Mehnerts Fall. Peter Schmidt

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Mehnerts Fall - Peter Schmidt


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sie durch..

      Fehlt nur noch, dass er militärisch grüßt! dachte Iven. Sie überholten das Fahrzeug mit der offenstehenden Motorhaube. Der Mann im karierten Jackett, der wieder eingestiegen war, sah ihnen interessiert nach.

      Verdammter Leichtsinn, dachte er. So fielen sie natürlich auf. Er wusste, dass die Gegenseite von ihrem Kontrollpunkt aus jedes ungewöhnliche Vorkommnis registrierte. Sie schienen zu schlafen, aber es war nichts als ein Bluff. Man wusste das aus früheren Fällen.

      „Wer hat angeordnet, dass wir bevorzugt abgefertigt werden?“, fragte Iven ärgerlich.

      Der junge am Steuer zuckte die Achseln.

      Sie passierten die Zollbaracke, dann die gewundene Fahrbahn zwischen den Barrieren.

      Auf der Gegenseite brannten die Lampen nur mit halber Kraft.

      Es war kein Posten zu sehen. Im halbdunklen Fenster des Kontrollgebäudes glimmte wohl eine Zigarette auf – doch die Gestalt hinter der Scheibe bewegte nicht einmal den Kopf, um ihnen nachzublicken, während ihr BMW in den Westsektor rollte.

      2

      Als Iven am Bahnhof Zoologischer Garten in den Interzonenzug stieg, ahnte er, dass ihm der Fall noch Schwierigkeiten bereiten würde.

      Allerdings war er übermüdet. In den vergangenen drei Tagen hatte er zu wenig Schlaf abbekommen. Und die Umgebung, die Fahrt durch West-Berlin, hatte ihn abgelenkt. Er war unkonzentriert und kaum in der Lage, sich über das brennende Interesse hinwegzutäuschen, das er für die Stadt empfand.

      Zum Glück neigte er nicht dazu, sich daraufhin mit allem Möglichen einzudecken. Auch in Ungarn und der Tschechoslowakei, wo er unter General Pirogow am Projekt ZETKIN mitgearbeitet hatte, bekam man Ostblockwaren, die wegen Devisenmangels nicht in die DDR, sondern in den Westen exportiert wurden.

      Das Materielle interessierte ihn nicht sonderlich. Er war eher dagegen. Es war wohl bloße Neugier.

      Anscheinend durch einen Planungsfehler hatte man kein Schlafwagenabteil reserviert. Selbst die Betten in den Liegewagen waren ausgebucht. Er beschloss, den Gedanken zu verbannen, dass es sich um eine von Störtes kleinen Hinterhältigkeiten handeln könnte.

      Dabei unterstand die Bahn auch in West-Berlin der Verwaltung der Deutschen Reichsbahn. Aber die Polster der ersten Klasse waren bequem, und bis zum Kontrollpunkt Marienborn war er allein im Abteil.

      Er lehnte sich zurück. Der Zug glitt durch die Nacht.

      Ein Tieflader mit leichten Kampfwagen, die mit Planen überdeckt waren, wartete vor dem ersten Bahnübergang auf ostdeutschem Gebiet. Der Zug stieß einen schrillen Pfiff aus, als er an ihm vorüberdonnerte.

      Für Iven war es ein eigentümliches Gefühl, die Strecke, die er schon bei einem guten Dutzend ihrer Leute – beim Planungsstab und auch auf seinem Schreibtisch – verfolgt hatte, nun selbst zu fahren.

      Auch in Gedanken war es immer das Abgleiten in etwas Ungewisses gewesen, das man, bei aller Genauigkeit der Planung, nie restlos im Griff haben würde. Es war dieser Effekt, der ihn bei der Stange hielt – am Ende klappte es doch, man kalkulierte und gewann. Trotz aller Unwägbarkeiten.

      Zu Anfang seiner Karriere war er ein wenig übereifrig gewesen –was sich mit den Jahren gelegt hatte. Nie das, was man als ideologiegeschädigt bezeichnet. Er sah die Angelegenheit realistisch und setzte auf kleine Schritte. Der Sozialismus würde siegen.

      Vielleicht endete er wie Störte, der alles als ein funkelndes Schach- und Schiebespiel ansah, an dem ihn nur faszinierte, dass er selbst die Regeln und den Lauf der Figuren bestimmte.

