Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert


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in der Jesus das Verhältnis zu Abraham in die Auseinandersetzung bringt, steht er gläubigen Sympathisanten gegenüber. Über sie sagt Johannes: “Als er dieses redete, glaubten viele an ihn. Jesus sagte nun zu den Juden, die zum Glauben an ihn gekommen waren...” (Joh 8,30-31). Johannes stellt bewußt zu Beginn dieser Szene heraus, daß Jesus zu Gläubigen spricht. Aber Jesus spricht provozierend zu ihnen. Offensichtlich glaubt er ihrem Glauben nicht. Diese Spannung zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben, tritt häufiger in allen Evangelien auf. Im Johannesevangelium wird sie bereits vorher vorgeführt, was ich als eine Vorbereitung für diese Szene empfinde, gleichzeitig aber auch als Vorbereitung für die Interpretation einer späteren Szene, in der Jesus beim Einzug in Jerusalem wiederum von Gläubigen als König gefeiert wird und denen er ebenso provozierend antwortet.

      Diese vorbereitende Stelle findet sich am Ende der Geschichte über die Brotvermehrung und bezieht sich auf die Menge der Gläubigen, die gegessen hatten:

      “Da nun Jesus merkte, daß sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen, floh er wieder auf den Berg, er allein.” (Joh 6,15)

      Der Konflikt bricht darauf wieder aus und jetzt mit den Jüngern Jesu:

      “Viele nun von seinen Jüngern, die das hörten, sagten: Diese Rede ist hart. Wer kann sie anhören? (Joh 6,60)

      Von da an zogen sich viele von seinen Jüngern zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher.” (Joh 6,66)

      Jesus wendet sich jetzt an den engen Kreis seiner Jünger:

      “Das sagte Jesus zu den Zwölfen: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens.” (Joh 6,67-68)

      Jesus reagiert gereizt auf diejenigen, die an ihn glauben. Offenbar will er nicht, daß man an ihn glaubt. Was er will, ist, daß man den Glauben, den er hat, teilt. Es ist der Glaube des Jesus, um den es geht und nicht der Glaube an Jesus. Die Gläubigen hingegen, mit denen Jesus sich auseinandersetzt, glauben an Jesus als Ergebnis seiner Wunder, daher an Jesus als den Wunderheiler und den Mann der wunderbaren Brotvermehrung. Daher wollen sie ihn zum König, was sehr verständlich ist, denn was kann es besseres geben als einen König, der die Krankheiten heilt und mit sieben Broten tausende von Menschen ernährt. Jesus aber will, daß sie seinen Glauben teilen und nicht etwa an ihn glauben. Er sieht seine Wunder als Beweise dafür, daß dieser sein Glaube Kraft hat und wahrhaft göttlich ist.

      Daher antwortet Simon Petrus auf die Frage, ob er nicht auch weggehen will, nicht durch Verweis auf die Wunder, sondern durch das: Du hast Worte ewigen Lebens. Das ist das Gleiche wie zu sagen: Wir teilen deinen Glauben.

      Diese Art Konfrontation wiederholt sich ständig. Dasselbe im Verhältnis zu Judas, dem Jesus sagt: Habe ich euch die Zwölf, ausgewählt? Und von euch ist einer ein Teufel! (Joh 6,70) Dies ist keine Wahrsagerei, sondern wieder eine Provokation. Im Verhältnis zu Petrus entsteht ein gleich harter Zusammenstoß, von dem Markus berichtete. Dort sagt Jesus zu Petrus: Hinweg von mir, Satan! denn du denkst nicht an die Sache Gottes, sondern die der Menschen. (Mk 8,33) Auch hier provoziert Jesus, um eine Konversion zu erreichen. In keinem Fall handelt es sich um eine Verurteilung a priori.

      Diese Spannung zwischen dem Glauben an Jesus und dem Aufruf Jesu, seinen Glauben zu teilen, tritt immer wieder hervor. So sagt auch Paulus: Christus hat mich ja nicht ausgesandt zu taufen, sondern die Heilsbotschaft zu verkünden, und zwar nicht in Weisheit der Rede, damit das Kreuz Christi nicht zunichte gemacht werde. (1 Kor 1,17) Die Taufe kann ganz einfach den Glauben an Jesus ausdrücken und daher ist sie nicht das, worum es geht. Es geht darum, den Glauben des Jesus zu teilen und das heißt, die Heilsbotschaft zu glauben.9

      Dennoch ist es gerade das Evangelium des Johannes, das diesen Konflikt besonders herausstellt. Daher spielen die Konflikte zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben, eine besondere Rolle. Jesus selbst argumentiert häufig durch extreme Provokationen. Johannes zeigt diese ersten Gläubigen keineswegs als eine homogene Bewegung von Leuten, die sich definitiv zu seinem Glauben bekehrt haben. Jesus ist dort in einem ständigen Konflikt und in ständiger Auseinandersetzung mit der von ihm selbst iniziierten Bewegung. Daß man an ihn glaubt, bedeutet für diesen Jesus keineswegs, daß man seinen Glauben teilt. Es ist nicht mehr als eine Möglichkeit, sich zu diesem Glauben des Jesus zu konvertieren. Jesus aber sucht diese Konversion, sodaß es in einen ständigen Konflikt mit seinen Gläubigen kommt. Es handelt sich um einen Konflikt, der keineswegs weniger hart ist als der Konflikt mit seinen Gegnern.

