Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert


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als Subjekt erdrückt. Er verwandelt die Zahlung von Schulden in einen kontinuierlichen Mord und verwandelt das Haus Gottes in ein Kaufhaus, das schlimmer ist als eine Räuberhöhle. Aber es gibt kein Argument gegenüber dieser Tautologie des verhärteten Herzens, das sein Gewissen unterdrückt durch seine Bezugnahme auf die Erfüllung des Gesetzes.

      Sie sehen ohne zu sehen. Sie sehen nicht, obwohl sie sehen. Ganz im Gegenteil verhärtet sich das verhärtete Hertz umso mehr, je mehr man es zu durchdringen versucht. Es ergibt sich eine Spirale des verhärteten Herzens. Je mehr es auf die Zerstörung des menschlichen Lebens hingewiesen wird, umso mehr verhärtet es sich durch den Verweis auf die Erfüllung des Gesetzes. Es reagiert dann agressiv und gewaltsam, um die Argumente zum Schweigen zu bringen und um sich als erfülltes Gesetz aufzuzwingen. Johannes analysiert diese Verhärtung im Kapitel 8 seines Evangeliums, das die Geschichte von der Heilung des blind Geborenen erzählt: die Blinden sehen und die Sehenden werden blind. Dies mündet in ein Spiel der Gegensätze ein:

      “Hierauf sprach Jesus: Zu einem Gericht bin ich in diese Welt gekommen, damit die, die nicht sehen, sehend und die Sehenden blind werden. Das hörten einige von den Pharisäern, die bei ihm standen, und sagten zu ihm: Sind etwa auch wir blind? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wäret, so hättet ihr keine Sünde. Nun aber sagt ihr: Wir sehen. Eure Sünde bleibt.” (Joh 9, 39-41)

      Sie sehen, ohne zu sehen. Die Verhärtung als Sünde kann keine Vergebung haben, solange sie nicht sieht. Aber sie kann nicht sehen und will nicht sehen. Sie verschließt sich. Johannes zeigt die Sicht dieses Problems in der mosaischen Trdition, indem er den Popheten Jesaja zitiert:

      “Er hat ihre Augen blind und ihr Herz hart gemacht, damit sie nicht mit ihren Augen sehen und mit ihren Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.” (Is 6, 9f, Joh 12, 40)

      Einem anderen Evangelium nach nennt Jesus diesen Prozeß der Verhärtung des Herzens die Sünde wider den Heiligen Geist, aus der es keinen Ausweg gibt durch die Vergebung von Sünden.

      Dies ist die Vorstellung von der Sünde im Singular nicht nur im Evangelium des Johannes, sondern in aller christlichen Botschaft, vor allem auch bei Paulus. Es ist die Sünde, die sich mit dem formalen Gesetz verbindet in dem Grade, in dem es nicht durch den lebenden und bedürftigen Menschen als Subjekt herausgefordert wird, indem dieser ihm gegenüber rebelliert. Das Gesetz ist für das Leben notwendig, aber wenn es nicht durch das Subjekt herausgefordert wird, führt es zum Tode. Es ist dann ein Gesetz zum Tode, auch wenn es ein von Gott gegebenes Gersetz ist. Dieser Tod ist impliziert in der Trägheitslogik des Gesetzes und nicht das Ergebnis seiner Verdrehung.

      Das Gesetz, wenn es nicht durch den Menschen als Subjekt herausgefordert wird, verwandelt sich in eine große Dampfwalze, die alles Leben erdrückt, in eine Todesmaschine und schließlich in das Medium des kollektiven Selbstmords der Menschheit, wie dies etwa die Apokalypsis auffaßt.

      Sich dieser Sünde zu unterwerfen ist das “von der Welt” sein im Sinne dessen, was Jesus im Jahannesevangelium sagt (vor allem in Joh 15, 18-27). Ihr gegenüber erfolgt die Forderung, in der Welt zu sein, ohne von der Welt zu sein. Es heißt, in der Welt zu leben ohne sich mitreißen zu lassen durch die Sünde, die in der Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Von hier aus ist verständlich, daß Jesus erlebt, daß die Welt, durch ihre Verhärtung des Herzens hindurch, diejenigen haßt, die in der Welt nicht von der Welt sein wollen. Es handelt sich um einen Begriff der Welt, der durchaus auch bei Paulus auftaucht, wenn auch nicht in dieser zentralen Bedeutung. Paulus behandelt es im ersten Korintherbrief als Spiel der Gegensätze zwischen der Welt und denen die nicht von der Welt sind. Da ist dann die Welt eine Torheit für die, die nicht von der Welt sind, und die, die nicht von der Welt sind, sind Toren für diejenigen, die von der Welt sind. Für Paulus ist dies “nicht von der Welt” sein die “Weisheit Gottes”. Johannes führt dies weiter. Die Rettung der Welt sieht er als Rettung von dieser Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Jetzt ist die Weisheit Gottes die andere Seite dieses lebenden Menschen als Subjekt, der rebelliert um das Gesetz im Namen des Lebens herauszufordern und um damit das menschliche Leben zu befreien.

