Der Schrei des Subjekts. Franz Josef Hinkelammert

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Der Schrei des Subjekts - Franz Josef Hinkelammert


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des Christentums gegen Christus ist. Unter dem Schein, ein Christ zu sein, verfolgt er Christus. Der Antichristus wird hier als Spiegelbild des Christus gesehen. Er scheint Christus zu sein, aber er ist es nicht. Ob er aber der Christus ist oder der Antichristus, kann man aus dem Spiegelbild nicht ableiten. Es folgt aus seiner Haltung zum Mord.13 Das Nein zum Töten gibt das Wahrheitskriterium, um wissen zu können, wer der Christus und wer der Antichristus ist.

      Es überrascht dann nicht, daß der erste Johannesbrief eine Art Zusammenfassung der kommentierten Szene gibt:

      “Daran werden die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels offenbar. Jeder, der nicht Gerechtigkeit übt, ist nicht aus Gott, und der seinen Bruder nicht liebt. Denn das ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, daß wir einander lieben sollen. Nicht wie Kain, der aus dem Bösen war und seinen Bruder ermordet hat. Und warum hat er ihn ermordet? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht. Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch haßt. Wir wissen, daß wir aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tode. Jeder, der seinen Bruder haßt, ist ein Menschenmörder und ihr wißt, daß kein Menschenmörder ewiges Leben als dauernden Besitz hat.” (1 Joh 3,10-15)

      Ich bin überzeugt, daß all dies einen tiefen Konflikt in der christlichen Kirche zur Zeit des Johannes anzeigt, in dem Johannes seinen Standpunkt bezieht. Aber es schließt eine Kritik an aller späteren Geschichte des Christentums ein. Dies bedeutet keineswegs, daß Jahannes ein Wahrsager war. Indem er seine eigene Zeit versteht, versteht er vieles davon, was später geschehen wird. Ein Maler sagte: Willst du ein universales Gemälde malen, male dein Dorf. Johannes malt sein Dorf und schafft ein universales Welttheater.

      Die griechische Freiheit

      Der Schlußsatz des kommentierten 8. Kapitels des Johannesevangeliums ist: Jesus aber verbarg sich und ging aus dem Tempel (Joh 8,59). Dieses Herausgehen aus dem Tempel ist sicher nicht nur geographisch gemeint. Mit dieser ganzen Szene des 8. Kapitel verläßt Jesus tatsächlich den Tempel. Johannes hat dies vorbereitet. Im Gespräch mit der Samaritanerin hatte er bereits gesagt:

      “Glaube mir Frau, es kommt die Stunde, wo ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt aus den Juden. Aber es kommt die Stunde, und sie ist jetzt da, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden. Denn der Vater sucht solche Anbeter. Gott ist Geist, und die anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.” (Joh 4 ,21-24)

      Hier ist immer die Wahrheit ein Weg, der dann im 8. Kapitel durch das Nein zum Töten erläutert wird. Indem dieses aber jetzt den Gläubigen als Sohn Abrahams ausweist, tritt Jesus tatsächlich aus dem Tempel heraus, zu dem man als Nachkomme Abrahams dem Gesetze nach gehört. Die ganze Szene ist ein Heraustreten aus dem Tempel, wodurch jetzt eine neue Sohnschaft des Abraham behauptet wird, die sich von den Werken Abrahams herleitet und nicht aus der Nachkommenschaft.

      Tritt allerdings Jesus aus dem Tempel heraus, so hört der Konflikt um die Freiheit durch Gesetz nicht auf.

      Tatsächlich sprechen die Gläubigen, mit denen Jesus in Konflikt tritt, eine merkwürdige Sprache. Sie sagen: Wir sind Nachkommen Abrahams und nie jemandes Sklaven gewesen (Joh, 8,33). Das ist sicher keine besonders jüdische Art zu sprechen. Für die jüdische Tradition ist vielmehr typisch, davon zu sprechen, daß man Sklave gewesen ist in Egypten und von Gott durch den Exodus befreit wurde. Zu sagen, man sei nie Sklave gewesen, ist griechisch und römisch. Dies behaupten die Söhne der polis und der römischen Republik.

      Tatsächlich spielt hier bereits dieser griechisch-römische Freiheitsbegriff eine Rolle, für den das Zeichen der Freiheit ist, Sklaven zu haben und nicht Sklave zu sein. In der Iphigenie von Euripides finden wir diesen Begriff der Freiheit. Gemäß Euripides drückt ihn Iphigenie selbst aus. Sie tut dies, nachdem ihr Vater, Agamemnon, sie dazu bestimmt hatte, der Göttin geopfert zu werden, um damit den Sieg des griechischen Heeres im Krieg gegen Troja zu sichern. Die Mutter Iphigenies widersetzt sich der Opferung ihrer Tochter, aber gegen sie nimmt Iphigenie das Opfer auf sich und stellt sich auf die Seite ihres Vater in seinem Willen, sie zu opfern:

      “Höret meine Worte an, Mutter; ohne Grund ja grollst du, wie ich sehe, deinem Mann. ... Aber du mußt auch verhüten, daß das Griechenheer ihn haßt... Sterben muß ich unabwendbar und vollenden will ich es auch mit Ruhm, unedle Regung tilgend aus der edlen Brust.... Mir hat Hellas’ ganzes großes Volk die Blicke zugewandt, und auf mir ruht seiner Schiffe Fahrt und Trojas Untergang; ...

