Siedend heiß. Rudi Kost

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Siedend heiß - Rudi Kost


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einmal auf dem besten Weg zu einem Jahrhundertsommer. Der wievielte war das jetzt eigentlich schon in diesem noch jungen Jahrhundert?

      Die Gazetten schrieben besorgt, es sei für die Jahreszeit »zu warm«. Früher hätten wir mit den Schultern gezuckt, noch ein bisschen mehr gestöhnt und uns gegenseitig bestätigt, dass das Wetter verrückt spiele. Wieder einmal. Wie eigentlich immer. »Normales« Wetter gab es ja ohnehin nur in der Statistik. Seit der Klimawandel erfunden worden war, zogen wir angstvoll die Köpfe ein und übten uns im kollektiven Schuldbewusstsein.

      Der Plan war eigentlich gewesen, eine kleine Spritztour durch die Dörfer zu unternehmen, damit die feinstaubgeplagte Großstädterin mal die gute Hohenloher Landluft schnuppern konnte.

      Gern hätte ich Karin einige unserer idyllischen Schätze gezeigt, das Langenburger Schloss vielleicht, das auf einer Bergnase über der Jagst hockte. Oder Vellberg mit seinen trutzigen Wehranlagen und den gepflegten Fachwerk­häusern. Oder Waldenburg, das hinab ins weite Kochertal schaute. Das quirlige Künzelsau, die kleinste Kreisstadt im Land.

      Doch bei diesen katastrophalen Temperaturen war daran nicht zu denken. Ein andermal vielleicht.

      Das Ersatzprogramm war nicht minder schweißtreibend. Karin bestand auf einer Stadtführung. Jetzt gleich. Mir stand der Sinn eher nach einem gemütlichen Plausch in einem schattigen Café.

      »Das willst du dir nicht wirklich antun«, warnte ich.

      »Und wieso nicht?«

      »Es ist viel zu heiß.«

      Karin wischte den Einwand beiseite. »Ich liebe Hitze.«

      »Schwäbisch Hall ist eine kleine Stadt.«

      »Ich liebe kleine Städte.«

      »In dieser kleinen Stadt ist es sehr eng.«

      »Das meinst du jetzt nur geografisch, oder?«

      »Weil es so eng ist, geht es immer steil den Berg hinauf.«

      »Ich bin fit.«

      »Du wirst fürchterlich schwitzen.«

      »Was ist dein Problem? Du genierst dich, mit mir durch diese kleine, enge Stadt zu laufen, stimmt’s?«

      Absolut nicht. Mit Karin an seiner Seite legte man keine Schande ein, im Gegenteil, man zog alle Blicke auf sich: groß, schlank, attraktiv, mit hellblondem Haar, das sich in weichen Wellen auf ihre Schultern legte. Dabei war sie überaus elegant angezogen: Der schwingende sandfarbene Seidenrock zeigte viel hübsches Bein, ihr Tanktop umschmeichelte ihren Busen wie eine zweite Haut.

      Ich versuchte mich zu erinnern, wie Karin früher gewesen war. Die Eckigkeit der Jugend hatte sich abgeschliffen, was ihr gut stand. Sie war lange nicht mehr so hibbelig, hatte ansonsten aber nichts von ihrem Temperament verloren. Sie erschien mir – ja, reifer als seinerzeit. Ob man das von mir auch sagen konnte?

      Sie war exakt so alt wie ich, also siebenunddreißig, und strahlte eine warme Sinnlichkeit aus. Ihre sanfte Stimme war wie ein hoffnungsfroher Frühlingshauch – na, das war vielleicht nicht der passende Vergleich bei gefühlten vierzig Grad.

      Wenn Karin sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es kein Erbarmen, daran hatte sich nichts geändert. Also machten wir die Runde durch die Stadt, und ich sparte nicht mit den notwendigen Erklärungen.

      Ich haderte mit dem Schicksal namens Karin, das mein Programm durcheinandergebracht hatte und mich dieser mör­derischen Hitze aussetzte. Warum konnten wir uns nicht einfach irgendwo hinsetzen und uns erst einmal in aller Ruhe beschnuppern, wie es nach dieser langen Zeit angemessen gewesen wäre?

      Zur Strafe jagte ich sie über ein paar mehr Treppen, als unbedingt nötig gewesen wären, und davon gibt es in unserer Stadt reichlich. Ich war gespannt zu sehen, wer von uns beiden besser in Form war. Ich wenigstens war die steilen Anstiege gewohnt und joggte regelmäßig.

