Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Gustav Haders

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Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Gustav Haders


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warf dem Manne die Stücke vor die Füße. Dann zog er seine Fahrkarte aus der Tasche, zerriss auch die und warf die Fetzen dahin, wo die anderen lagen.

      ‚Ich werde nicht fahren‘, sagte er, ich werde zu Fuß nach Hause gehen. Lass den Zug halten. Ich habe keine Fahrkarte!‘ kommandierte er.

      ‚Wie du willst!‘ sagte der Kondukteur, der verärgert war. Er zog die Notleine. Von der Lokomotive her kam mit dreimaligem Pfeifen die Antwort. Die Fahrgeschwindigkeit des Zuges ließ nach. Bald hielt der Zug, und der Indianer verließ den Wagen, ohne irgendeinen der Insassen eines Blickes zu würdigen. Es war mitten in der Wüste von Neu Mexiko. Der Konduteur erzählte, dass das Reiseziel des Indianers, wie seine Fahrkarte gezeigt habe, im äußersten Westen Arizonas liege. Der Mann habe an 400 Meilen zurückzulegen, wenn er zu Fuß gehen wolle.“

       Soweit der Zeitungsbericht.

       Der Artikel schloss mit der Bemerkung der Redaktion, dass die Indianer sehr gute Fußgänger seien, und dass der Weg dem jungen Manne nicht zu weit und nicht zu lästig geworden sein werde. Das Bewusstsein, den verhassten Weißen mitsamt der Eisenbahngesellschaft einen Hieb versetzt zu haben, den sie in gewisser Hinsicht verdiene, habe ihn über alle Beschwerden des langen Wanderns hinweggeholfen. Dieses Dekorieren der Reisenden mit den bunten Pappstreifen, was der Indianer brandmarken nannte, sei etwas Unschickliches, und man müsse sich über das reisende Publikum wundern, dass es sich geduldig so etwas gefallen lasse.

       Sims klappte sein Buch zu und sah mich fragend an.

      „Sicherlich hast du recht“, entgegnete ich, „das war Dohaschtida, oder wie er mit seinem Schulnamen heißt, Percy Sottan. So etwas! Eine Fahrkarte haben und zu Fuß gehen! Und Geld muss er auch haben. Du hättest die eleganten Kleider sehen sollen, die er am Sonntagvormittag trug.“

      „Wird er nicht lange tragen“, meinte Sims, „noch ein paar Monate weiter, und er wird sich von den übrigen Indianern wenig in seinem Äußeren unterscheiden. Er wird genau werden wie die anderen. So geht es mit allen, die aus den hohen Schulen zurückkehren.“

      „Das glaube ich auch“, sagte ich, „der Zwang ändert nichts. Seine Wirkung hält nur so lange an, wie er da ist. Fällt der Zwang hin, so fällt alles mit ihm, was ein Resultat seines Waltens war.“

      „Aber was willst du denn machen?“ fragte Sims geärgert.

      „Man muss warten, man muss ihnen Zeit lassen. Man muss sie nicht zwingen. Es hat eine Zeit gegeben, da unsere Väter in demselben Zustande sich befanden wie die heutigen Indianer. Es ist nicht über Nacht gekommen, dass wir ein Leben wie unser heutiges dem von damals vorziehen.“

      „Das ist richtig“, sagte Sims, „aber wo in aller Weltgeschichte hat man sich so viele Mühe gegeben, so viele ungezählte Millionen geopfert, solche wohldurchdachte, systematische Arbeit getan, um ein Volk zu zivilisieren, wie unsere Regierung das seit Jahren mit den Indianern tut? Es liegt am Indianer, dass alles vergeblich zu sein scheint. Er will nicht und muss gezwungen werden.“

       Ich erlaubte mir zu widersprechen. „So etwas ist freilich noch nicht dagewesen!“ sagte ich. „Es wäre besser,, die Herren in Washington hätten ein wenig Weltgeschichte und Kirchengeschichte im Besonderen studiert, ehe sie den Plan fassten, mit einer organisierten Armee von dressierten Damen und Herren, ohne Religion, ein Volk, wie die Indianer, zu zivilisierten Amerikanern zu machen. Zivilisation lässt sich nicht erzwingen, die kommt und entwickelt sich von selbst, langsam und durch Beispiel und Gewöhnung. Will man zwingen, so bäumen sich mit Recht die gestern Abend von dir genannten menschlichen Eigenschaften: Selbstgefühl, Selbstsucht, und ich setze hinzu Selbstachtung, gegen solches Zwangsverfahren auf.“

      „Du bist ein Idealist!“ sagte Sims.

