Siedend heiß. Rudi Kost

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Siedend heiß - Rudi Kost


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war so fröhlich gewesen. Sie hatte zu den Erbsiedern gehört, und sie war stolz darauf gewesen.

      Ich wandte mich wieder Karin zu. »Die Sieder sind nicht bloß ein Verein zur Erheiterung der Touristen. Die Sieder sind eine Tradition. Und die nehmen sie verdammt ernst, das wirst du schon noch merken.«

      Als der Sarg abtransportiert war, zerstreuten sich auch die Gaffer. Wir ließen uns mittreiben. Nach den Wirrnissen dieser Nacht hätte ich noch einen Schluck vertragen können. In den Kneipen, drinnen wie draußen, tobte immer noch das volle Leben. Lachen, lärmen wie auf einer Piazza in Italien. Es müsste herrlich sein, sich dazuzusetzen, etwas Kühles zu trinken, mitzureden, mitzulachen, unbeschwert die warme Nacht zu genießen. Wenigstens so lange, bis die Nachricht von dem Mord sich verbreitet hatte.

      Aber wir waren beide müde und bedrückt. Und unterdessen war es zwei Uhr geworden. Wortkarg gingen wir zurück zum »Goldenen Adler«.

      »Noch einen Absacker?«, fragte ich.

      Karin schüttelte den Kopf.

      »Bei mir?«

      »Nein. Es ist zu spät.«

      Vielleicht hatte sie recht.

      Wir verabschiedeten uns züchtig mit Küsschen links, Küsschen rechts. Jegliche romantische Anwandlung war vergangen.

      ***

      Zu Hause öffnete ich dann doch noch eine Flasche. Stettener Brotwasser, ein Riesling aus dem Weingut des Hauses Württemberg, ein adliger Wein sozusagen. Den hatte ich schon lange nicht mehr getrunken. Er war schön kühl.

      Der Name hatte mir schon immer gefallen. Wenn man von Wasser und Brot leben müsste, dann so. Aber früher hatte er mehr Bodag’fährtle, fand ich, schmeckte also mehr nach dem Schilfsandstein, auf dem er wuchs. Lag das am Wein oder an mir? Oder trog die Erinnerung? Wie die Erinnerung auch die schönen Zeiten mit Karin verklärte und die weniger schönen ausblendete? Wie ich bei Roswitha nur an das Unangenehme dachte, das Misstrauen, die Diskussionen?

      Gegen meine Gefühlsverwirrungen kam auch der Riesling nicht an.

      Ich löschte das Licht, zog mich aus und stellte mich mit dem Glas in der Hand ans offene Fenster.

      Kein Lufthauch war zu spüren. Ich kann dem Klimawandel, der uns versprochen wird, durchaus etwas abgewinnen: lieber schwitzen als frieren. Aber jetzt war es sogar mir zu viel. Wie unter einer Glocke hing die Schwüle in der Stadt, selbst um diese Zeit noch.

      In der Gelbinger Gasse war es ruhig. Die Eisdiele hatte längst geschlossen. Ab und an kamen ein paar Leute zurück vom Feiern. Still und sachte schwankend die einen, fröhlich und lachend andere.

      Fast überall in der Straße standen die Fenster offen und trugen die Geräusche der Nacht hinaus, die sonst in der Häuslichkeit eingeschlossen blieben. Das Schnarchen und Röcheln von Menschen, die sich unruhig im Schlaf wälzten. Kein Keuchen und Stöhnen, dazu war es zu spät oder zu schwül, wer wollte bei diesen Temperaturen schon größere Anstrengungen auf sich nehmen?

      Im Haus gegenüber ging im zweiten Stock ein Licht an. Rita und Jörg. Das Paar wohnte schon lange dort, beide Lehrer und etwas älter als ich. Mit Jörg saß ich oft zusammen, wir goutierten die Schätze unserer beider Weinkeller. Bald danach ging das Licht wieder aus.

      Im Gästezimmer sägte Tante Olga friedlich vor sich hin. Sie hatte wirklich einen gesunden Schlaf und mich nicht gehört. Glücklicherweise. Ich hatte absolut keine Lust, ihr von dem Mord zu erzählen.

      Das Brotwasser in der Flasche wurde weniger, und die Fragen nahmen zu.

      Welchen Grund gab es, ein Mädchen wie Andrea zu ermorden? Welchen Grund gab es, überhaupt einen Menschen zu ermorden? Die zweite Frage war rhetorisch, der ersten musste ich nachgehen.

      Es ging mich eigentlich nichts an, und Keller würde mir ge­hörig den Marsch blasen, wenn ich mich in seine Er­mittlungen einmischte.

      Aber es war eine persönliche Sache. Ein Mensch, den ich gekannt und gemocht hatte, war tot. Und der Mord war praktisch vor meinen Augen geschehen.

      Ich versuchte mich zu erinnern, wer uns begegnet war.

      Aussichtslos. Zu viele Menschen hatten auf dem Unter­wöhrd geturtelt und gelärmt. Einige hatte ich gekannt, die meisten nicht. Und außerdem war ich beschäftigt gewesen. Mich plagten Gewissensbisse. Wenn wir brav und züchtig herumspaziert wären, hätten wir vielleicht … Es war unsinnig, und trotzdem.

      Von den vielen Menschen war einer der Mörder.

      Und ich würde keine Ruhe geben, bis ich den Kerl in die Finger bekam. Darauf trank ich den letzten Rest, der noch in der Flasche war.

      Ich schlief schlecht diese Nacht. Ich hatte wirre Träume, in denen Andrea, Karin und Susan in nicht eindeutigen Rollen vorkamen. Schweißnass wachte ich zwischendurch immer wieder auf.

      Wie sollte man auch bei dieser Hitze schlafen können?

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