Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Gustav Haders

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Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Gustav Haders


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so alle Jahre ein oder zweimal einen Brief. Er stand in Regierungsdiensten und hatte es bis zum Superintendenten einer großen Indianerschule in Arizona gebracht. Ich bekleidete eine bescheidene Stellung in der städtischen Verwaltung meines Heimatortes in Pennsylvanien. Wir hatten auf derselben Schulbank gesessen und waren gute Kameraden gewesen und geblieben. Das Verlangen, einmal wieder über die längst verflossene Schulzeit zu plaudern und Jugenderinnerungen auszutauschen, hatte ohne Zweifel den Anlass zu der an mich ergangenen Einladung gegeben. Ich nahm dieselbe dankbar an, besonders auch darum, weil ich den Gedanken mit Freuden begrüßte, bei einem Aufenthalt in einer Regierungsschule sowohl diese und die Art ihrer Führung, wie auch ganz besonders die mir seit meinem Aufenthalt im Westen lieb gewordenen Indianer näher kennen zu lernen.

       Auch heute Abend kam Sims wieder darauf zu sprechen, da ich noch nicht ans Fortgehen denken, sondern bei ihm bleiben solle, wenigstens noch für einige Wochen. Ich dachte an Dohaschtida und sagte zu. Sims war so erfreut darüber, dass es ihm gar nicht in den Sinn kam, zu fragen, was mich zu diesem Entschluss getrieben hätte. Seine Freude wäre vielleicht etwas getrübt worden, wenn ich ihm hätte gestehen müssen, dass ein Indianer die Hauptveranlassung sei, weshalb ich mich entschlossen habe, seinem Wunsche nachzukommen.

       Gleich bei meiner Ankunft hatte Sims mich gebeten, am Sonntagmorgen bei den Andachtsübungen zu den Indianerkindern und den Angestellten zu reden. Ich hatte ihm erwidert, ich sei kein Prediger; aber er entgegnete, er sei auch keiner und müsse doch jeden Sonntag reden. Bis vor einem Jahre hätten sie Missionare hier gehabt, die seien aber fort, und so müsse er predigen. „Du weißt“, fuhr er fort, „ich war nie sehr fromm. Es ist mir jeden Sonntag eine Qual, wenn ich reden muss und Dinge sagen, die ich selbst nicht so recht glaube; Geschichten erzählen muss, die ich für halbe Märchen halte. Aber die in Washington herausgegebenen Schulordnungen verpflichten den Schulsuperintendenten zu einer christlichen Religionsausübung mit den Kindern am Sonntag, wenn kein Prediger oder Missionar zu haben ist, der bereit ist, der Schule seinen Dienst zu erweisen. Aber du warst immer fromm“, schloss er, „du gingst jeden Sonntag zur Kirche und sogar zur Sonntagsschule und Christenlehre.“

       Als ich Sims hierauf erwiderte, dass ich das heute noch tue, sogar schon seit Jahren daheim Superintendent unserer Sonntagsschule sei, da war es um allen meinen Widerstand geschehen. Ich hatte Sims das Versprechen geben müssen, solange ich auf der Reservation weile, sonntags zu den Indianerkindern zu reden.

       An diesem Abend kam ich auf Sims‘ Bemerkung zurück, dass sie keine Missionare mehr hätten, und fragte ihn, wie das zuginge.

       Sims antwortete: „Die Leute sind bei ihren Bekehrungsversuchen müde geworden.“

      „Wer? Welche Leute? Die Missionare?“

      „O nein, die nicht, aber die Leute, die die Missionare hierher geschickt haben, die sie bezahlten.“

      „Warum sind sie denn müde geworden?“

       Sie waren zu der Ansicht gekommen, dass die Indianermission ‚sich nicht bezahle‘. Nachdem sie einige zwanzig Jahre die Gehälter der Missionare und der Lehrer bezahlt hatten, meinten sie, die Indianer müssten nun endlich einmal anfangen, dies selber zu tun. Die Missionare erhielten Auftrag, dass ein energischer Anfang damit gemacht werde. Als aber die Missionare berichteten, an so etwas sei nicht zu denken, es könnten noch hundert Jahre oder mehr darüber hingehen, bis so etwas möglich sei, da wurden die Leute missmutig. Die Missionare berichteten, sie könnten jetzt nur die Vorarbeit für spätere Geschlechter tun, was freilich eine Arbeit sei, die getan werden müsse, ohne die ein Aufbau des Reiches Gottes nicht zustande kommen könne. Sie sagten ferner, sie könnten wohl hier und dort einzelne Indianer bekehren, aber an den Aufbau eines Gemeinwesens sei noch lange nicht zu denken; ihre Hoffnung beruhe, was das anbelange, erst auf Kindeskindern. Solche Aussichten genügten den Leuten im Osten, die diese Mission hier durch ihre Missionare betrieben, durchaus nicht. Sie erklärten die Arbeit der Missionare für erfolglos und die Indianermission in Bausch und Bogen für aussichtslos und darum für zwecklos. Die gesamten Missionsarbeiter wurden einer nach dem anderen abberufen, und so gehört die Indianermission unter diesem Stamme zu den gewesenen Dingen.“

      „Hatten die Missionare nicht treu gearbeitet“ fragte ich.