      „Erlaube mir, dass ich widerspreche. Der Idealismus läge auf deiner Seite, vorausgesetzt, dass du, was mir aber nicht der Fall zu sein scheint, die Hoffnungen Washingtons auf einen Erfolg solcher Arbeit teilen würdest.“

      „Worauf gründest du deine Ansicht?“

      „Auf einige deiner gestrigen Auslassungen.“

      „Die darfst du jetzt nicht in Betracht ziehen. Ich rede jetzt vom Zivilisieren und nicht vom Christianisieren.“

      „Hier liegt eben der ganze Fehler. Man muss erst christianisieren, und dann kommt die sogenannte Zivilisation ganz von selbst. Dies lehrt die Geschichte aller Völker.“

      „Unsere Regierung hat aber nicht ohne Erfolg gearbeitet. Wir haben eine Reihe von zivilisierten Indianerstämmen.“

      „Durch die Arbeit der Regierung?“

      „Ja.“

      „Da bist du im Irrtum. Wo immer ein zivilisierter Indianerstamm ist, da hat die Kirche Mission getrieben. Die Missionsarbeit hat Christen gemacht. Das Christentum hat solche hat solche Indianer zu zivilisierten Menschen umgewandelt. Die Regierung schreibt sich Erfolge zu, die gar nicht auf ihre Rechnung kommen. Jene Indianer wären heute wahrscheinlich genau so weit, wenn die Regierung gar nicht und die Kirche allein gearbeitet hätte; und sie wären sicherlich heute genauso weit zurück, noch ebenso unzivilisiert wie diese deine Indianer hier, wenn die Regierung allein gearbeitet hätte.“

      „Du hältst also unsere Arbeit für zwecklos?“

      „In gewissem Sinne ja. Ich meine auch, ein Mann wie du sollte mir beistimmen. Du solltest die Nutzlosigkeit der Regierungsarbeit ohne Missionshilfe zugeben.“

      „Dazu bin ich denn doch nicht ohne weiteres bereit!“ sagte Sims. „Warum meist du denn, dass ich arbeite?“

      „Weil du einen guten Verdienst hast.“

      „Du redest sehr offen.“

      „Willst du, dass ich anders rede?“

      „Nein. Aber um auf die Sache zurückzukommen. Nimm z. B. deinen Dohaschtida. An diesem haben ohne Zweifel während seines Aufenthalts auf der höheren Schule Dutzende von Pastoren ihr Heil versucht. Alle ohne Erfolg. Dohaschtida ist mit ungebrochenem Willen in das Land seiner Väter zurückgekehrt.“

      „Ich habe mich vorhin nicht ganz richtig ausgedrückt. Ich sprach von Missionshilfe. Ich hätte sagen sollen: Predigt des Evangeliums. Diese Predigt ist hier in unserem Lande, wie überhaupt in der Welt, sehr rar. Die rechte Predigt des Evangeliums gibt dem Menschen etwas, hat weiter nichts im Sinn, als das Menschenherz geschickt zum Nehmen zu machen. Viele Prediger aber machen, wenn es hoch kommt, das Evangelium zur Grundlage für gesetzliche Forderungen; andere aber, was schlimmer ist, benutzen es zu fadem, leidigem Moralisieren. Beides, das letztere noch mehr als das erstere, ist absolut kraftlos, den inneren Menschen, wie du dich zuvor ausdrücktest, zu erneuern. Das wahre Evangelium ist eine Kraft Gottes, aber nur das wahre, und als solches allmächtig.“

      „Könntest du mir mit wenigen Worten den Inhalt des wahren Evangeliums nennen?“

      „Gewiss.“

      „Und der wäre?“

      „Dir sind deine Sünden vergeben.“

      „Sind vergeben? Sind?“ fragte Sims sinnend.

      „Ja. Sind vergeben. Nicht: werden vergeben. Sie sind vergeben. Sobald du den Akt der göttlichen Sündenvergebung für die Gesamtheit der Menschen sowohl, wie für jedes einzelne Individuum, von irgendwelchem menschlichen Tun oder Verhalten abhängig machst, oder aus der Vergangenheit, wo er liegt, in die Gegenwärt oder Zukunft versetzest, so hast du die Herrlichkeit des Evangeliums zerstört und seine Kraft und Gnade vernichtet,“

      „Ich muss gestehen“, sagte Sims, was du da aussprichst, ist mir neu; aber ich muss sagen, es heimelt mich an, obwohl ich dich nicht voll verstehe. Ich will dich weiter hören.“

      „Aber heute nicht mehr“, sagte ich, „es ist spät geworden. Wir wollen uns zur


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