Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.sondern nur neue Ungerechtigkeiten schaffen. Die Welt kann nicht von ‚Oben‘, von einem ‚Führer‘ geändert werden, sondern nur von unten her, der ‚Basis‘. Wir selber sind der Schlüssel zur Verbesserung der Welt… Natürlich befanden sich auch Kiffer unter den Freizeitteilnehmern. Das roch man schnell und man fand sich irgendwo draußen wieder, wie Lausbuben, die ihre erste Zigarre rauchten, eine verschworene Gemeinschaft. Viele dauernde Freundschaften wurden so geschlossen.
Die Neue
Eines Morgens hieß es, heute kommt eine Ferienarbeiterin, eine Studentin, um ein paar Wochen auszuhelfen. Jeder war neugierig, auch ich. Doch der Chef meinte, er müsse eh ins Dorf, und erledige heute alles selber. Er würde sie abholen, ich könne am Haus bleiben… Wir saßen alle beim Essen, als sie eintrudelten. Billy hatte es sich nicht nehmen lassen, die Seilbahn hochzufahren und war also der Erste gewesen, der sie und den sie gesehen hatte. Alles Gespräch verstummte, als sie in die Küche trat. Wir bekamen regelrecht Stielaugen. „Darf ich vorstellen: Dora, eine Mathematikstudentin, die uns eine Weile helfen wird“, meinte der Chef mit rotem Kopf, wohl von der Anstrengung des Weges und vom Koffertragen… Da stand sie, in einem blauen Anorak, etwas pausbäckig, mit zwei kurzen „Rattenschwänzen“, etwas verlegen. Wie alt mochte sie sein? 18, 19? Mehr bestimmt nicht! Herbert, mein Zimmerkollege, war für 14 Tage in Urlaub gegangen, und somit war links von mir der Stuhl am Tisch frei. Also blieb ihr nichts Anderes übrig, als sich dort hinzusetzen. Bemerkungen flogen, Fragen wurden gestellt, sie kam kaum zum Essen. Jeder wollte ihr vorlegen, wollte sich bemerkbar machen, vor allem Billy machte ihr seine schönsten blauen Augen. Wie sie sagte, war sie schon mal als Kind zum Skifahren mit ihren Eltern im Haus gewesen. Ihre Mutter und ihr Bruder würden auch in nächster Zeit kommen, wenn dieser Schulferien hat, und mit ihnen würde sie später auch wieder heimfahren. Sie wurde im Maschinenhaus einquartiert, wo noch ein Doppelzimmer frei war.
Ich saß neben ihr und schaute sie heimlich an, als sie aß. Ihre blonden Schwänzle, ihre glatte Haut mit den roten Bäckchen, ihre hübsche Nase, den Mund mit den kurzen Mausezähnen. Ich fand sie einfach schön. Alles an ihr. Hätte sie eine Warze woanders als auf den Brüsten gehabt, oder hätte sie geschielt, ich hätte auch das toll gefunden! War ich schon in sie verliebt? Quatsch, sie war bestimmt sechs Jahre jünger als ich und bestimmt noch Jungfrau! Sie schaute vom Teller auf. Unsere Blicke trafen sich. Wir lächelten uns an.
Am nächsten Morgen summte die Küche wie ein Bienenkorb. Wer würde der erste sein, der mit ihr ins Bett geht, der sie ‚bummst‘? Wetten wurden abgeschlossen. Doch alle verstummten verlegen, als sie dann kam und sich an den Tisch setzte. Ich schob ihr die große Blechdose mit der Haferflocken-Trockenfrüchte-Mischung hin. „Nimm dir!“ Sie schaute hinein. „Was ist denn das? Ih – Müsli – mag ich nicht!“ Alle lachten. Wir Ersatzdienstler schauten uns an. War sie doch nicht aus unserem Lager, gehörte sie zu den normalen Menschen? Als sie dann ans Büffet ging, um bei der Essensausgabe zu helfen, gingen die Vermutungen wieder los. „Meinst du, dass sie noch Jungfrau ist?“ „Mal sehen, wer der Erste sein wird…!“ „Saubande!“, denke ich mir beim Gehen und nehme mir vor, ein wachsames Auge auf sie zu werfen…
Abends ist sie natürlich auch auf den Partys. Tanzt mit den Freizeitteilnehmern, mit dem Personal. Billy macht ihr regelrecht den Hof. Sie scheint das noch nicht einmal zu merken! Sie hat eher Augen für einen Holländer, Theo. Auch ich werfe mich in den Trubel, obwohl ich nicht tanzen kann und wirbele mit. Um in ihrer Nähe zu sein? Irgendwie ist sie der Mittelpunkt, vor allem von uns Ersatzdienstlern. Und sie kriegt das nicht einmal mit!
