Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert


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wir und die vom Gesetz selbst normiert wird. Jesus in seiner Gesetzeskritik geht nur am Rande auf diese Gewalt ein, mit der das Gesetz auf Gesetzesübertretungen reagiert. In der Geschichte von der Ehebrecherin, die ich weiter oben zitiert habe, sieht man seine Stellung gegenüber dieser Gewalt. Jesus diskutiert nicht einmal das Problem der Verhältnismäßigkeit zwischen der Übertretung des Gesetzes, die im Ehebruch besteht, und der verhängten Todesstrafe. Was er kritisiert ist die Heuchelei derer, die sie verurteilen. Es ist die Heuchelei der angeblichen Unschuld gegenüber der Schuldigen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Was in dieser Geschichte bedeutet: Wer von euch ohne Ehebruch ist, werfe den ersten Stein.

      Hier wird die Unschuldsvermutung gegenüber dem Richter – und dem Ankläger - aufgehoben. Kein Richter ist unschuldig. Er ist Komplize des Verbrechens, über das er urteilt. Es geht hier nicht um mildernde Umstänge für den Angeklagten und auch nicht die feine psychologische Frage, ob er vielleicht als Kind zu heiß gebadet worden ist. Es geht um die Verwicklung des Richters in das Verbrechen. In dieser Geschichte nimmt auch Jesus sich davon nicht aus, denn auch er wirft nicht den ersten Stein.

      Dies ist wohl auch der Grund dafür, daß Johannes kein letztes Gericht mit einem allwissenden, unschuldigen Richter kennt. Gemäß Johannes sagt Jesus: Denn Gott hat den Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde. (Joh 3,17) Der Mensch lebt sein Gericht, und dieses ist das letzte. Das Gericht ist dieses Leben und wie man es führt. Aber dies heißt keineswegs, daß es dem Guten gut geht und dem Bösen schlecht im Sinne des Erfolgs im Leben, sondern im Sinne eines in-der-Wahrheit-sein. Diese Wahrheit aber ist kein Bekenntnis, sondern ein Weg.

      Aber auch diese spezifische Gewalt gegenüber spezifischen Übertretungen ist Teil eines Kreislaufs der Gewalt. Das Gesetz, das legalistisch erfüllt wird, zerstört den Menschen. Der Mensch aber kann sich jetzt als Subjekt, das rebelliert, gegenüber dem Gesetz verhalten. In diesem Fall aber verwandelt sich das Gesetz in den Leviathan und wendet die Gewalt des Leviathans an. Damit aber geht die Gewalt über alle spezifische Gewalt hinaus und wird zum Terror. Das Gesetz entwickelt eine jetzt unendliche Fähigkeit zur Gewalt, die überhaupt keinen Gesetzen mehr unterliegt. Diese Gewalt als Terror zwingt jetzt die Gesetzlichkeit selbst auf, und ihr gegenüber kann man auf kein Gesetz zurückgreifen. Es ist die Gewalt des Ausnahmezustands, in der im Namen des Gesetzes alles Gesetz zur Verfügung steht. Diese Gewalt kennt keine Grenzen und stellt die andere Seite der Gewalt dar, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird. Sie bezieht sich nicht auf spezifische Transgressionen und antwortet auch nicht durch spezifische, normierte Gewaltausübung. Ihr Ziel ist die Sicherung der Gesetzlichkeit selbst und ihre Mittel unterliegen keinen Normen.

      Jesus gegenüber wird nicht etwa eine spezifische Gewalt angewendet, die sich auf spezifische Übertretungen von Gesetzen bezieht. Er wird nicht etwa bestraft, weil er das Gesetz des Sabbats oder des Privateigentums verletzt hat. Er hat durchaus beide Gesetze verletzt, aber die Gewalt, die er erleidet, ist nicht eine spezifische Strafe für spezifische Gesetzesverletzungen. Jesus hat das Gesetz selbst in Frage gestellt als Gesetz, das durch Legalität legitim zu sein bansprucht. Er stellte alles Verhältnis zur Gesetzlichkeit selbst in allen ihren Verästelungen in Frage. Seine Gesetzeszverletzungen geschehen bewußt und Jesus gibt ihnen symbolische Bedeutung, um die Gesetzlichkeit selbst in Frage zu stellen. Er bestand auf dem menschen als Subjekt gegenüber dem Gesetz, und stellte damit alles geltende Gesetz seiner Zeit in Frage. Vom Standpunkt eines Gesetzes, das sich als Gesetz Gottes versteht, beging er tatsächlich Blasphemie. Dieselbe Blasphemie begeht er einem Gesetz gegenüber, das sich als Gesetz der Vernunft versteht. Ob sich das Gesetz als Gesetz Gottes oder als Gesetz der Vernunft versteht, ist hier völlig zweitrangig. Wenn es sich als formale Gesetzlichkeit versteht, die durch legalistische Gesetzeserfüllung gerecht macht, handelt es sich immer um heterogene Ethiken, die den Menschen zerstören.

