Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Gustav Haders

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Wille wider Wille - aus den Indianerhütten Arizonas - Band 115 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Gustav Haders


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Ende des Schuleigentums gelegenen Wohnplatzes hinüberzugehen.

       Es war heller Mondschein und alles öde uns still. Es war um Mitternacht herum. Als ich mich dem Schlafgebäude der Mädchen näherte, an dem mein Weg mich vorbeiführte, näherte, sah ich eine hohe Mädchengestalt in der Kleidung der Schülerinnen, ein Indianermädchen, leichtfüßig über die breite Veranda des Hauses laufen. Das Mädchen eilte die Treppe hinab und lief geradeswegs über den weiten Rasen dem Zaune zu. Behände kletterte es an dem mit Stacheln versehenen Gitterwerk in die Höhe, schwang sich über den, den etwa zehn Fuß hohen Zaun oben abschließenden Querbalken, sprang auf den Erdboden und lief in größter Eile in die Wüste hinein, wo sie bald meinen Augen zwischen Kaktusstauden und dem Wüstengestrüpp verschwunden war.

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       Eine Ausreißerin!

       Sollte ich zurückgehen und Sims benachrichtigen?

       Nein, ich war hier kein Polizist.

       * * *

      Die verlassene Missionsstation

       Die Erlebnisse des Tages folgen dem Menschen gar oft in der Ruhe der Nacht. Man muss sie noch einmal wieder durchmachen, aber selten in einer verbesserten Auflage. Ich schlief sehr unruhig, wachte oft auf und hatte immer geträumt. Band war ich mit Dohaschtida zusammen, bald mit dem davongelaufenen Mädchen, bald mit beiden zusammen. Sobald ich wieder einschlief, träumte ich auch wieder, und immer wieder waren diese beiden Gegenstand meiner Traumgebilde. Im Moment des Erwachens wusste ich, was ich geträumt hatte, aber sofort verschwanden alle Einzelheiten aus meinem Gedächtnis, nur dass es die beiden wieder gewesen waren, blieb haften. Sonderbar, Dohaschtida und das durchgebrannte Mädchen. Die beiden hatten doch gar nichts miteinander zu tun.

       Beim Frühstück, das wie alle Mahlzeiten von sämtlichen Angestellten der Schule gemeinschaftlich eingenommen wurde, war das Gesprächsthema das während der Nacht fortgelaufene Mädchen. Ich beteiligte mich natürlich nicht an der Unterhaltung, hörte aber sehr aufmerksam zu. Der Schulname der Entlaufenen war Nona Kerston, mit ihrem Indianernamen hieß sie Najodikahi. Sie galt für eine hochbegabte Schülerin und war etwa siebzehn Jahre alt. Alle Lehrer und Lehrerinnen waren davon überzeugt, dass sie sehr viel gelernt hatte und beständig sehr viel dazu lerne. Sie zeigte aber und nur, wenn sie dazu gezwungen war, wie viel sie sich auf allen Gebieten des Wissens angeeignet hatte.

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       Najodikahi war schon wiederholt fortgelaufen und zurückgebracht worden. Die Matrone, die die Aufsicht im Schlafsaal der großen Mädchen hatte, erklärte, sie werde Nona Kerston zur Strafe ihre Haare kurz schneiden. Najodikahi würde dann nicht eher wieder weglaufen und unter die Indianer zurückkehren, als bis die Haare wieder gewachsen seien. „Man kann den Indianermädchen kein größeres Herzeleid antun“, sagte die Dame, „als wenn man ihnen die langen, dicken, glänzenden, schwarzen Haare, auf die sie so stolz sind, abschneidet. Ich tue das drum nicht gerade gern, aber ich muss mal wieder ein Exempel statuieren. Das Fortlaufen nimmt in letzter Zeit zu sehr überhand.“

       Najodikahis Eltern lebten sieben Meilen nördlich von der Schule. Man hoffte, das Mädchen noch im Laufe des Vormittags wieder eingebracht zu haben. Zwei berittene Polizisten waren bereits unterwegs, um Najodikahi zurückzuholen.

       Es ist meine Gewohnheit, wenn ich zu zeitweiligem Aufenthalt an einen fremden Platz komme, mich sofort um die Himmelsrichtungen zu kümmern, mir sieselben klar zu legen. Ich wusste nun, dass Najodikahi sich in der vergangenen Nacht nicht in nördlicher, sondern in südlicher Richtung von der Schule entfernt hatte. Ich hatte darum meine Bedenken, ob sie so schnell und bald, wie die Herren und Damen erwarteten, wieder in der Schule sein werde. Dachte ich an die bereitliegende große Schere der würdigen Matrone und die schönen, langen, schwarzen Haare des Mädchens, so stieg der Wunsch in mir auf, den ich freilich nicht laut werden lassen durfte, dass die Polizisten das Mädchen überhaupt nicht finden möchten, und dass Najodikahi niemals würde zurückgebracht werden.