Es hat frisch geschneit. Ich fahre mit dem Motorschlitten den Schnee fest, damit man darauf laufen kann. Mache Wege, hoch zum Maschinenhaus, rüber zum Hauslift, runter zum ‚Fuchsbau‘, einer kleinen Hütte, die auch vermietet wird. Dann mit der Schaufel die Passagen zu den Türen freilegen. Am Nachmittag hatte ich meine Skier angeschnallt und sehe, wie Billy auf Skiern der Neuen oberhalb vom Maschinenhaus Skiunterricht gibt. „Der ist doch aus Bielefeld, der kann doch gar nicht fahren!“, kommt es mir. Etwas Theorie hatte er schon mitbekommen. Als wir noch zusammen in der Spülküche waren und er uns mal nicht ‚erzog‘, brachte er uns stattdessen das Skifahren bei. Mit angezogenen Knien und ausgestrecktem Hinterteil wedelte er uns auf dem fettigen Fußboden vor, wie man die Kurven zu nehmen hat. Doch heute wedelte er nicht. Er stand nur da und gab Anweisungen, während die Neue versuchte, sich auf den Brettern zu halten. Doch die Anziehungskraft des Pulverschnees war einfach zu unwiderstehlich. Ich fuhr näher hin und half ihr beim Aufstehen. „Versuchs lieber erst auf dem Glattgefahrenen, das ist einfacher!“, riet ich ihr. Das brachte mir eine Rüge des ‚Skilehrers‘ ein. Dora versuchte es erneut und kam dann neben mir zum Stehen. „Bravo, noch nicht einmal hingefallen!“, lobte sie ihr ‚Lehrmeister‘. Ich gab ihr einen leichten Schubs und schon lag sie im weichen Schnee. „Denkste!“, rief ich Billy zu. Sie ergriff mein Bein und schon lag auch ich im Schnee. „Warte ab, du!“, rief sie und ‚seifte‘ mich mit Schnee ein. Schon rangelten wir im Schnee und waren weiß wie Schneemänner. „Kindsköpfe! Nichts als Unsinn im Kopf, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, richtig Skifahren zu lernen!“, rief Billy. Er war richtig sauer und rutschte runter zum Haus.
Das war uns beiden nur recht. Wir lagen eine Weile im Schnee und schauten uns an. Die Flocken schmolzen auf ihren roten Backen. Sie lachte mich an. Die Sonne glitzerte in den sich zu Tropfen verwandelnden Flocken. Ich half ihr aufzustehen. Doch kaum stand sie, da schubste sie mich in den Schnee. „Warte ab, du Schurke!“ Sie schnallte die Skier ab, warf sich auf mich, drückte mich in den Schnee und seifte mich ein. Ich ließ es geschehen und lachte dabei vor Glück. „Was, du lachst auch noch?“ Und sie tauchte meinen Kopf tief in den kitzelnden Pulverschnee. Ich rührte mich nicht. Sie ließ von mir ab. War sie zu weit gegangen? Sie beugte sich zu mir herunter, um zu sehen, was mit mir war. „Reingefallen!“, rief ich, packte sie und wir wälzten uns erneut im tiefen Schnee. Dann lagen wir erschöpft da, jeder noch die Arme um den Anderen geschlungen, um ihn zu hindern, weiter zu machen. Ich strich ihr den Schnee von der Backe. Sie war glühend heiß. Ich streichelte darüber. Sie ließ es geschehen. Sollte ich, sollte ich nicht? Ich riskierte, alles kaputt zu machen. Ich gab ihr einen Kuss auf die Backe. Keine Ohrfeige, keine Empörung. Ich richtete mich halb auf und schaute sie an. Sie lachte zurück. Ich zog sie zu mir und küsste sie auf den Mund. Unsere Arme suchten den Anderen und aus dem Kuss wurde ein atemberaubendes einander Suchen. Nach einer Weile lösten wir uns voneinander, wie wenn man aus einem Traum erwacht. Wir standen auf. Ich putzte ihr etwas den Schnee von den Klamotten, sie mir ebenfalls und steckt mir dabei eine Handvoll Schnee in den Nacken. Ich wehre mich lachend, packe sie und schon liegen wir erneut im ‚Frau Holle Bett‘, während unsere Münder sich suchen, unsere Zähne sich berühren und die Zungen sich umschlingen wie Schnecken in ihrer Hochzeitsnacht…
Vor lauter Rangeln waren unsere Hemden aus der Hose geglitten. Als wir merkten, dass unsere nackten Rücken den kalten Schnee berührten, fanden wir in die Realität zurück. Wir halfen einander in die Höhe und stäubten uns gegenseitig ab, ohne zu verbergen, dass einem jede Berührung des Anderen höchstes Glück vermittelte, ebenso wie den Anderen zu berühren einem selber einen süßen Schauder gab. Dann die Skihosen auf um die Hemden und alles wieder in Ordnung zu bringen. Dabei drehten wir uns leicht zur Seite. Es war erstaunlich, wo der Schnee sich überall festgesetzt hatte! Dabei glitten die Hände auch über Orte, wohin sie sich unter normalen Bedingungen nicht verirrt hätten. Immer wieder begegneten sich unsere verschmitzten Blicke. Ich war glücklich, denn ich liebte sie und fühlte, dass in ihr das Gleiche vorging. Die Sonne neigte sich schon hinter der Hammerspitze, der Schatten stieg mit hurtigen Schritten aus dem Tal, die Umgebung glich einer Schwarz-Weiss-Fotographie. „Schau, da hinten die goldroten Berge!“, sagte sie, legte mir den Arm um die Hüfte und kuschelte sich an mich. Ich gab ausnahmsweise mal keinen Kommentar, denn mein Mund war damit beschäftigt, den ihrigen zu suchen. Ich drehte dem Alpenglühen den Rücken zu. Ich sah es in ihren Augen sich widerspiegeln. Was war sie schön! Ich drängte mich an sie, fühlte mich so wohl. Sie anscheinend auch in meinen Armen. Sie hatte noch eine Stunde bis Arbeitsbeginn, ich hatte mehr oder weniger gleitende Arbeitszeit und war ungebunden. Sie lud mich zu einem Tee in ihr Zimmer ein. Ich schwebte im siebten Himmel!
Sie erzählte mir, dass ihr Vater vor rund 15 Jahren,