Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert


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das ist der Skandal. Es ist nicht der Skandal der Hohen Priester, sondern der Skandal des Gesetzes und der Skandal des Kreuzes. Es enthüllt sich etwas. Es enthüllt sich, daß das Gesetz in seiner Logik Jesus, der für Johannes das Wort ist, das das Leben ist, zu Recht zum Tode verurteilt. Schlimmer noch: es ist das von Gott gegebene Gesetz, das das tut. Daraus folgt dann, daß alles Gesetz, wenn es um seiner selbst willen erfüllt wird, diesen Skandal in sich trät, der dann einfach nur ausdrückt, was in seiner ganzen Bedeutung der Fluch ist, der über dem Gesetz liegt. Der Fluch des Gesetzes ist, Jesus als Wort, das das Leben ist, zu Recht zum Tode verurteilen zu müssen. Daher sind bei Johannes die Hohen Priester nicht mörderische, sondern tragische Figuren. In ihnen geschieht eine Tragödie, die aus diesem Skandal des Gesetzes erwächst.

      Daher bricht im Tod Jesu für Johannes wie auch für Paulus das Gesetz an sich selbst. Für sie tötet es in Jesus das Leben selbst. Dadurch aber verliert es jede Legitimität, die es an sich durch seine Legalität zu haben beansprucht. Es hat sich enthüllt, was das Gesetz ist.

      Dieser Schluß aber hängt völlig davon ab, daß die Verurteilung Jesu rechtens war. War sie nicht rechtens, enthüllt sie ja nicht, was das Gesetz ist. Der Fluch, der über dem Gesetz liegt, enthüllt sich nur, wenn Jesus durch das Gesetz rechtens verurteilt wurde. Daher stellen sowohl Paulus als auch Johannes dieses Urteil als rechtens dar. Dies ist für die ihre Position der Kritik des Gesetzes völlig zentral. Es sind nicht die Hohen Priester, aber auch nicht Pilatus, die Jesus verurteilen. Jesus wird verurteilt durch das Gesetz, das durch die Hohen Priester und durch Pilatus hindurch spricht. Es ist die Welt, die Jesus verurteilt. Die ihn verurteilen, sind von der Welt. Indem sie von der Welt sind, sprechen sie ein Gesetz aus, das um seiner selbst willen zu erfüllen ist. Daher enthüllt diese Verurteilung nicht etwa die Bosheit des Pilatus oder der Hohen Priester, sondern die Bosheit des Gesetzes und zwar die Bosheit allen Gesetzes und aller Gesetzlichkeit.

      Bei Matthäus wird Jesus gekreuzigt, weil er leidenschaftlich gehaßt wird. In der Verurteilung Jesu wird das Gesetz mißbraucht. Bei Johannes gibt es dieser Art Haß überhaupt nicht. Die Gegner Jesu argumentieren mit dem Gesetz und ohne Leidenschaft. Sie sind ehrenwerte und sogar mutige Männer. Aber durch diese Ehrenhaftigkeit und durch diesen Mut hindurch verwirklicht sich die Bosheit des Gesetzes. Johannes sagt, daß die Welt haßt. Aber sie hat keinen leidenschaftlichen Haß. Ihr Haß ist Teil des Gesetzes selbst und seiner Funktionalisierung als Selbstzweck. Steiner sagt vom Johannesevangelium:

      “Bezeichnenderweise empfand Bach, daß es sich der Vertonung widersetzt. Seiner Johannespassion fehlt ein sicheres Zentrum.”7

      Tatsächlich, Bach konnte einen leidenschaftlichen Haß vertonen, aber nicht diesen Gesetz gewordenen, rationalisierten Haß ohne Leidenschaft, der der Haß der Welt ist.8 Ich wüßte auch nur eine Musik, die so etwas vertonen kann, nämlich die Musik von Schönbergs Sprechgesängen, wie sie gerade in seinem Sprechgesang über das Warschauer Ghetto vorliegt. Der Bachschen Musik entspricht dies nicht.

      Offensichtlich kann es diesem Phänomen gegenüber nicht um die Vergebung der Sünde der Welt gehen. Daher besteht Johannes in seinem Evangelium darauf, daß der Ausweg aus dieser Sünde nicht die Vergebung sein kann. Die Vergebung von Sünden setzt voraus, daß ein Bewußtsein von der Sünde besteht. Hier aber besteht das ja gar nicht. Wo kein Bewußtsein des Vergehens ist, kann auch keine Vergebung sein. Aber Johannes verspricht denen, die diese Sünde begehen, nicht etwa ewige Höllenstrafen, die dem späteren Christentum so lieb sind. Er spricht daher davon, daß diese Sünde hinweggenommen wird. Sie verschwindet, indem die Konsequenz der Gesetzlichkeit transparent wird. Johannes ist sogar davon überzeugt, daß Jesus in seinem Tod die Sünde der Welt weggenommen hat, obwohl er während seines Lebens an ihr gescheitert ist. Die Tatsache, daß Jesus in Erfüllung des Gesetzes exekutiert wird, soll dann jenes Bewußtsein von einem notwendigen neuen Verhältnis zum Gesetz hervorbringen, das das Leben Jesu nicht gebracht hatte. Dies ist die Utopie des Johannes und wahrscheinlich auch die Utopie Jesu am Ende seines Lebens. Johannes müßte daher davon ausgehen, daß diese Utopie ihrem Wesen nach Wirklichkeit geworden ist, obwohl sie sich in der Geschichte erst im Prozeß ihrer Verwirklichung befindet.