       Nachdem wir unser Frühstück verzehrt hatten, sagte ich zu Sims, dass ich Lust hätte, an diesem Morgen der verlassenen Missionsstation einen Besuch abzustatten. Sims erklärte, er habe freie Zeit und werde mich begleiten. Er gab Auftrag, zwei Pferde zu satteln. „Die Missionsstation ist nur etliche Meilen südlich von hier gelegen“, sage er, „in einer guten Stunde können wir dort sein.“

       Die Pferde waren frisch, die Hitze war erträglich. Unsere Unterhaltung war sehr lebhaft, und ehe wir uns dessen versahen, waren wir bei der Missionsstation angelangt. Eine schmucke, aus weißem Sandstein aufgeführte Kapelle mit schlankem Turm, dessen Spitze ein weithin sichtbares vergoldetes Kreuz zierte, ein großes, aus Adobes errichtetes Schulhaus und ein halbes Dutzend Wohnhäuser für Lehrer und Missionare, samt den nötigen Stallungen lagen vor uns. Das ganze Anwesen war mitten in der Wüste erbaut worden. Kein Baum noch Strauch weit und breit, nur Kaktusstauden und niedriges Gestrüpp zwischen den Steinen und Felsblöcken. In weitem Umkreise lagen viele Indianerhütten.

      „Also hier in der Wüste, mitten unter den Indianern hatten sich die Missionare niedergelassen?“ fragte ich.

      „Die Indianer begannen erst hier ihre Hütten aufzuschlagen, nachdem die Missionare etliche Brunnen gegraben hatten. Die Indianer sind viel zu faul, so etwas zu tun. Das Wasser war ihnen willkommen, und noch heute hohlen sie sich ihren ganzen Wasserbedarf aus den Brunnen der Missionsstation. Sieh dort hinüber. Siehst du die beiden Indianerfrauen dort kommen, die auf ihren Köpfen die hohen Krüge tragen? Sie wollen zu den Brunnen der Missionare, um Wasser zu holen.“

       Ich sah die Indianerinnen. Es war ein hübsches Bild, diese in leuchtenden Farben gekleideten Frauengestalten durch die so farblose Wüste dahingehen zu sehen.

       Jetzt waren die beiden Frauen am Brunnen angelangt und lösten den Eimer, um ihn in die Tiefe hinabzulassen. Ich musste an die Samariterin am Jakobsbrunnen denken und an den Heiland, der am Brunnen saß, als die Frau kam, um Wasser zu schöpfen. Ich konnte es mir nicht anders denken, als dass zu der Zeit, da die Missionare hier noch weilten, diese sich zu den Frauen gesellten, wenn sie zum Brunnen kamen. Aus diesem Gedanken heraus sagte ich zu Sims: „Es sitzt niemand mehr da und kommt auch niemand zu den Frauen, der ihnen lebendiges Wasser des Lebens anböte und reichte.“ Sims verstand mich und antwortete: „Nein, nicht mehr, die Zeiten sind vorüber.“

      „Seit wie lange sind die Missionare und Lehrer fort?“ fragte ich.

      „Es ist schon reichlich ein Jahr verflossen, seit der letzte Gottesdienst hier gehalten wurde.“

      „Und niemand wohnt hier und bewacht das Eigentum?“

      „Nein, niemand!“ sagte Sims und setzte hinzu: „Warum fragst du danach?“

      „Ich sehe lauter unzerbrochene Fensterscheiben in den Häusern. In meinem zivilisierten Osten wären sicherlich alle die Fensterscheiben zu Zielscheiben für Steinwürfe geworden und bis auf die letzte von bösen Buben zertrümmert worden. Es wundert mich, dass dies hier nicht geschehen ist, wo doch nur Indianer wohnen, ‚Wilde‘, wie man sie zu nennen pflegt.“

      „Mich wundert das gar nicht!“ sagte Sims. Wären diese Gebäude Eigentum der Regierung, alle Fenster und Türen wären zertrümmert worden. Die Indianer hassen uns. Aber die Missionare hatten die Zuneigung und das Vertrauen der Indianer. Ihnen würden sie so etwas nicht zu leide tun. Sie hoffen auch, dass die Männer und Frauen eines Tages zu ihnen zurückkommen. Möchtest du in die Gebäude eintreten? Ich habe die Schlüssel mitgebracht. Sie wurden mir zur Aufbewahrung übergeben.“

      „Ja gern!“ sagte ich, uns so stiegen wir von unseren Pferden, banden dieselben an einen Zaunpfosten und näherten uns einem der Gebäude.

      „In


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