      „Sie hatten mit aller Treue gearbeitet. Jedermann gibt ihnen das Zeugnis!“ erklärte Sims sehr entschieden.

      „Und hatten sie wirklich keine Erfolge?“ fragte ich weiter.

      „Keine Erfolge?“ wiederholte Sims. „Großartige Erfolge hatten sie! Sie hatten in jeder Hinsicht das Vertrauen der Indianer. Wir Regierungsangestellten haben das nicht. Sie hatten Schule. Sie hatten wohl nur wenige Kinder, aber diejenigen, die sie hatten, hatten sie auf Wunsch und aus dem freien Willen ihrer Eltern. Du stelltest dies gestern Abend als das Ideal und das einzig Wertvolle hin, als wir davon sprachen, dass die Kinder mit Polizeigewalt in die Regierungsschulen gebracht werden müssen, wenn wir Kinder haben wollen. Die Missionare hatten sogar schon etliche Indianer, die am Sonntag zur Kirche kamen.“

      „Waren dies ihre einzigen Erfolge, die sie zu verzeichnen hatten?“ fragte ich.

      „Ja!“ sagte Sims.

      „Viel war das freilich nicht.“

      „Du irrst. Es war viel. Man muss den Indianer und seine Stellung zu weißen Mann kennen. Man muss die Verhältnisse hier und vieles andere kennen, um richtig abwägen, um ein Urteil über den Wert dessen haben zu können, das erreicht war, wie über das Maß des in den Möglichkeitsgrenzen Liegenden, das erreicht werden konnte. Wer hierfür Verständnis hat, der muss sagen, dass die Missionare viel erreicht hatten, und dass nur sehr treue und anhaltende Arbeit zu solchen Resultaten verhelfen konnte.“ Sims hielt inne und fuhr nach kurzem Sinnen fort: „Wir Arbeiter in Regierungsdiensten vermissen die Missionare sehr. Wir empfanden im Verkehr und Handel mit den Indianern etwas von dem besseren Geist, der auf diese von den Missionaren ausging. Jetzt, wo die Missionare fort sind, verschwindet das wieder. Es war alles noch zu sehr im Werden und von der Gegenwart und ständiger Weiterarbeit der Männer abhängig. Aber es war ein Zeichen von dem Wert und der Frucht der Arbeit der Missionare. Es galt nur weiterzuarbeiten und zu warten. Aber das wollten die Leute nicht. Sie hätten kein Geld dazu, hieß es; man könne das Geld anderswo besser anwenden, wurde gesagt. Mir hat das nie einleuchten wollen. Wenn ich an die großen, prunkvollen Kirchengebäude denke, die die Christen ihrem Gott bauen, so will mich dünken, dass da reichlich Geld sein muss. Auch glaube ich, dass die lieben Leute ihren Gott nicht recht kennen, wenn sie meinen, er habe mehr Freude an solchen Gebäuden als an der Arbeit, so ein verkommenes Volk, wie die Indianer es sind, aus dem Schmutz und Elend, aus Nacht und Tod zu ziehen. Das eine tun und das andere nicht lassen, das würde mir recht scheinen. Aber das eine tun und das andere lassen, nein, David, das will mir nicht in den Sinn.“

       Sims schwieg und schien auf eine Antwort von mir zu warten. Was sollte ich viel dazu sagen? Es war ja richtig, was Sims sagte, aber es war nun einmal so und ließ sich nicht ändern, und war nicht dadurch zu bessern, dass wir darüber miteinander redeten. So ging ich nicht auf den angeregten Punkt ein.

      „Haben die Missionare ihren Leuten im Osten das nicht auseinandergesetzt?“ fragte ich.

      „Freilich haben sie das getan. Aber du kennst die Menschen, wie sie sind. Wo findest du einen Menschen, der sich Mühe gibt, dir nur mit seinen Gedanken zu folgen, wenn du ihm etwas auseinandersetzest, es sei denn, dass ein Bekanntwerden mit dem Gesagten ihm einen persönlichen Vorteil bringt? Hast du nicht Klatsch oder Sensationelles oder etwas die Person deines Gegners Betreffendes zu berichten, so hört dich dieser, wenn es hoch kommt, vielleicht mit halben Ohren an. Versuche es, jemandem, der in einer Sache eine Ansicht gefasst hat, über diese Sache deine Ansicht darzulegen, die aus unbestreitbar besseren Quellen geschöpft ist und mit persönlichen Erfahrungen belegt ist. Es hört die aus hundert Leuten höchstens einer mit dem Gedanken zu, du möchtest es vielleicht besser wissen als er, und seine Ansicht könnte verkehrt sein. Die übrigen neunundneunzig haben von vornherein die Absicht, bewusst oder unbewusst, bei ihrer Ansicht zu bleiben. Sie folgen deiner Rede gar nicht,


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