      Johannes hält an dieser seiner Utopie fest, obwohl er doch in seiner Zeit sehen konnte, daß diese Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, ihn und die christlichen Gemeinschaften in der römischen Welt weiterhin verfolgte. Er hält an der Utopie fest, obwohl doch sichtbar war, daß Jesus nicht diese Sünde von der Welt weggenommen hatte. Er konstruiert in diesem Sinne in den Abschiedsreden Jesu sein Bild von Jesus, das diesen als den Sieger durch seinen Tod hindurch zeigt. Ein Jesus, der die Welt besiegt hat, während doch sichtbar war, daß es die Welt war, die siegte. Sie siegte so sehr, daß wir heute in der Gefahr leben, daß die Menschheit und die Natur von dieser Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes – und zwar des Wertgesetzes - begangen wird, verschlungen werden.

      Heute stehen wir doch viel eher nicht nur vor dem Scheitern Jesu als Person, sondern auch seiner Botschaft. Nur von der Anerkennung dieses Scheiterns werden wir heute noch das Leben Jesu zurückgewinnen können. Aber es geht jetzt darum, sein Leben zurückzugewinnen und nicht seinen Tod. Ein Sieg kann wohl kaum im Tod geschehen, auch wenn man noch so sehr an die Auferstehung jenseits des Todes glaubt. Auch die Auferstehung ist ein Aufruf, das Leben Jesu zurückzugewinnen in dem Sinne, daß nicht immer wieder der zum Subjekt werdende Mensch getötet wird. Da bleibt nicht eine beantwortete Frage, sondern eine offene. Es gibt nicht eine schon geschehene Erfüllung der Utopie des Johannes, sondern es gibt nur die Notwendigkeit, sie zu erfüllen. Das aber ist die Verantwortung der heutiger Menschen, die kein Text aus der Vergangenheit ersetzen kann.

      Der Glaube des Abraham und die Göttlichkeit des Menschen

      Ich hatte bereits erwähnt, daß ich davon ausgehe, daß das Evangelium des Johannes in eine Endszene einmündet, die mit der Gefangennahme Jesu beginnt und die die Verhöre der Hohenpriester und des römischen Statthalters Pontius Pilatus und die Verurteilung Jesu durch diesen und die darauf folgende Exekution am Kreuz einschließt (Joh 18,12-19,22). Die Passionsgeschichte zeigt den Ausgang des Evangeliums. Aber das Evangelium selbst hat als sein Zentrum und daher als seine zentralen Szenen zwei Auseinandersetzungen Jesu, die im Kapitel 8 über den Glauben und die Werke Abrahams und im Kapitel 10 über die Göttlichkeit des Menschen geführt werden. Am Ende beider Szenen wird Jesus mit dem Tode bedroht und beide mal kann er entkommen.

      Diese beiden Szenen sind entscheidend für die Interpretation des Ausgangs des Evangeliums und daher der Passionsgeschichte. Ich werde sie daher im folgenden analysieren, bevor ich zur Analyse der Passionsgeschichte übergehe. In der ersten dieser zentralen Szenen stößt Jesus mit einer Gruppe von Menschen zusammen, die an ihn glauben. Mit diesen Gläubigen und Sympathisanten diskutiert er über Abraham und darüber, was es bedeutet, Sohn Abrahams zu sein. Jesus stellt sich als Sohn Abrahams in einem Sinne vor, der von seinen Zuhörern als Skandal empfunden wird, sodaß sie sich gegen ihn wenden und ihn sogar töten wollen (Joh 8,31-59). In der zweiten Szene stellt Jesus sich im Tempel einer nicht weiter spezifizierten Menschenmenge , die allerdings eher gegen ihn eingestellt ist, gegenüber als Sohn Gottes vor, was wiederum als Skandal aufgefaßt wird, sodaß Jesus wiederum bedroht wird (Joh 10,22-39).

      Um beide Szenen zu verstehen, muß man allerdings voraussetzen, daß für das Denken von Jesus die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, eine völlig zentrale Kategorie ist. Ohne diese Kategorie werden beide Auseinandersetzungen völlig unverständlich.Vor allem seine Auseinandersetzung mit seinen Gläubigen wird ohne diese Kategorie unverständlich. Man versteht dann überhaupt nicht, warum eigentlich eine solche Spannung entsteht, daß diese Gläubigen sich gegen Jesus wenden, um ihn zu töten. Daher wurden beide Szenen in einem Christentum unverständlich, das das Bewußtsein von der Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, weitgehend unterdrückte und daher gerade diese Szenen auf die aberteulichsten Weisen interpretierte. An die Stelle dieser Auseinandersetzung mit der Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, trat dann im Laufe der Zeit eine antisemitische Interpretation besonders des achten Kapitels, der gemäß nicht die Sünde von Jesus angegriffen wird, sondern stattdessen die Juden.

      Die


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