      Mein leichter Unmut verflog rasch. Es gab nichts zu beschnuppern. Die alte Vertrautheit stellte sich schnell wieder ein. Überraschend schnell. Mir wurde etwas mulmig.

      Natürlich war Karin hellauf begeistert von Schwäbisch Hall, wie jeder, der in die alte Reichsstadt kommt. Sie bewunderte die Fachwerkhäuser und die engen Gassen und stöckelte klaglos, wenn auch etwas mühsam die steilen Treppen hinauf und hinab.

      Ich schaute auf ihre Schuhe. Es gehörte eine ordentliche Portion Masochismus dazu, mit diesen Dingern laufen zu wollen. Aber ich sagte nichts.

      Im Sommer zeigt sich Schwäbisch Hall von seiner schönsten Seite. Überall grünt und blüht es, auf den Plätzen, vor den Fenstern, in den Hinterhöfen – mediterranes Flair in Hohen­lohe. Das Leben hatte sich nach draußen verlagert, die Straßencafés waren voll besetzt. Es schien, als würden die Menschen ein wenig länger verweilen als sonst, sofern sie überhaupt einen Platz im kostbaren Schatten ergattert hatten.

      Wir schlenderten durch die Fußgängerzone, und Karin ließ sich im Bauernlädle zu einem großen Stück Schinken vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein überreden, einer Rasse, die schon fast ausgestorben war und sich nun unter Fein­schmeckern eines exzellenten Rufes erfreut. Damit Karins Freunde in München mal was Anständiges zu essen bekamen.

      »Wellet Se a Gugg?«, fragte die Verkäuferin.

      Karin schaute sie so ratlos an, als hätte sie chinesisch gesprochen. Dabei war’s nur Schwäbisch, was doch eigentlich jeder versteht.

      »Eine Tüte«, übersetzte ich.

      Karin war beeindruckt von der Vielfalt regionaler Köstlichkeiten, von der selbst gemachten Marmelade bis zum selbst gebrannten Schnaps, bemängelte jedoch in einer kühnen gedanklichen Volte das Schuhangebot in der Stadt.

      Das hatte ich schon des Öfteren gehört. Ich schaute genauer auf ihre Füße. Nein, das bekam man hier in der Tat nicht, soweit ich das beurteilen konnte. Brauchte man auch nicht in unseren Kopfsteinpflastergassen. Ich behielt meine Gedanken für mich. So viel hatte ich gelernt in meinem Leben als Mann.

      Andauernd wurde ich gegrüßt und machte die Honneurs. Die Frauen nickten mir zu, die meisten Männer blieben stehen und tauschten ein paar Höflichkeitsfloskeln, den Blick auf Karin gerichtet.

      »Du kennst eine Menge Leute«, staunte Karin.

      »Bleibt nicht aus. Ist eben eine kleine Stadt, wie ich schon sagte.«

      »Und eng und steil, wie ich jetzt weiß.«

      »In einer kleinen Stadt begegnet man sich zwangsläufig ständig.«

      »Das hat etwas Heimeliges an sich. Wie eine große Fa­milie. Jeder kennt jeden.«

      »Viele sind auch meine Kunden. Siehst du den Mann dort drüben mit einem Bauch wie im neunten Monat? Fran­­zösischlehrer. Lebensversicherung, Autoversicherung, Haft­pflicht, Hausrat. Das Übliche eben.«

      Ein hagerer jüngerer Mann mit glatt rasiertem Schädel kam uns entgegen. Er hatte ausnahmsweise keine Augen für Karin, sondern nickte nur kurz im Vorübergehen und eilte weiter.

      »Schwer beschäftigt. Hat eine kleine Softwarefirma, die gut im Geschäft ist. Elektronik, Haftpflicht, Diskrimi­nie­rung.«

      »Diskriminierung?«

      »Noch nichts vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gehört?«

      »Natürlich. Es soll vor Benachteiligung aufgrund von Alter, Geschlecht, Rasse und dergleichen schützen.«

      »Richtig. Und nun suchst du zum Beispiel einen jungen, dynamischen Programmierer, was bei einem jungen, dynamischen Softwareunternehmen eigentlich naheliegt.«

      »Und dann kann dir ein älterer, nicht so dynamischer Bewerber ganz schön Schwierigkeiten machen, wenn er will. Ich weiß. Du sprichst schließlich mit einer Juristin.«

      »Dagegen gibt es eine sogenannte Haftpflichtversicherung für Ansprüche aus Diskriminierungstatbeständen.«

      »Gibt es eigentlich etwas, gegen das es keine Versicherung gibt?«


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