Mehnerts Fall. Peter Schmidt

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Mehnerts Fall - Peter Schmidt


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leisten könnte.“ Anders als Hahnel, zog er es vor, offen zu reden. Er war das genaue Gegenteil der üblichen Parteikarrieristen und Bürokraten. Während der Biermann-Ausbürgerung war er für einen gemäßigten Kurs eingetreten.

      „Störte hat einigen Rückhalt bei den Russen.“

      „Sie halten die Fäden persönlich in der Hand“, erklärte Kuznow nachdrücklich.

      „Ich vermute auch, dass er Informationen zurückhält.“

      „Natürlich erfahren Sie nur, was Sie brauchen. Mehr wäre ein überflüssiges Risiko. Wenn überproportionale Schwierigkeiten auftauchen, kehren Sie mit der nächsten Maschine zurück. Übrigens – wie geht es Vera?“

      Damit spielte er auf ihre Probleme im Beruf an. Der Platz, den man ihr nach dem Studium zugewiesen hatte, gefiel ihr gar nicht. Sie hätte sich lieber mit Parteiarbeit befasst.

      „Hat sie sich in die Arbeit beim Naturkundlichen Museum eingewöhnt?“

      Iven bedankte sich, überging aber die Frage.

      Kuznow sagte: “Dann alles Gute“ und legte auf.

      Iven setzte sich in den Korbsessel beim Fenster und studierte die Mappe sorgfältig, ehe er sie vernichtete. Es stand eine Menge über Mehnert und Hanne drin, das er schon kannte, aber es war gut, sich alles noch einmal einzuprägen.

      Das Kleiderpaket, das man für ihn bereitgelegt hatte, enthielt ein beigefarbenes Sakko, Größe 50, eine passende braune Hose, ein bügelfreies Hemd, Unterwäsche und einen leichten Sommermantel.

      Schon bevor er einen Blick auf die Etiketten warf, sah er, dass es sich um Kleidungsstücke aus dem Westen handelte – ihre volkseigenen Betriebe webten ein anderes Tuch.

      Sakko und Hose stammten aus Kölner Kaufhäusern, der Mantel aus Prag. Karwel besaß eine Freundin in der Tschechei. Wahrscheinlich war sie der Grund für seine Reise gewesen. Da er eine spätere Überprüfung durch den Bundesnachrichtendienst nicht ausschloss, schien ihm das ein Risikofaktor. Hatte Störte diese Gefahr übersehen?

      In der Computeranalyse würde eine Querverbindung Mehnert-Hanne-Karwel-Ostkontakte erkennbar sein. Ein ausreichendes Verdachtsmoment, um Observationen des BND auf sich zu ziehen.

      Iven beschloss, die Kontakte zu Hanne so gering wie möglich zu halten.

      Störtes Plan sah vor, über einen Mittelsmann beim Kölner Arbeitsamt zu operieren – ein Vorschlag, der Iven nicht praktikabel erschien.

      Er dachte eher an eine lose Verbindung, eine Freundschaft oder dergleichen, bei der er sie in kürzeren Abständen treffen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Er brauchte dauernde Rückmeldung.

      Ein Mittelsmann wäre zu umständlich gewesen. Mehnert sollte einige Wochen vor der kommenden Abrüstungsrunde fallen. Es würde seinem Nachfolger Gelegenheit geben, im Bundestag eine Mehrheit für das russische Konzept der Verhandlungen vor dem Nachrüstungsbeschluss der NATO für Mittelstreckenraketen in der BRD zu bilden.

      Man rechnete sich aus, dass dann auch die anderen NATO-Länder nachziehen würden. Moskau lehnte nachträgliche Verhandlungen ab.

      Nicht zum ersten Mal waren sie bei diesem Poker die Verlierer gewesen. Sie wollten klare Zusagen als Antwort auf ihre neuen Vorleistungen der Truppenreduzierung in Osteuropa.

      Während er sich umzog, kam ihm die Idee, Hanne könne Mehnert ein Dreiecksverhältnis vortäuschen, bei dem Mehnert schließlich der Sieger blieb.

      Es würde ihn veranlassen, die Affäre geheim zu halten. Dann wäre eine Hauptgefahr, die Untersuchung von Hannes Biographie, aus der Welt geschafft.

      Zwar hatte man so die bundesdeutsche Gesetzgebung – alle Hinweise aus Stammbüchern, Geburtsurkunden, Ausweisen und so weiter tilgen müssen. Aber eine derartige Angelegenheit ließ sich niemals wirklich verheimlichen.

