Mehnerts Fall. Peter Schmidt

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Mehnerts Fall - Peter Schmidt


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Billardspieler war; denn an den Wänden hingen großformatige Schwarzweißfotos, die ihn in verschiedenen Spielhaltungen zeigten, ein paar Mal in Siegerpose (er sah Iven tatsächlich zum Verwechseln ähnlich, besonders im Profil).

      Die Tür war mit alten Zeitungsausschnitten beklebt. Offenbar hatte er mehrere Preise gewonnen.

      Aber das Zimmer mit seinen vollen Aschenbechern und Brandflecken von ausgedrückten Zigaretten auf den Stuhlsitzen und der grünen Tischbande sah eher danach aus, als wenn hier illegal um hohe Summen gespielt wurde.

      Im Bad fand er eine zweite Zahnbürste, Schminkzeug und über dem Handtuchhalter Damenstrümpfe, auch davon hatte man ihm nichts gesagt.

      Entweder war Störte weniger gut informiert, als er vorgab, oder er hatte ihn aus irgendeinem Grund in Sicherheit wiegen wollen.

      Er entschied sich für das letztere. Bei dem Unternehmen brauchte Hanne eine überprüfbare und halbwegs glaubwürdige Kontaktperson, ihr Vorgehen musste unter Umständen täglich den veränderten Gegebenheiten angepasst werden, und Hanne war keine Mata Hari – eher ein zweitklassiger Guillaume. Das bedeutete:

      Störte war auf ihn angewiesen. Iven hoffte nur, dass sich seine Informationslücken nicht nachteilig auf das Mehnert-Projekt auswirken würden.

      Er ging in das andere Zimmer hinüber, wo ein französisches Bett beinahe die ganze Raumbreite ausfüllte - Karwels Spielwiese, dem Barwagen und der Beleuchtung nach zu urteilen, denn die Glühbirnen in den Lampen waren rötlich eingefärbt und verbreiteten anheimelndes Licht.

      Vom Fenster aus sah man in den Hof. Das niedrige Dach des Vorhauses, eine Holzhandlung mit einem bis zu den Eckhäusern reichenden Lager aus hochgestapelten Brettern und Stämmen, verdeckte nur zum Teil den Blick in die Hurengasse. Illustre Gegend, dachte Iven müde, während er die Schuhe auszog.

      Er legte sich angezogen aufs Bett und schlief sofort ein.

      Als er erwachte, war es kurz nach vier. Die Sonne schien ins Zimmer, und die Lufttemperatur hatte sich so weit erhöht, dass er nach den ersten Schritten zu schwitzen begann. Er öffnete das Fenster, danach ging er in die Küche, wo er in dem – allerdings abgeschalteten – Kühlschrank noch eine Dose nicht allzu warmes Bier fand.

      Er nahm einen Stuhl und breitete auf dem Küchentisch noch einmal sein Notizen aus, ehe er sie im Toilettenbecken verbrannte.

      Der heikle Punkt in Mehnerts Vergangenheit, der ihn angreifbar machte: Er war ledig – und man sagte ihm homoerotische Neigungen nach.

      Allerdings, ohne dass ihm das jemals nachgewiesen worden wären. Möglicherweise nur ein Diffamierungsversuch seiner politischen Gegner …

      Als Parteivorsitzender wurde er weniger scharf bewacht, verfügte über eine gehörige Portion Bewegungsfreiheit und die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht so streng wie beim Kanzler und den Ministern. Er trug einen Bürstenhaarschnitt und hochhackige Schuhe.

      Für einen Mann Mitte Vierzig – mit seinem ausgeprägten Hang zum angenehmen Leben – war er erstaunlich hoch in die Parteienhierarchie aufgestiegen. Ein Ministeramt schien er nie angestrebt zu haben. Er war der Typ, der hinter den Kulissen die Weichen stellt. Aus einer in frühen Jahren geschiedenen Ehe gab es eine Tochter, die in der Schweiz lebte.

      Weder diese Scheidung noch seine Affären mit den Sekretärinnen der Bonner Abgeordnetenszene hatten ihm schaden können, er saß fest im Parteisattel: Dabei war sein Einfluss während der Abrüstungsdebatte eher noch gewachsen. Hinter ihm stand eine solide Mehrheit – wenn alles gut ging, würde sie ihren führenden Kopf verlieren.

      Wie die Abteilung herausgefunden hatte, schlüpfte er immer einmal wieder durch die Maschen der Abschirmung, besonders im Ausland. Die Sicherheitsleute hatten es nicht leicht mit ihm. Sein Hang zu ausschweifendem Privatleben hatte ihn schon zweimal in brenzlige Situationen gebracht.

      Im vorigen Sommer war er während einer Portugalreise verschwunden. Zwei Tage später entdeckte man ihn in einem kleinen Hotel an der Algarve. Es hieß, er sei dort allein angetroffen worden.