      All dies Heil werd ich erringen, wenn ich sterbe, und mein Ruhm wird unsterblich weiterleben, daß ich Hellas' Volk befreit. Denn warum sollt’ auch das Leben mir vor allem teuer sein? Allen hast du mich geboren, allem Volk, nicht dir allein.... Sollte da mein einzig Leben alledem im Wege sein? ...

      Dieses einen Mannes Leben wiegt ja tausend Frauen auf. Und wofern als blutend Opfer Artemis mein Leben will, soll ich ihr entgegentreten, Göttern ich, die Sterbliche? Nein! Unmöglich! Hellas geb ich meinen Leib zum Opfer hin. Tötet mich, verwüstet Troya ... Den Hellenen sei der Fremdling untertan, doch, Mutter, nie fröne Hellas' Volk den Fremden; Knechte sind sie, Freie wir!”14

      Sicher, das “ nie jemandes Sklave” gewesen zu sein hat sich hier verwandelt in das “Knechte sind sie, Freie wir”. Hier wird ganz unmittelbarund offen die Freiheit als Mord ausgedrückt, und dieser Mord dann mit dem Selbstmord verknüpft. Alles dies wird von Euripies, einem Mann, einer Frau in den Mund gelegt: Dieses einen Mannes Leben wiegt ja tausend Frauen auf. Das alles aber ist Erfülung eines Gesetzes. Iphigenie selbst besteht darauf, daß sie in Erfüllung eines gerchten Gesetzes stirbt, das von der Göttin gegeben wurde.

      Wenn also Jesus aus dem Tempel geht, so steht er jetzt dieser Freiheit durch Gesetz gegenüber, aber ebenso der römischen Freiheit. In der Szene des Johannesevangeliums ist dies impliziert. Nimmt man dies in Betracht, so bekommt der Aufruf Jesu, sich zu befreien, eine universale Bedeutung, die tatsächlich über den Tempel hinausgeht. Man versteht dann, daß aus der Sicht Jesu auch diese Freiheit den Teufel zum Vater hat, aber ebenso daß Jesus, von der Sicht dieser Freiheit durch Gesetz her, von einem Dämon besessen erscheint.

      Es gibt keine Freie Welt. Jede Welt, die behauptet, durch Gesetz und Institution eine Freie Welt zu sein, ist eine Form der Sklaverei. Dennoch ist es möglixh, sich zu befreien, so wie Abraham sich befreite. Dies ist was dem Evangelium des Johannes gemäß die Botschaft Jesu ist. Von diesem Gemälde aus, das Johannes von seinem Dorf malt, wird die Dimension einer zukünftigen Geschichte sichtbar, die in dieser Freien Welt seiner Zeit angelegt ist.

      Der politische Realismus und das Nein zum Töten

      Es gibt eine andere Szene des Evangeliums des Johannes, deren Analyse die Kritik des Gesetzes beleuchten kann, die, nach Johannes, Jesus macht. Sie erscheint im Evanglium nach den beiden zentralen Szenen des Kapitels 8 und 10 und sie bezieht sich auf den politischen Realismus der Hohenpriester, mit dem sie auf das Wunder der Auiferweckung des Lazarus reagieren:

      “Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was er getan, glaubten an ihn. Einige aber von ihnen gingen zu den Pharisäern und erzählten ihnen, was Jesus getan hatte. Da riefen die Hohenpriester und Pharisäer den Hohen Rat zusammen und sagten: Was tun wir? Dieser Mensch wirkt so viele Zeichen. Wenn wir ihn so weitermachen lassen, werden alle an ihn glauben, und die Römer werden kommen und uns den heiligen Ort und das Volk wegnehmen. Einer aber von ihnen, Kajaphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war, sagte zu ihnen: Ihr versteht nichts und überlegt nicht, daß es besser ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt und nicht das ganze Volk zugrunde geht. Das aber sagte er nicht von sich aus, sondern als Hoherpriester weissagte er, daß Jesus für das Volk sterben sollte, und nicht für das Volk allein, sondern auch um die zerstreuten Kinder (Söhne FJH) Gottes zur Einheit zusammenzuführen. Seit jenem Tag also waren sie entschlossen, ihn zu töten. Jesus ging nun nicht mehr öffentlich unter den Juden umher, sondern ging von dort weg in die Landschaft nahe der Wüste,


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