweifel nicht bestanden. Daher der verächtliche Blick, mit dem er mich von oben bis unten angesehen hatte. Er hielt mich wahrscheinlich für einen Furchtsamen, trotz alle dem, was ich gesagt hatte.

       Ich konnte diesen Gedanken nicht ertragen. Es war mich nicht einerlei, was Dohaschtida von mir dachte. Es litt mich nicht in meinem Stuhl, in meinem Zimmer, unter meinem Dach; musste ins Freie, musste Raum, musste Luft haben. Ich ging hinaus, ließ mir von einem Schuljungen ein Pferd satteln und ritt in die Berge. Ich hatte kein bestimmtes Ziel, ließ mein Pferd gehen, wohin es wollte, und merkte kaum, dass das Tier höher und höher zu einem hinter dem Schulanwesen gelegenen Plateau mit mir hinaufkletterte. Meine Gedanken waren mit Dohaschtida beschäftigt, und ich rief mir jedes seiner Worte, sein Mienenspiel, jede seiner Bewegungen ins Gedächtnis zurück. Ich wäre so gern zur Klarheit darüber gekommen, was ihn eigentlich zu mir getrieben, was er von mir dachte, was er mir mit seinem letzten Blick hatte sagen wollen.

       Plötzlich schrak mein Pferd zusammen. Ich auch. Ein greller, weit sich hinziehender Blitzstrahl zuckte über den Horizont. Ich schaute umher. Wir waren oben auf dem Plateau angekommen. Die Sonne war verschwunden, der ganze Himmel war mit grauen Wolken bedeckt. Ich hörte das Sausen eines nahenden Windes. Ein Sturm, wie ich noch keinen erlebt, fegte über das Plateau und nahm meinen Hut auf Nimmerwiedersehen mit sich. Mein Pferd stand still und drehte sich mit dem Rücken gegen den Wind. Zwei oder drei Minuten dauerte der Sturm. Dann war es still, und ein wolkenbruchartiger Regen setze ein, begleitet von Donner und Blitz.

       Wie doch zuweilen die äußere Umgebung, in der man sich befindet, oder in die man plötzlich hineinversetzt wird, eine umgestaltende Wirkung auf unser Denken und Empfinden ausübt! Mir wurde in diesem Augenblick klar, dass ich mich mit meinen Gedanken über Dohaschtida im Dunkeln befunden hatte. Es kam wie eine plötzliche Erleuchtung über mich. Dohaschtida hatte mich gar nicht mit Verachtung oder Unwillen angeblickt. Es war etwas wie Enttäuschung oder Betrübnis gewesen, was in seinem Blick gestanden hatte. Es hatte ihn verletzt, er hatte nicht erwartet, dass ich so über ihn dächte, wie ich mich ihm gegenüber ausgelassen hatte. Er hatte gehofft, dass ich ihn trotz alledem, was er gesagt und getan hatte, keiner Mordgedanken fähig gehalten hätte.

       Dohaschtida, du willst nicht?

       Dohaschtida, du willst doch!

       In strömendem Regen, unter Donner und Blitzen trat ich den Heimritt an. Als ich auf dem Schulanwesen anlangte, schien aber seit geraumer Zeit wieder die Sonne, und diese hatte, unterstützt von einem leichten Winde, meine völlig durchnässten Kleider vollständig an meinem Leibe wieder getrocknet.

       * * *

      Van Augustus Sims, der Schulsuperintendent

       Am Abend dieses Tages saß ich mit dem Superintendenten die indianerschule, meinem Freude van Augustus Sims, auf der Veranda seines Hauses. Ich war seit etlichen Tagen sein Gast, hatte bis zu diesem Tage die Absicht gehabt, noch etwa eine Woche zu bleiben, wurde aber beständig von meinem Freunde gedrängt, nicht nur noch länger zu bleiben, sondern ihm die letzten Monate meiner Erholungszeit , die ich im Westen Nordamerikas zubrachte, zu schenken. Während ich mich in San Franzisco aufhielt, hatte ich einen


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