      Er nahm noch einmal die Mappe zur Hand und entdeckte, dass Störte mit demselben Gedanken spielte:

       Dreiecksverhältnis?

      stand handschriftlich unter Mehnerts Personenbeschreibung. Der Rest der Notiz war unleserlich gemacht.

      Iven riss ihn heraus, um ihn später genauer zu untersuchen.

      Das Sakko und die Hose passten wie maßgeschneidert. In der Innentasche des Jacketts fand er alle Papiere, die man Karwel in der Haft abgenommen hatte – Führerschein, Personalausweis, Pass. Der Visastempel für die Einreise in die Tschechei war entfernt. Iven lehnte sich zurück und blies Rauchkringel in die Luft.

      Diese Entdeckung war aufschlussreich: Man hatte einen Spezialstempel verwendet.

      Die übrigen Papiere sollten sich nach Störtes Ansicht in der Kölner Wohnung befinden.

      Das Passfoto sah ihm recht ähnlich. Ebenso wie die beigelegte Großformatfotografie. Vielleicht ähnlicher, als er zugeben wollte. Karwel besaß ein schmales Gesicht und eine kantige Stirn. Er erinnerte eher an einen Mathematiker, obwohl er nach Störte ein kleines Licht sein sollte, irgendein unbedeutender Arbeitsloser im großen Köln, der sich durch ein paar nicht ganz saubere Tricks vor dem sozialen Abstieg bewahrte. Nur seine Augen schienen dichter zusammenzustehen – und seine Brauen waren verwachsen.

      Wie hatte Störte es schaffen können, so schnell einen akzeptablen Doppelgänger aufzutreiben?

      Das alles verriet eher die Handschrift der Russen. Er dachte an Pirogow, den er persönlich gut kannte. Daher schloss er auch nicht aus, dass Karwels Devisenvergehen fingiert war und dass man ihn gezielt für dieses Unternehmen in die Tschechoslowakei gelockt und dann verhaftet hatte. Der Pass war offenbar echt.

      Und wenn man für das Visum einen Spezialstempel benutzt hatte, der sich nachher entfernen ließ, musste eine Absicht dahinterstecken.

      Möglicherweise arbeitete Karwels Freundin in Prag für die Sache. Dann ergab sich eine neue Perspektive: die Möglichkeit weiterer Rückschlüsse für den Computer des BND. Er rauchte noch eine Zigarette – Karwel war Kettenraucher –‚ ließ die Mappe durch den Papierschnitzler laufen und verbrannte den Rest im Aschenbecher. Danach fuhr er mit dem separaten Aufzug in die Tiefgarage. Das Ministerium besitzt eine Ausfahrt, die unter den Wohnblocks zum Köpenicker Platz führt.

      In der Halle wartete ein grauer BMW mit Westberliner Kennzeichen.

      Der junge am Steuer trug einen englischen Lumberjack. Es war einer von Störtes neuen Leuten.

      „Ihre Reisetasche liegt auf dem Rücksitz“, sagte er und zeigte nach hinten.

      „Gut, fahren Sie los.“

      Es war dunkel, als sie die Ausfahrt verließen; für Juni zu kühl. Iven kurbelte die Wagenscheibe hoch. Die Straßenlaternen glitten vorüber. Unter den Linden sah man zu dieser späten Stunde kaum noch Passanten. Sein Zug fuhr kurz nach eins. An der Staatsbibliothek bogen sie zur St.-Hedwigs-Kathedrale ab. Ein Blick in den Rückspiegel überzeugte ihn davon, dass ihnen kein Wagen folgte.

      Der Fahrer bemerkte seinen prüfenden Blick.

      „Wir sind früh genug dran“, sagte er. “Die Übergänge für Westdeutsche schließen erst um 24 Uhr. Zur Not hätte es auch noch für eine kleine Manöverrunde durch die Stadt gereicht.“

      Iven nickte.

      Sie fuhren durch die Wallstraße zum Übergang Heinrich-Heine-Straße.

      Der Himmel über den Baracken und der Mauer war hell vom Licht der Bogenlampen. Einer der Vopos, der breitbeinig vor der Barriere stand, warf einen langen Schatten. Der Fahrer des westdeutschen Wagens vor ihnen musste die Motorhaube öffnen. Kinder liefen zwischen den Fahrzeugen umher. Ein Mann in kariertem Jackett kletterte vom Rücksitz und stellte sich in den Weg.

      „Steigen Sie wieder ein“, sagte der Vopo.

      Iven sah auf seine Armbanduhr, eine Schweizer Automatik, die in der Manteltasche gesteckt hatte. Es war drei Viertel zwölf. Hinter ihnen trafen noch Nachzügler ein.

      Ein


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