      In Störtes Vergangenheit gab es ein paar dunkle Punkte. Seine Verwundung stammte nicht von der russischen Front, sondern aus dem Warschauer Getto, wo er Besatzer gewesen war. Ein Jude hatte aus Rache eine Granate explodieren lassen. Das alles hatte eine Vorgeschichte.

      Er wusste, dass Iven sie kannte, und Iven wusste, dass er wusste, dass er sie kannte.

      Man würde keinen Prozess daraus machen. Die Angelegenheit hatte sich in Störtes Papierschnitzler aufgelöst. Es gab keine Unterlagen, er konnte sich sicher fühlen.

      Also ärgerte ihn höchstens, dass die gelbe Aktenmappe auf seinem Tisch genau der zum Verwechseln ähnlich gesehen hatte, die Iven eigentlich studieren sollte.

      Damals hatten sie sich an den Schreibtischen gegenübergesessen – er überzeugt, Iven habe die ZETKIN-Akte vor sich, bis irgend etwas, vielleicht ein Fall von Gedankenübertragung, ihn aufblicken ließ.

      Er starrte Iven an, und die Kriegsnarbe an seinem Schädel füllte sich mit Blut und wurde blauviolett.

      „Da ist überhaupt nichts, was im ZK gegen mich verwendet werden könnte“, sagte er mit heiserem Tonfall und streckte seine Hand aus. Er litt an krankhaftem Misstrauen. Iven verzog keine Miene, als er ihm die Unterlagen reichte.

      Dann ließ Störte die Mappe langsam vor Ivens Augen durch den Papierschnitzler laufen.

      Die ZETKIN-Dokumente hatten unter einem Stapel Akten gelegen.

      Im selben Moment, als sie über einen hellerleuchteten Bahnübergang fuhren, öffnete sich die Abteiltür und das Licht wurde eingeschaltet …

      „Pass und Gepäckkontrolle.“

      Es war eine der Volkspolizistinnen, die im Grenzverkehr Dienst tun. Ihr Blick wanderte durch das Abteil. Sie war höchstens vierzig, aber die Uniform ließ sie älter erscheinen. An der Art, wie sie Iven musterte, erkannte er, dass sie ihn für einen Westdeutschen hielt. “Ist das Ihr ganzes Gepäck?“

      Iven nickte.

      „Bitte öffnen.“

      Sie sah in den Pass und dann in die Reisetasche. “Was ist das?“, fragte sie und zeigte auf ein rotes Lederetui. Iven konnte nur raten.

      „Maniküre“, sagte er.

      „Bitte öffnen.“

      Das Etui enthielt Schreibzeug.

      „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, fragte sie mit sächsischem Dialekt und musterte ihn arrogant.

      „Nein, entschuldigen Sie, ich hatte es mit meinem Maniküreetui verwechselt. Es hat die gleiche Farbe“

      Sie musterte ihn prüfend. “Das müssten Sie aber bemerkt haben. Waren Sie in der DDR?“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Bitte noch einmal Ihren Reisepass.“

      „Was ist daran so ungewöhnlich“, erkundigte sich Iven, während er den Pass aus der Tasche zog, “wenn man zwei Etuis verwechselt?“ Sie gab keine Antwort und sah in das Dokument.

      „Im Namen der Deutschen Demokratischen Republik wünsche ich gute Weiterreise.“

      Sie verließ das Abteil. “Lieber Himmel“, murmelte Iven.

      Das war also der Eindruck, den ein Westreisender hatte. Einen Moment lang war er in seine Rolle geschlüpft – und es war merkwürdig genug. Er fühlte sich nicht besonders gut dabei. Seine Gefühle waren eher zwiespältig.

      Er stand auf und sah in den Gang hinaus. Draußen brannte nur eine grüne Deckenleuchte. Ein Westdeutscher würde das alles mit einer spöttischen Bemerkung abgetan haben. Natürlich ärgerte es ihn, dass er sich das Gepäck nicht angesehen hatte.

      Er stellte sich ans Fenster, um sich eine Zigarette anzuzünden, da sah er sie mit einer zweiten Polizistin den Gang heraufkommen. Keine Gefahr, dachte er. Es ist absolut harmlos. Wir sind auf ost-deutschem Gebiet. Es war lächerlich, die Ruhe zu verlieren. “Herr Karwel?“, fragte sie.

      Die andere war groß und hager und hielt eine Stange, an deren Winkelende ein Spiegel angeschraubt war.

      „Abteilkontrolle“

      „Wenn Sie etwas Bestimmtes suchen – vielleicht kann ich Ihnen helfen?


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