Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Gustav Haders

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Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Gustav Haders


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Selbstsucht und sein Selbstgefühl. Es geht uns mit den Regierungskreisen in Washington genauso, wie den Missionaren mit ihren kirchlichen Organisationen im Osten, von denen sie abhängig waren. Sie alle haben die tollsten und hirnverbranntesten Ansichten über Indianer und Indianererziehung; über das, was man tun könnte und tun sollte. Und – sie halten an diesen Ansichten fest. Da helfen keine schriftlichen und da helfen keine mündlichen Auseinandersetzungen. Die schlimmsten sind die Herren Inspektoren, die hin und wieder auf ein paar Tage auf den Indianerreservationen erscheinen. Sie bringen ihre fertigen, festen Ansichten mit, wenn sie kommen, und finden dieselben hier bestätigt, weil sie, wiederum bewusst oder unbewusst, nach nichts weiterem sich umschauen und umhören, als nach solchem Material, mit dem sie ihre Ansichten bestätigen und das Erhärtung derselben ausnützen können. David, es kostet Jahre sorgfältigen Beobachtens, um sich nur ein wenig Verständnis des Indianers und der Art, wie an ihm zu arbeiten ist, anzueignen. Es kann bei dem verschlossenen Charakter des Indianers und seiner steten Wachsamkeit, dem weißen Manne sein Inneres zu verbergen, nicht anders sein. Aber wie gesagt: Selbstsucht, Selbstbewusstsein, Selbstgefühl. Der Mensch ist ‚all I‘, sagt der Amerikaner, ‚lauter Ich‘.“

      „Dein Urteil über die Menschen ist hart!“ sagte ich. „Doch es gibt Ausnahmen. Die wahren Christen, die sind anders.“

       Deren gibt es wohl nicht sehr viele!“ meinte Sims, und etwas wie ein ironisches Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

      „Vielleicht mehr, als du denkst.“

      „Mir sind sie nicht begegnet.“

      „So hast du Augen und Ohren nicht offen gehalten.“

      „Es ist meine Gewohnheit, wenn ich unter Menschen komme, dieselben zu beobachten und zu studieren.“

      „So stellst du dir unter einem rechten Christen etwas anderes vor, als du solltest.“

      „Das mag sein. Ich glaube aber, in einem Stück recht zu stehen. In jeder Rede Christi, in jedem Kapitel der apostolischen Briefe, einerlei, welche Lehre behandelt wird, immer zwischenein meine ich Kriegserklärungen an des Menschen Selbstgefühl und Selbstsucht zu finden. Es scheint mir das notwendige Resultat eines erneuerten Menschenwillens, ich könnte auch sagen, ein Erfordernis der Nächstenliebe zu sein, dass der Mensch eine Ansicht, die von seiner eigenen abweicht, nicht nur freundlich neben sich duldet, sondern dass er auch bereit ist, sich dieselbe darlegen zu lassen. Und weiter: hat die andere Ansicht gesunde, klare Gründe für sich, welche die Nichtigkeit der eigenen Ansicht zerstört, so darf der Mensch nicht eigenwillig bei seiner Ansicht verharren, sondern muss die andere fröhlich an Stelle der seinigen annehmen.“

      „Was du da eben ausgesprochen hast, ist das Ideal, dem der Christ nachstrebt“, sagte ich, „aber es geht da gerade so wie mit der idealen Auffassung von Schülergewinnung unter den Indianern. Es sind derer nur wenige, die solche Ideale verwirklichen. Das letztere ist aber nicht unmöglich, wie du selbst zugabst, als du zuvor von den Missionsschulen redetest.“

       Wir hatten an einem der ersten Abende unseres Zusammenseins eine Unterhaltung über die Polizeigewalt gehabt, die angewandt wurde, um die Indianerkinder in die Schulen zu bringen. Sims vertrat die Ansicht, dass die Indianerkinder in die Schulen zu bringen. Sims vertrat die Ansicht, dass die Indianerkinder unter den obwaltenden Verhältnissen mit Gewalt in die Schulen gebracht werden müssten, weil die Eltern sie sonst einfach nicht schicken würden. Ich hielt daran fest, dass bei solcher Schulung schwerlich etwas Gutes herauskommen werde, man müsse versuchen, den Willen der Eltern zu gewinnen.