      Die Szene, die wir hier als erste zentrale Szene kommentieren (Joh 8, 1-59) entwickelt mit aüßerster Intensität diesen Konflikt zwischen Jesus und denen, die an ihn glauben. Jesus wirft ihnen einen Glaube ohne Konversion vor. Das ist eben der Glaube an Jesus als dem großen Wunderheiler und der zu nichts weiter verpflichtet als zu glauben, daß Jesus Wunder tuen kann. Aber um sein Jünger zu sein, fehlt dann eben das wichtigste: Daher fordert er sie heraus im Namen seiner Heilsbotschaft:

      “Wenn ihr in meinem Worte bleibt, dann werdet ihr wirklich meine Jünger sein; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.” (Joh 8, 31-32)

      Die Wahrheit wird befreien. Hier geht es um den Glauben des Jesus. Seine Zuhörer aber fühlen sich provoziert. Sie sind frei. Freie Bürger einer Gesellschaft, die ihnen Freiheit gibt. Wer erklärt, daß sie sich befreien müssen, erklärt, sie seien Sklaven. Aber sie sind keine Sklaven, sondern freie Bürger. Sie erleiden vieles, und die Wunder Jesu kommen da gerade recht und sie können an ihn glauben. Aber wieso Befreiung?

      “Sie antworteten ihm: Wir sind Nachkommen Abrahams und nie jemandes Sklaven gewesen. Wie kannst du behaupten: Ihr werdet frei werden?” (Joh 8,33)

      “…nie jemandes Sklaven gewesen”. Das ist Ironie des Johannes. Die Geschichte Israels ist eine Geschichte der Sklaverei in Egypten und der Befreiung aus dieser Sklaverei. Sie sind Sklaven gewesen, und jetzt sagt Jesus ihnen aufs Neue, sie seien Sklaven und zwar Sklaven des Gesetzes. Sie aber betrachten sich als Freie durch das Gesetz. Auch die Freiheit durch Abstammung von Abraham ist eine Freiheit durch das Gesetz, denn das Gesetz erklärt, daß es die Abstammung ist, die die Freiheit gibt. Das Gesetz erklärt daher, wer von Abraham abstammt, keineswegs irgendeine biologische Tatsache. Daher betrachten sie sich als frei durch das Gesetz, wie ein römischer Burger sich als frei betrachtet auf Grund der gesetzlich normierten Bürgerschaft oder wie ein heutiger Bürger der okzidentalen Demokratie sich als frei betrachtet, weil das Gesetz ihm den Status der Freiheit gibt und er daher unter Gesetzen lebt, die demokratisch legitimiert sind und unter politischen Autoritäten, die demokratisch gewählt sind. Gegen diese Freiheit durch Gesetz richtet sich der Zorn Jesu. Er wirft ihnen sogar vor, ihn töten zu wollen, obwohl sie bisher zumindest nichts dergleichen gesagt haben. Aber Jesus geht davon aus, daß das Gesetz, das auf der einen Seite die Freiheit durch Gesetz erklärt, mit innerer Logik zum Grund dafür werden wird, ihn zu töten, der darauf besteht, daß diese Freiheit Unfreiheit ist.

      “Jesus erwiderte ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der Sünde tut, ist ein Sklave. Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Hause. Der Sohn bleibt für immer. Wenn also der Sohn euch frei macht, werdet ihr wirklich frei sein. Ich weiß, daß ihr Nachkommen Abrahams seid. Aber ihr sucht mich zu töten, weil mein Wort in euch nicht Eingang gewinnt.” (Joh 8, 34-37)

      Aber jetzt bestehen sie auf ihrer Freiheit durch Gesetz und wiederholen:

      “Sie antworteten und sprachen zu ihm: Unser Vater ist Abraham.” (Joh 8,39)

      Jesus aber wird wieder zornig:

      “Jesus sagt zu ihnen: Wenn ihr Kinder Abrahams wäret, würdet ihr die Werke Abrahams tun. Nun aber sucht ihr mich zu töten, der ich euch die Wahrheit verkündet habe, die ich von Gott gehört habe. Das hat Abraham nicht getan. Ihr tut die Werke eures Vaters.” (Joh, 8, 39-41)

      Von Abraham abzustammen, macht nicht frei. Auch Abraham stammt von Abraham ab und ist frei durch das Gesetz. Aber Abraham befreite sich. Um frei zu sein mit Abraham muß man die Werke Abrahams tun. Die Abstammung ist zweitrangig, letztlich nicht einmal bedeutend. Durch seine Werke befreite sich Abraham, nicht durch seine Abstammung. Indem man sich wie Abraham durch die Werke


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