      Das, was Johannes hier als Botschaft der Befreiung sieht, spricht aus dem Munde des Johannes des Täufers aus. Dieser sagt nach dem Evangelium des Johannes über Jesus: “Siehe das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt.” (Joh 1, 29)

      Da die Sünde im Singular steht, handelt es sich um die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Es handelt sich nicht um die Sünden und daher nicht um Gesetzesverletzungen. Die Sünde der Welt ist die Sünde, die darin besteht, von der Welt zu sein. Es ist die Sünde, die als Fluch nicht nur über dem Gesetze liegt, sondern über der Welt liegt. Johannes spricht seine Sicherheit aus, daß Jesus diese Sünde von der Welt nehmen wird, daß er diesen Schleier von der Welt nimmt, der die Wirklichkeit verschwinden läßt hinter der Tautologie der Gesetzeserfüllung um des Gesetzes willen. Es ist die Hoffnung des Johannes, der glaubt, daß der Mord an Jesus die Augen öffnen wird derer, die blind waren. Dies hat nicht im geringsten eine sakrifizielle Bedeutung. Es ist nicht die Fruchtbarkeit eines Opfers, die Johannes erwarte, auch wenn er das Lamm ein Opferlamm ist. Es ist gerade bei Johannes das Opferlamm, dessen Tod enthüllt, was die Bosheit des Gesetzes ist, die nämlich darin besteht, Menschen zu opfern. Hier wird nicht in Jesus ein Mensch geopfert, damit dieses Opfer fruchtbar werde, sondern die Opferung dieses Menschen offenbart, daß jedes Menschenopfer, auch die Opferung Jesu, Mord ist und als Opfer keinerlei Fruchtbarkeit hat. Im sakrifiziellen Sinne ist jedes Opfer ein unsinniges Opfer Auch die Opferung Jesu ist unsinnig und hat nicht den geringsten Sinn. Dadurch aber zeigt sie, daß jedes Menschenopfer unsinnig ist und keine Fruchtbarkeit hat. Die Hoffnung des Johannes ist es, daß der Tod Jesu als unsinniger Tod die Bosheit des Gesetzes um des Gesetzes willen so definitiv zeigt, daß selbst die verhärteten Herzen durchdringbar werden, damit die Sünde von der Welt genommen werde, die darin besteht, von der Welt zu sein.

      Das Johannesevangelium stellt sich daher die Frage: Warum und wie tötete die Welt, die von der Welt ist, Jesus? Und die andere Frage: Warum und wie nimmt dieser Tod die Sünde der Welt hinweg? Die Antwort setzt gerade voraus, daß dieser Tod keinen Sinn hat. Warum also? Weil die Welt, wenn sie von der Welt ist, den haßt, der nicht von der Welt ist. Aber warum nimmt dieser Tod die Sünde der Welt hinweg? Deshalb, weil er keinen Sinn hat. Hätte dieser Tod Sinn, wäre überhaupt der Tod nicht sinnlos. Dann könnte selbst die Sünde gerechtfertigt werden, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Dennoch geschieht etwas durch diesen Tod. Da er die Sinnlosigkeit des Tötens zeigt, macht er die Tatsache transparent, daß alle Menschenopfer – und die Sünde die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, ist ein Menschenopfer – ohne Sinn sind. Johannes geht nicht in die Falle, die darin besteht, für den Tod Jesu einen sakrifiziellen Sinn zu suchen, den er gar nicht hat. Aber durch diesen Tod geschieht etwas, indem die Bosheit des Gesetzes transparent wird. Aber das kann nur geschehen, weil dieser Tod keinen Sinn hat. Er kann eine Transparenz der Welt eröffnen, die die Sünde von der Welt hinwegnimmt. Dies ist die Hoffnung des Johannes. Er drückt sie durch ein Wort Jesu im Evangelium aus: “Wenn ihr werdet den Menschensohn erhöht haben, dann werdet ihr erkennen, daß ich bin…” (Joh 8, 27) Hier ist kein sakrifizieller Sinn ausgesprochen, ssondern eine Erkenntnis. Ihnen wird ein Licht aufgehen.

      Dahinter steht die Überzeugung des Johannes, die er mit Paulus teilt, daß der Tod Jesu selbst die Sünde ist, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Er ist letztlich überhaupt das. In aller Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, ist diese Sünde als solche mit enthalten. Daher besteht Johannes darauf, daß Jesus verurteilt wurde nach dem Gesetz und daß das Urteil dem Gesetz entsprach. Das Gesetz wurde nicht mißbraucht, um Jesus töten zu können, sondern das Gesetz, als Gesetz das seiner selbst willen erfüllt wird, verurteilte Jesus zum Tode und zwar mit Recht. Jesus wurde zu recht zum Tode verurteilt, nicht aus irgendwelchen mörderischen Absichten, die das Gesetz zum Vorwand nahmen und es mißbrauchten. Dies ist nur bei Paulus und Johannes ganz ausdrücklich so ausgesagt. Bei Johannes sind die Hohen Priester politische Realisten und Gesetzesmenschen. Es ist das Gesetz, das den Tod Jesu fordert. Als dann die Hohen Priester von Pilatus in die Enge getrieben sind, klagen sie Jesus an und riskieren dabei ihr eigenes Leben. Sie sind wirklich Männer des Gesetzes, und insofern spricht Johannes sogar mit Hochachtung von ihnen. Sie sind bei Johannes nicht einfach die Mörder, wie sie es bei


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