Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.lud und jemand von uns dann hochzog. Wir luden es oben am Maschinenhaus aus, wo sich die Gäste nach ihrem Aufstieg bedienen konnten. Am Abend war dann natürlich Remmidemmi. Die Schüler johlten vor Übermut nach dem Essen durch die Gegend und die Gänge, die Aktivisten gaben sich erst mal einer Grundsatzdebatte hin. Diese wurde immer heftiger und um die Stimmbänder zu kühlen und den revolutionären Ideen mehr Überzeugungskraft zu geben, sprachen sie kräftig dem Alkohol zu. Die erste Debatte beendeten sie, wie ihre Klassenfeinde, im Überkonsum von Alkohol. Da wir bei einem solchen Zirkus eh nicht zum Schlafen gekommen wären, schlossen wir uns den Feiernden oft an.
So vergingen die ersten Tage und wir lernten langsam den Ablauf des Geschehens. Der Hausmeister hatte ein paar Tage frei genommen. Und gerade da war im oberen Stock bei einer der Schulklassen ein Klo verstopft. Der Chef fragte, wer von uns etwas davon verstehe und wer freiwillig bereit sei, das Problem zu lösen. Jeder schaute den anderen an und meinte, er selber könne das jedenfalls nicht! Die Hausmädel hatten sich schon mit dem Pumpfix und Nachspülen versucht, mit dem Ergebnis, das die Schüssel jetzt überlief. Was soll‘s, dachte ich mir, ob Spülbecken oder Kloschüssel, Brühe ist in beiden, außerdem kannte ich mich in solchen Dingen wirklich aus. Und da Billy mir gerade auf den Keks ging mit seiner Erziehungskur, bot ich an, mir die Sache mal unverbindlich anzuschauen. Die Anderen kehrten zu ihren Tellern zurück, ich stapfte mit dem schlüsselbundbewaffneten Chef nach oben.
Das sah nicht viel anders aus als das Spülwasser, roch nur etwas strenger. Ein paar Knödel schwammen an der Oberfläche, wie tote Fische mit dem Bauch nach oben, andere hatten sich unter Einwirkung des Gummipümpels aufgelöst und trübten das Ganze etwas ein, so dass man den Grund des Gewässers nicht mehr erkennen konnte. Ein paar Papierfetzen schwebten schwerelos in der Suppe. Anna, die beim morgendlichen Saubermachen diese Entdeckung gemacht hatte, stand mit ihrem Putzkübel im Flur. „Solche Drecksai! Da hot bestimmt oina in d‘ Hosen gschissen und d’Hosen doa reingschmissen!“ Das dachte ich mir auch. „Du musst mit der Hand da reinfassen“, sagte ich ihr, „nicht mit dem Gummipümpel drin rumrühren! Komm, versuch‘s, das klappt bestimmt!“ Sie machte einen Schritt zurück. „I bin doch kai Dappschädel! Dös kannscht fei sel mache!“ Ich überlegte. Man könnte das Klo wegschrauben um ans Rohr zu gelangen. Aber was gäbe das für eine Schweinerei. Die Brühe würde bis in den Flur laufen! Warum umständlich, wenn’s auch einfach ging! Ich zog meine Spülerjacke und mein Hemd aus und kniete mich vor die Schüssel. Der Chef hörte auf, mit den Schlüsseln zu klimpern, selbst Anna kam wieder einen Schritt näher und schaute mir über die Schultern.
Ich hielt die Luft an, tauchte den Arm tief in die Brühe, meine Hand tastete sich in das Knie. Nichts. Ich zwängte mich weiter und ertastete etwas, was sich wie Stoff anfühlte. Mit den Fingerspitzen konnte ich es fassen, etwas näher ziehen, dann nachgreifen, und bevor mir der Atem ausgegangen war, zog ich das Teil heraus. Gurgelnd verschwand die Nudelsuppe im Gedärm des Hauses. „Schau, ein Putzlumpen! Du hast deinen Eimer darin ausgeleert!“, rief ich und hielt das triefende Ding hoch. „Lügner!“, rief Anna, „dos ischt a Unterhosen!“ „Wie willst denn du das wissen, Modle haben doch sowas nicht!?“ „Dorin kenn i mich aus!“ Wir prusteten vor Lachen. Mein Chef schien beeindruckt. Wohl von dem Ergebnis, mehr aber noch von meiner Furchtlosigkeit vor der vollen Schüssel. Wenn der wüsste, was für Schweinereien ich früher auf dem Dampfer gegenüber gestanden war! Unter Annas Protest warf ich die versaute Hose in ihren Eimer und meinte, sie solle schauen, wem sie gehöre. Dann in den Waschraum und mit Seife den Arm gewaschen. „Der Rest geht beim Spülen ab!“ meinte ich, als der Chef sagte, ich könne auch eine Dusche nehmen. „Das Spülen kann warten! Schau dir gerade noch mal das Waschbecken da drüben an. Das ist schon seit gestern verstopft!“ Doch dazu brauchte ich Rohrzange und die Spirale. In der Hausmeisterwerkstatt fand ich alles. Der Chef hielt mich wohl für einen Zauberer, als er sah, was ich alles aus so einem kleinen Rohr herausbeförderte!
