Maßstäbe. Helmut Lauschke
Читать онлайн книгу.mit Frauen, Kindern und wenig Habe ans Kap. Dort siedelten sie und versuchten das Glück des Lebens mit ihrem reformierten Glauben noch einmal. Sie bauten sich einfache Kirchen und strichen sie innen und außen weiß an, damit es auch mit dem Beten stimmte. Ihnen sagte das milde Klima zu, das sie aus Frankreich kannten. Sie entschieden sich für das fruchtbare Land, das sie den ‘Khoi-khois’ oder Hottentotten buchstäblich unter den Füßen wegnahmen und sie aus ihren Hütten und von ihren Feldern und Weiden vertrieben. Das Beten in den weiß gestrichenen Kirchen war die eine Sache. Die andere Sache war das Hantieren von Stöcken, Peitschen und Gewehren, um bei der Landübernahme, was nichts anderes als die Landbesetzung war, keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, was sprachlich und zeichensprachlich möglich war. So gruben sich die Weißen mit dem reformierten Glauben und aus der französischen Not im fruchtbaren Boden am Kap ein und hielten mit Gebet und Gewalt am guten Boden fest, dass sie die Ureinwohner und vorherigen Landbesitzer durch die gewaltsame Wegnahme des angestammten Bodens in die afrikanische Not stürzten.
Der Boden war so fruchtbar und weit, dass die eingewanderten Weißen aus Frankreich dem Kap den Namen ‘Kap der Guten Hoffnung’ gaben, was in der Sprache der neuen weißen ‘Afrikaners’ die ‘Kaap van die Goeie Hoop’ heißt. Die Ureinwohner konnten es nicht glauben, was mit ihnen geschah. Dafür glaubten die Buren um so fester an das gute Land. Erzbischof Desmond Tutu bringt die Enteignung und Aneignung des afrikanischen Bodens durch die Weißen gegen die afrikanisch-traditionellen Rechtsnormen auf die Formel: ‘Als die Weißen kamen, hatten sie die Bibel in der Hand, und wir hatten das Land. Doch bald hatten sie das Land und wir hatten die Bibel.’ So war das Erste die weiß gestrichene Kirche mit dem calvinistischen Glauben, dem das Zweite mit der Aneignung des fruchtbaren Bodens auf dem Fuße oder mit der betenden Hand folgte. Da unterjochten diese Glaubensbrüder, und das im großen Stil, die Khoi-khois und die ‘San people’ oder Abathwas (Buschmänner) und die hinzugezeugten Cape-coloureds (Kinder weißer, portugiesischer und holländischer Väter und eingeborener Frauen). Sie machten die Eingeborenen land- und rechtlos und verdingten sie zur Feld- und Sklavenarbeit. Bei den Landenteignungen schreckten die calvinistischen Brüder vor der Gewaltanwendung nicht zurück. Im Gebrauch von Handfeuerwaffen waren sie geübt. Da hatten die Einheimischen, die in ihrer Tradition auf den Boden ihrer Väter vertrauten, den Weißen nichts entgegenzusetzen. Alles Flehen und Reden der Frauen und Mütter mit den verängstigt weinenden Kindern ließen die calvinistisch reformierten Glaubensbrüder ebenso wenig gelten wie die verzweifelten Verteidigungsversuche ihrer Männer und Väter. Das stieß auf taube Ohren und eiserne Herzen. Es half nichts, sie alle wurden von ihrem angestammten Boden vertrieben. Im Falle der Gegen- oder Notwehr wurden die Männer vor den Augen ihrer Frauen und Kinder zusammengeschlagen und ausgepeitscht, an Händen und Füßen gefesselt und abtransportiert, wo dann andere Foltermaßnahmen hinzukamen. Die weißen ‘Siedler’ kannten kein Erbarmen, mit denen der vierzehnte Ludwig in Frankreich auch kein Erbarmen hatte. Es war die Enthüllung der Apokalypse von weißer Hand mit Knebelung und Fesselung der schwarzen und anderen Hände mit der sandfarbenen Haut, die allesamt schwächer waren und besitz- und rechtlos wurden.
So ist zu verstehen, dass die Weißen nicht erst auf den Willkommensgruß der Schwarzen warteten, sondern sich gleich aufs hohe Ross schwangen, um von höherer Warte die Übersicht über die Weiten des fruchtbaren Landes zu bekommen und mit dieser Übersicht die Inbesitznahme hugenottisch zu erklären und das Land ‘weiß’ unter sich aufzuteilen und mit den weißen Siedlungen unverzüglich zu beginnen. Die Absicht war vorgegeben, das Land den andern so schnell wegzunehmen, dass die so schnell gar nicht denken konnten. Deshalb ging die hugenottische ‘Flurbereinigung’ auch zügig vonstatten, da die Vorbesitzer und ihre Familien von ihren Hütten und Feldern und dem Weideland vertrieben wurden. Die liefen um ihr Leben so schnell, als hätte ihnen das Land noch nie gehört. Mit der skrupellosen Dickschädeligkeit haben es die Weißen in kurzer Zeit zu großen Ländereien gebracht, auf denen die vormaligen Kleinbesitzer die Feldarbeit wie Sklaven verrichteten. Es ist die Kolonisation, dass. das Altangestammte mit den afrikanischen Traditionen wie ein alter Baum vom weißen Schwert gekappt wurde. Die Ehrfurcht vor dem Alter des Baumes und der Stammesstärke mit der weit ausladenden Baumkrone kannten die Weißen nicht. Das Alte wurde enthauptet und in Bodennähe weggeschlagen und niedergemacht. Da durfte sich keiner in den Weg stellen, weil der gleich mit niedergemacht wurde. Die Wurzeln wurden aus dem Boden gerissen und in kleine Stücke zerhackt. Das Alte mit der afrikanischen Tradition wurde unkenntlich gemacht, und wenn es verbrannt werden musste. Was einst bewundert und verehrt wurde, das gibt es nicht mehr, seitdem die Weißen da sind und vom ‘Kaap van die Goeie Hoop’ sprechen.”