      Die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird und die Verhärtung der Herzen

      Im Kontext der Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird, erscheint die Analyse dessen, der diese Sünde begeht. Dies ist der Bezugspunkt der Herzensverhärtung. Wenn das Gesetz erfüllt wird um des Gesetzes willen, bleibt die Wirklichkeit des Menschen außer Sicht. Man sieht ohne zu sehen. Es handelt sich um eine Erfahrung, die sich durch die gesamte christliche Botschaft hindurchzieht als eine Grunderfahrung Jesu in seinem Verhältnis zu seinen Ggenern. Das Gesetz, das um seiner selbst erfüllt wird, ist vollkommen tautolisch in bezug auf die Wirklichkeit. In diese Tautologie einzutreten, macht es unmöglich, noch menschliche Beziehungen zu haben. Alles wird dem Gesetz unterworfen, während sich das Gesetz in einen Despoten verwandelt, der niemandem unterworfen ist. Es wird zum Despoten, indem es als Gesetz behandelt wird, dessen Erfüllung gerecht macht.

      Jetzt rechtfertigt das Gesetz und seine legalistische Erfüllung das Handeln. Dieses hat keine Verantwortung mehr außerhalb der streng legalistischen Gesetzeserfüllung. Das Gesetz ist legitim, weil es legal ist. Das Handeln dem Gesetz entsprechend bekommt sein gutes Gewissen ganz unabhängig von den Konsequenzen des Handelns. Das Gesetz tötet, aber derjenige, der in Erfüllung des Gesetzes tötet, hat kein Bewußtsein und kein Gewissen in bezug auf die Tatsache, daß er tötet. Er tötet, ohne Gewissensprobleme zu haben. Das Gesetz verwandelt sich in einen Schleier, und der Akt des Tötens erscheint als ein Akt der Gerechtigkeit. Es handelt sich um eine Gerechtigkeit, die sich nur von der Erfüllung des Gesetzes als Norm herleitet. Der Mörder, der in Erfüllung des Gesetzes mordet, erscheint zugleich als Lügner. Jetzt heißt die Ungerechtigkeit Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit heißt Ungerechtigkeit. Alles moralische Bewußtsein wird durch das Bewußtsein der Erfüllung des Gesetzes ausradiert. Die Tatsache, das Gesetz erfüllt zu haben, löscht die Stimme des moralischen Gewissens aus. Das Gewissen selbst dreht sich um. Es schlägt, wenn man in Betracht der Konsequenzen das Gesetz nicht erfüllt. Der Mensch ist jetzt für den Sabbat da und der Schuldner ist da, um das Wertgesetz zu erfüllen und die Schulden zu bezahlen. Über den Sabbat und das Wertgesetz hinaus gibt es nichts. Das Gewissen fragt nur noch nach der Erfüllung des Gesetzes; das menschliche Leben als Unterscheidungskriterium verschwindet. Derjenige, der das Gesetz erfüllt, geht über alle Wirklichkeit hinweg und kann sie zerstören, vorausgesetzt, er tut dies in Erfüllung des Gesetzes.

      Dies ist unsere Wirklichkeit, nicht nur ein Problem von vor 2000 Jahren. So sagt Hayek: "Selbstverständlich ist die Gerechtigkeit nicht eine Frage der Ziele einer Handlung, sondern ihres Gehorsams gegenüber den Regeln, denen sie unterworfen ist."6 Es erscheint als selbstverständlich, das Gesetz so zu erfüllen, daß es erfüllt wird. Wer es tut, ist gerecht. Es scheint kein Fluch über dem Gesetz zu liegen, und daß das Gesetz tötet, geht das Gesetz nichts an. Es ist zum Despoten geworden. Diese Welt des Gesetzes ist einfach unsere Welt, und von dieser Welt zu sein, heißt, diese Gerechtigkeit zu verwirklichen. Das Gesetz ist dabei heute fast ausschließlich das Wertgesetz und Gesetze, wie das Gesetz des Sabbats vor 2000 Jahren, sind selbst dem Wertgesetz unterworfen. Wo aber auf solchen Gesetzen noch bestanden wird, gilt dies als Fundamentalismus. Das Wertgesetz ist jetzt selbst alles, es ist auch der Sabbat. Der Gewinn als Kriterium, sofern er innerhalb der Geltung des Wertgesetzes gemacht wird, legitimiert die Aktion, auch wenn diese die Menschheit und die Natur zerstört. Der Mord, der dabei geschieht, wird durch die Lüge verdeckt, nach der der Automatismus des Marktes das Allgemeininteresse verwirklicht. Dies ist die Sünde, die in Erfüllung des Gesetzes begangen wird und selbst für das orthodoxe Christentum ist die Anklage dieser Sünde längst etwas völlig Fremdes geworden ist. Aber die Anklage dieser Sünde steht im Ursprung eben dieses Christentums.

      Das, was hier in dem Handelnden geschieht und es ihm ermöglicht, alle Verantwortung für sein Tun von sich zu weisen, ist die Verhärtung des Herzens, die durch Argumente kaum durchdrungen werden kann. Die Tautologie des Gesetzeshandelns verwandelt das Herz – um mit Max Weber zu sprechen - in eine “stählernes Gehäuse”, das nicht mehr zugänglich ist. Die ausschließliche Verantwortung vor dem Gesetz verwandelt sich in nackte Verantwortungslosigkeit gegenüber der Wirklichkeit des Menschen. Für Jesus ist diese Erfahrung der Verhärtung der Herzen eine schockierende Erfahrung. Kein Argument dringt durch, denn das verhärtete Herz antwortet ausschließlich durch Rückgriff auf die Erfüllung des Gesetzes. Es fühlt sich gerecht, weil es das Gesetz erfüllt. Und eines dieser Zentren der Erfahrung Jesu ist gerade


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