Inzwischen war es Mittag geworden. Nach dem Essen meinte der Chef, ich bräuchte heute Mittag nicht spülen, da ich durchgearbeitet hatte. Am Abend ließ er mich rufen. Er war puterrot. Vor Zorn, wie es schien. „Stell dir vor, da kommt doch der Hausmeister nach seinen freien Tagen zurück und sagt mir, dass er kündigt, in vierzehn Tagen fängt er eine andere Arbeit an. Da habe ich ihm gesagt, im Vertrag steht, dass jeder erst nach der Saison kündigen kann. Darauf meinte er, ‚auf den Vertrag, da drauf scheiß ich!‘ Da sagte ich, dann scheiß ich auch darauf, verschwinde lieber sofort!“ Kurze Pause. „Wie sieht’s aus, hast du Lust, den Posten zu übernehmen?“ Also tauschte ich die Spülerjacke gegen den grauen Kittel des Hausmeisters ein und bekam einen Schlüsselbund ausgehändigt, fast so groß wie der des Chefs.
Mit der Zeit erfuhr ich so die Einzelheiten über das Haus und die Anwesenden. Der Chef und seine Frau waren erst seit der Sommersaison da. Der Vorgänger, ein Einheimischer, war von den Freunden der Natur abgesetzt worden, weil er zu viele eigene und lokale Interessen im Hinterkopf gehabt hatte. Das meiste Personal war mit ihm gegangen. Dadurch, und wohl auch um Kosten einzusparen, hatte man eine Geschäftsleitung von auswärts eingesetzt und auf Zivildienstler zurückgegriffen. Nur der Küchenhelfer, Esperanza und die Büffet-Frau waren vom alten Personal. Der Koch war der Sohn vom Chef und dessen Helfer war der Bruder des abgegangenen Hausmeisters.
Von jetzt an fing mein Tag mit einem Rundgang an (falls man mich nicht schon in der Nacht weckte, weil was passiert war), um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Dann die Bestellung von Küche und den anderen Bereichen aufnehmen, die Aufträge und die Post vom Chef. Mit der Seilbahn ins Tal und mit dem VW-Bus nach Oberthal. Der Schrankenwärter konnte es nicht lassen, wenn er mich erkannte, nach der Genehmigung zum Befahren der Straße zu fragen, obwohl doch in Großbuchstaben der Name des Hauses auf der Karre stand. Der Vormittag verging mit dem Erledigen der Besorgungen: auf die Bank, Post, oft mittags die Tochter des Chefs von der Schule holen, dann wieder hochfahren. Da kam ich meist zum Ende des Mittagessens an. Dann eine Stunde Pause. Danach ging es ans Reparieren der durch Vandalismus oder Abnutzung entstandenen Schäden. Die Heizung musste gewartet werden, der Müll gesammelt und beseitigt. Das geschah anfangs noch auf einem hässlichen Müllplatz genau unter der Seilbahntrasse. Weiterhin Schweinekübel mit den Essensresten zur Seilbahn schaffen und Milch zum Haus. Wanderwege markieren, Schlepplift überholen. Es war Schnee zu räumen und die Eiszapfen abschlagen, wenn sie zu gefährlich wurden… In die Spülküche kam ich nur noch, wenn dort etwas verstopft oder kaputt war. Man beneidete mich vielleicht darum, dass ich jeden Tag ins Dorf oder die Stadt kam. Wenn mal eine entsprechende Bemerkung fiel, dann erzählte ich von der letzten Klo-Entstopfung, und alle waren wieder mit ihrem Los zufrieden.
Der Laden lief. Auch meine Kumpel merkten, wenn wir alles gut erledigten, blieb uns mehr Freizeit und Freiheit, niemand redete uns groß rein. Ein paar von uns waren Vegetarier, ich auch, und der Chef ließ es zu, dass ich das Entsprechende im Reformhaus einkaufte. Das gab anfangs Grinsen und blöde Bemerkungen seitens der „Fleischfresser“, doch zogen diese sich nach einer harten Nacht oft morgens auch ein Müsli rein, um Kopf und Magen wieder klar zu kriegen. Unser Chef bekam deshalb bei einer Buchprüfung von der Vorstandschaft einen Rüffel, änderte aber nichts. Fiel einer von uns aus, oder wollte freinehmen, so arrangierten wir uns untereinander. Selten, dass der Chef regelnd eingreifen musste. Die Nachmittage gehörten uns und die Nächte auch. Wenn die Arbeit getan war, redete uns niemand rein. Oft nahmen wir dann am „Hüttenzauber“ teil, wo eh alles gemischt war: Gruppen, Pensionsgäste und Personal. Wir fuhren Ski oder machten Ausflüge. Doch noch öfter saßen wir bei jemanden im Zimmer, diskutierten, tranken ein Bier, hörten Musik. Bisweilen bei einem guten Joint, denn Raucher waren wir alle. Bis auf einen, Erhardt, ein Zeuge Jehovas, der war Weißbier-Trinker. Er merkte nicht einmal, was wir rauchten, selbst wenn er mit uns zusammen war. Er wunderte sich nur, warum wir alle an derselben Zigarette zogen und warum diese so groß war… „Das ist aus Sparsamkeitsgründen. Lieber eine große, als viele kleine…!“, erklärten wir ihm.
War es im Haus zu laut, dann trafen wir uns auf einer Waldlichtung und rollten dort einen Dreiblättrigen, spielten Flöte, lasen in der Bagavadghita oder im Propheten, schauten der untergehenden Sonne zu. Oft rollten wir uns auf dem Moos in den Schlafsack und poften so unter freiem Himmel… Manchmal fuhren wir Samstagabend in die Kirche nach Oberstdorf. Nachher, als es dunkel war, liefen wir auf den Friedhof, das Grab von Gertrude von le Fort besuchen. Dort saßen wir dann im Kreis, eine Pfeife machte die Runde und wir