       Van Augustus verteidigte sich: „Ja“, sagte er, „aber solche Arbeit findet keine Anerkennung, weder in Washington noch bei den Missionsbehörden. Ich würde Knall auf Fall abgesetzt werden, wenn ich nach Eröffnung des Schuljahres nach Washington berichten würde: Ich habe 25 Kinder in der Schule, nicht 250 wie im vergangenen Jahre; aber die 25 haben die Eltern der Kinder mir freiwillig gegeben. Ich habe es aufgegeben, Polizeigewalt zu gebrauchen, und habe nur versucht, die Eltern von dem Wert der Schulerziehung zu überzeugen und sie dafür zu gewinnen, ihre Kinder mir freiwillig anzuvertrauen… Doch an etwas Derartiges wäre ja gar nicht zu denken. Du musst bedenken, dass wir keinen freien Willen haben, zu handeln wie wir wollen, und wie wir es für gut halten. Unsere Arbeit, das Was und das Wie, sind uns bis in die kleinsten Einzelheiten vorgeschrieben. Wir sind nur Werkzeuge, und die Hände, die diese Werkzeuge führen, sind nicht hier, sondern in Washington!“

      „Ich weiß das“, sagte ich, „die Menschen sind verschieden. Ich könnte unter solchen Verhältnissen nicht arbeiten.“

      „Warum nicht?“

      „Wäre es eine Arbeit an Holzklötzen oder Steinblöcken, dann ja. Ich würde daraus zurechthauen, was mein Arbeitgeber verlang. Aber hier handelt es sich um Menschenseelen.“

      „Menschenseelen ja. Aber Indianerseelen. Mir ist bislang noch nichts begegnet als boshafter Starrsinn. Gegen den muss man Gewalt gebrauchen. Man kann anders nichts ausrichten.“ Dies stimmte nun eigentlich durchaus nicht mit dem, was Sims von der Arbeit der Missionare gesagt hatte. Ich zog es aber vor, ihm dies nicht vorzuhalten. Ich sah meinen Freund eine Weile schweigend an und sagte dann: „Sims, ich will dir eine Begebenheit erzählen, die sich heute Nachmittag in dem kleinen Hause zutrug, das du mir für die Zeit meines hiesigen Aufenthalts zur Verfügung gestellt hast.“

       Ich schilderte Sims ausführlich mein Zusammentreffen mit Dahaschtida.

       Als ich geendet, sagte Sims nach kurzem Schweigen: „David, ich möchte heute Abend noch einen Brief an deine Frau schreiben. Darf ich?“

      „Es sollte mich freuen, wenn du es tätest.“

      „Ich werde ihr schreiben, dass du die vollen drei Monate, die dir noch von deinen Ferien übrig sind, hier bei mir verweilen wirst.“

      „Was du sagst!“

      „Und dass du während der Zeit jeden Sonntag hier die Andachten halten wirst.“

      „Das weiß ich noch nicht.“

      „Das weißt du doch. Also abgemacht. Ja?“

       Ich zauderte noch. „Abgemacht!“ sagte Sims noch einmal und reichte mir die Hand. Ich nahm sie und sagte: „Abgemacht.“

      „Dank dir!“ erwiderte Sims. „Ich gebe mich keinen Illusionen hin. Du bleibst nicht meinetwegen, sondern dieses Dohaschtidas wegen. Aber ich habe die Freude, dich hier zu sehen und deine Gegenwart genießen zu können.“

      „Das ist hübsch von dir gesagt“, entgegnete ich, aber ich würde schwerlich dieses Indianers wegen hier bleiben, könnte ich nicht zu gleicher Zeit bei dir sein.“

      „Mensch“, sagte hierauf Sims, „glaubst du wirklich, es sei möglich, mit einem Menschen, wie dieser Dohaschtida einer ist –“

       Weiter kam Sims nicht. Eine Fensterscheibe klirrte, Glasscherben fielen aufs Fensterbrett und flogen ins Zimmer, und ein handgroßer Stein landete auf der Platte des Tisches, an dem wir saßen, und zertrümmerte einen kleinen Teller, auf den Sims gerade die Asche seiner Zigarre abstreifte. Wir sprangen von unseren Sitzen auf. Da, noch ein Stein, noch einer, vier, sechs, acht und mehr Steine flogen durch die Fenster ins Zimmer. Die sämtlichen Scheiben der vier großen Fenster, die das Zimmer hatte, waren zerbrochen: Scherben, Steine lagen überall auf dem Fußboden, den Stühlen, Tischen usw. Wir flüchteten an die den Fenstern gegenüberliegende Wand des Zimmers, um nicht von einem der Steine oder den Scherben getroffen und verletzt zu werden. Es war nicht mehr nötig; das Werk war getan, das man beabsichtigt hatte. Es folgten keine weiteren Steinwürfe.

       Wir sahen einander sprachlos an. Da ermannte sich Sims. Er rief mir zu: „Komm, schnell, komm mit!“ Er lief zur Tür hinaus, und ich folgte ihm. Sims lief zur Vordertür des Hauses hinaus, die zugleich Eingangstür zu seinem Zimmer war, die Front des Hauses entlang, um die eine Seitenwand herum und dann quer über den weiten Rasenplatz, der das Wohnhaus von


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