Es ist das Bild des weißen Drachens mit dem weit aufgerissenen, gefräßigen Rachen und dem zähnefletschendem Gebiss. Dr. Witthuhn erzählt die Geschichte weiter: “Bald machten die weißen Siedler es ökonomisch; sie fassten die vielen kleinen ‘herrenlosen’ Ländereien zusammen und machten aus einer großen Zahl von kleinen Feldern und begrenztem Weideland eine kleine Zahl von großen Farmen mit weiten Feldern und unbegrenztem Weideland, auf denen die einstigen Besitzer nun als Arbeiter recht- und besitzlos für den neuen, auf dem hohen Ross sitzenden und streng herabblickenden Landlord bis auf den Tag dienen. Damit haben die eingesiedelten Hugenotten den Beweis erbracht, dass sich der reformierte Glaube mit der weißen Dickfellig- und Hartköpfigkeit für sie bewährt hat und reich belohnt wurde. Ihr Erfolg, der bei dieser Skrupellosigkeit nicht ausbleiben konnte, widerspricht den anfänglichen Befürchtungen. Wie die ersten Siedler, so danken ihre Nachfahren Gott für den reichen ‘Segen’ und halten sich mit so viel gutem Land für das auserwählte Volk.” Das Bild ist ein gewohntes, dass der Hund neben dem weißen ‘Baas’ als dem Herrn und Meister in der Fahrerkabine sitzt, wenn schwarze Arbeiter bei Wind und Wetter auf offener Lade zu den Feldern und Erdarbeiten im Flussbett oder zur Errichtung eines Dammes gefahren werden. Der ‘Baas’ feuert sie mit harschen Worten zur Arbeit an und beaufsichtigt sie mit dem Stock in der Hand. Der Schwarze lebt mit Frau und Kindern in primitiven Hütten, den Squatters. Sein Leben ist der Willkür und Laune des weißen ‘Baas’ ausgesetzt. Von ihm muss sich der Schwarze die groben Flüche und Beschimpfungen ebenso gefallen lassen wie den Sklavenlohn und die Knüppel- und die Peitschenhiebe.
Je mehr weiße Kirchen am Kap errichtet wurden, desto trostloser wurde das Leben für die, denen einst das Land gehörte. Die Schwarzen wurden missioniert. Die Weißen, die mit der Bibel in der Hand aus Europa auf dem Schiff nach Südafrika kamen und an Land gingen, zwangen den Schwarzen das Land weg und die christliche Religion auf. Sie missionierten und nahmen weg, was afrikanisch war und der afrikanischen Tradition seit vielen Generationen entsprach. Es waren die zwei Reformen, die von den Weißen durchgeführt und den Schwarzen aufgezwungen wurden, was die weiße Boden- und die Glaubensreform genannt werden konnte. Gegen diese Reformen gab es keine Alternativen, wenn die Schwarzen überleben und mit dem nackten Leben davonkommen wollten. Bei diesen Reformen gegen den eigenen Willen verloren die “Kap-Aborigines” dann auch den eigenen Glauben an das Gute im Menschen und an die Rückkehr zur Scholle ihrer Geburt und Kindheit. Beides, der gute Glaube wie die geliebte Scholle, ist ihnen gehörig ausgeprügelt worden. Da brauchte sich keiner mehr wundern, dass es kaum noch Afrikanisches gab, wofür es sich zu leben lohnte. Damit sie nicht mit ihren Freiheitsgedanken umherzogen und irgendwelche Anstiftungen in dieser Richtung unternahmen, wurden sie wie beißende Hunde in ‘Squatter camps’ gesperrt, die sich in den Jahren zu stinkenden Slums der größten Armut und unglaublichsten Erbärmlichkeit auswuchsen. Dort konnte es eine normale europäische Nase bei dem Gestank der Urin-, Verwesungs- und anderen Gerüche nicht lange aushalten.
Zur weißen Landübersicht kam die weiße Menschenübersicht. Alle Menschen mussten bei den weiß durchgeführten Menschenkontrollen das Ausweispapier vorzeigen, in dem die Rassenzugehörigkeit durch einen dicken Stempelaufdruck vermerkt ist. Da gab es neben ‘Blanke’ für Weiße und ‘Europeër’ den ‘Indiër’, ‘Asiaat’, ‘Coloured’ und ‘Swart’ (Schwarz als Hautfarbe) oder ‘Swarte’, den Menschen mit der schwarzen Hautfarbe. Bei dieser Kasteneinteilung war die Hautfarbe mehr entscheidend als der breite Nasenrücken eines ‘Cape-coloureds’, den es auch in Burengesichtern gibt. Doch wird der Bur trotz der breiteren Nase weiterhin ein Weißer oder Europäer eingestuft, was er ja auch unbedingt sein will. Der Stempel weist aus, wer sich frei bewegen kann und wer nicht, wer das Recht auf Arbeit gegen gute Bezahlung, auf Gesundheit, Schule und