      Doch nahm keiner dem alten Halunken ab, es habe ihn nur nach ein paar Tagen mönchischer Einkehr verlangt. Wahrscheinlich war eine Frau im Spiel. Offiziell sprach man von einem Geheimtreffen mit dem portugiesischen Sozialminister. Da es kein Dementi gab, ließ sich der Fall nie widerlegen.

      Iven konnte nur hoffen, dass Hanne sein Typ war.

      4

      Er war überrascht, wie wenig Notiz eine Umgebung von ihm nahm. Die Leute hatten vollauf mit sich selbst zu tun. Von der rheinischen Wesensart schien im hektischen Straßenverkehr und Einkaufsrummel wenig übrig zu bleiben. Iven konnte das nur recht sein. Er wurde von niemandem angesprochen und sprach selbst niemanden an.

      Unter dem Eigelsteintor war Markt, und Iven ersetzte Karwels Socken, die ihm um einiges zu groß waren, an einem Textilstand durch drei kleinere Paare. Das städtische Treiben außerhalb des Zentrums erinnerte ihn ein wenig an Berlin.

      Die Zeitungen waren unerhört offen, aber die Leute schienen sich daran gewöhnt zu haben.

       Er genoss es, sich treiben zu lassen …

      Seit Monaten, seit der Tretmühle der Abteilung, nächtlichen Sitzungen, eintreffenden Depeschen, die entschlüsselt und beantwortet werden mussten, den kleinen täglichen Siegen und Niederlagen, die nicht weniger Nerven kosteten als die großen, war er kaum zur Ruhe gekommen.

      Von hier aus kam ihm seine Arbeit beinahe unwirklich vor. Die kleinen Leute um ihn her sahen keinen “Klassenfeind“. Für sie war er nicht mehr als ein Phantom. Die Rede vom „Sieg des Proletariats“ wäre ihnen nur eine hohlklingende Phrase gewesen. Wenn sie schimpften, dann so, wie man überall in der Welt schimpft.

      Wenn sie unzufrieden waren, dann wegen ihrer ganz persönlichen Ängste und Sorgen – Beulen im Kotflügel, Ansteigen der Ölpreise waren ihnen wichtiger.

      In den nächsten Tagen erledigte er verschiedene Wege.

      Er hob von Karwels Bank einen größeren Geldbetrag ab, der ihm durch den Holländer überwiesen worden war, kaufte in den umliegenden Geschäften ein, beim Krämer an der Ecke wurde er diskret auf eine offenstehende Rechnung hingewiesen, brachte Kleidung in die Wäscherei und verhielt sich wie er glaubte, dass sich ein arbeitsscheuer Stempelgeldempfänger verhalten hätte.

      Der Aufforderung des Arbeitsamtes zur Meldung kam er nicht nach, das schien ihm zu gefährlich. Er riskierte lieber eine Sperrfrist.

      Auf Karwels Geld war er ohnehin nicht angewiesen. Die eigenen Leute – und erst recht die Russen – knauserten nicht, wenn es um wichtige Projekte ging. Da Karwel sein Spielchen schon über einen längeren Zeitraum trieb, würde er den Berufsberatern zur Genüge bekannt sein. Eine einzige falsche Bemerkung konnte ihn verraten.

      Niemand nahm Notiz von ihm, niemand schien ihn vermisst zu haben. Nicht ein einziges Mal sprachen ihn Nachbarn im Haus an.

      Er wurde höflich gegrüßt, doch im übrigen gingen sie ihm aus dem Weg. Iven gewann den Eindruck, dass Karwel zwar gut bekannt in dem Viertel, aber nicht sonderlich gern gesehen war. Es traf auch keine weitere Post ein.

      Bei der Bank teilte man ihm mit, dass er sein Konto um neunhundert Mark überzogen hatte. Nach der Überweisung des Holländers, die vom Konto einer Scheinfirma in Krefeld stammte, und der Anrechnung der Überzugszinsen sah man den Fall als erledigt an. Karwels Unterschrift bestand aus einem “K“ mit angehängter Schlangenlinie – sie war kinderleicht zu fälschen und hatte ihn nicht mehr als drei Versuche auf dem Küchentisch gekostet.

      Iven gewöhnte sich an seine neue Rolle. Er überstürzte nichts. Das erste Zusammentreffen Hannes mit Mehnert sollte Anfang Juli sein, wenn sich aus organisatorischen Gründen eine günstige Gelegenheit bot. Der Abteilung war auch bekannt, dass der Parteivorsitzende danach eine Reise plante.

      Ivens Plan sah vor, zunächst die “Operationsbasis“ zu sichern. Er bewegte sich immer unbekümmerter in der Umgebung.


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