Die Farben des Abends. Wolfgang Bendick

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Die Farben des Abends - Wolfgang Bendick


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sie und zog mich an sich. Sie erzählte von ihrem kleinen Bruder, 13 Jahre alt, der bald mit der Mutter hierherkommen würde.

      Am Abend, als das Büffet aufgeräumt war und wieder eine Party lief, trafen wir uns erst bei mir im Zimmer. Herbert, der andere Bewohner, ließ uns in Ruhe und verschwand mit einem breiten Grinsen, um mit den anderen zu feiern. Doch es war uns zu laut im Haus, da das Zimmer genau über dem Saal lag. So waren wir hinausgegangen und schauten händchenhaltend den glitzernden Sternenhimmel an, der uns so tief erschien, wie der Blick in des Anderen Augen. Etwas fröstelnd schmiegten wir uns aneinander. „Komm, gehen wir in mein Zimmer, da ist es warm und ruhig!“ sagte sie und zog mich an der Hand mit sich.

      Philemon und Baucis

      Bald lagen wir da oben auf dem Bett, das war der einzige bequeme Platz. Sie hatte eine Kerze angezündet, wir schlürften einen heißen Tee und lagen uns in den Armen. Verging die Zeit langsamer? War sie still gestanden, wie es uns vorgekommen war, aus Rücksicht auf uns Verliebte? Vielleicht war es so gewesen und sie war dann mit einem Ruck weitergesprungen, als wir Einer in des Anderen Armen eingeschlummert waren. Denn es gab ja noch andere Wesen auf der Welt, die dem Ablauf der Zeit unterworfen waren… Jedenfalls wurden wir irgendwann gleichzeitig wach. Vom Haus hörte man keine Partygeräusche mehr. Alle Lichter waren erloschen. Auch unsere Kerze. Nur die Sterne funkelten ihre Ewigkeit durch die quadratischen Scheiben, und gravierten sie langsam, vom Rand her, wie ein Glasschleifer, mit einem verschlungenen Blumenmuster. „Ich glaube, ich sollte schlafen gehen!“, murmelte ich müde. Denn für den morgigen Tag waren Großeinkäufe vorgesehen. „Ach bleib doch, dann ist keiner von uns alleine, nach diesem schönen Abend. Und das Bett ist doch groß genug für uns Beide!“ Und das war es! Eher noch zu groß, denn in unserer Sehnsucht zueinander hielten wir uns eng umschlungen. Wir hatten uns ausgezogen, jeder hielt nur ein letztes Höschen an. Doch auch das hätte es nicht gebraucht. Denn unsere Hände ertasteten am Anderen immer neue Geheimnisse, unsere Worte öffneten dem Anderen das Tiefstinnerste seiner Gedanken, unsere Gefühle führten uns in unsere Seelen. Sie hauchte mir ins Ohr, dass sie noch Jungfrau sei. Das hatte ich auch schon geahnt. Aber das war im Augenblick gar nicht gefragt. Zu vieles hatten wir vorher noch zu lernen, zu vieles miteinander auszutauschen. Halb wach, halb im Schlaf, aber voll im Glück verlief die Nacht. Ich streichelte ihren Körper mit den Händen, uns wurde heiß, sodass wir uns aufdecken mussten und im Kerzenschein unsere Anatomien erforschten. Wir vergingen schier vor Sehnsucht zueinander. Ich war hart wie ein Baumstamm, sie sanft wie eine Schlingpflanze.

      Am nächsten Tag tat jeder seine Arbeit. Eigentlich hätten wir hundsmüde sein müssen, doch schöpften wir wohl unsere Kraft aus der Erinnerung an die letzte Nacht. Vielleicht auch aus der Erwartung der nächsten. Während des Essens ließen wir uns nichts anmerken. Wir warfen uns ab und zu schelmische Blicke zu und berührten uns mit den Füssen unterm Tisch. Eine Stelle aus dem Buch ‚Die Aula‘ meines Abiturschriftstellers Herrmann Kant kam mir in den Sinn: ‚sie taten, als kennen sie sich nicht‘. Sie hatte es auch gelesen. „,Sie taten, als kennen sie einander nicht!‘, müsste das heißen“, flüsterte sie mir zu. Wir fieberten dem Abend entgegen. Und dieser fand uns wieder unter dem glitzernden Himmelsdach. „Schau mal, da, eine Sternschnuppe!“ Und diese zog eine so lange Bahn, dass wir eine ganze Litanei an Wünschen hätten formulieren können. Doch wir hatten nur einen. „Kennst du eigentlich die Geschichte von Philemon und Baucis?“, fragte sie mich. „Die, wo ein Gott durch die Welt geht und nirgendwo, außer bei ein paar alten, armen Leuten Obdach findet?“ „Ja, und wo er sie beim Abschied fragt, ob er ihnen einen Wunsch erfüllen kann?“ „Genau die! Sie sagen, sie haben keinen Wunsch mehr. Sie seien alt und bräuchten nichts mehr, außer zusammen zu bleiben!“ „Und sie umarmen sich. Der Gott geht weiter. Langsam bedecken sich die Körper der zwei Alten mit Rindenschuppen, die Haare werden zu Ästen, die sich miteinander verflechten, die Zehen werden zu Wurzeln, die sich im Boden umschlingen. So stehen sie heute noch!“ „Du, weißt du, so möchte ich auch mal mit dir zusammen die Erdenzeit beenden!“ „Ich auch!“ Und wir liegen einander in den Armen, weinend. Vor Glück. Ob es Götter gibt? Ob unser Wunsch erhört wird? Doch bis dahin haben wir erst mal ein gerechtes Erdenleben hinter uns zu bringen! Und das nehmen wir uns in diesem Augenblick vor.

      Zusammen

      seit Entstehung aller Trennung

      zusammen

      diese Lebenszeit

      zusammen

      überall mit Allem

      zusammen

      in Zeit und Ewigkeit

      Zusammen

      auf dem Weg durchs Leben

      zusammen

      zur Vollkommenheit

      zusammen

      Auflösung erstreben

      zusammen

      bis Ablegen der Form uns eint

      Die Nacht gehört den Liebenden. Unsere Hände gleiten an die Stellen, die gestern noch tabu waren. Meine Finger suchen die Pforte zum Paradies. Sie ist Eva, ich werde zu Adam. Ihre Mitte ist die süße Frucht, nach der sich mein ganzes Sein sehnt! Und meine Mitte wird zum Stamm des Baumes inmitten des Paradieses! Langsam, ganz langsam! Ich will ihr ja nicht wehe tun. Und alles hat Zeit! Nichts wird uns in diesem Leben entgehen. Das Höchstmaß an Glück ist jedem Menschenkind bestimmt! Was heute schön wäre, ist morgen noch schöner. Und reden wir mal gar nicht von übermorgen!

      So verbringen wir die nächsten Tage mit unseren Pflichten, die Nächte mit unseren Freuden. Bis es dann so weit ist. Unser Körper glühen. Das Tor zum Paradies ist geöffnet. Mein Stamm hat ein paar Jahresringe zugelegt. „Komm, komm, lass mich nicht länger warten!“ flüstert sie in mein Ohr. Und unsere Körper folgen dem ewigen Auftrag, durchdringen sich, hüllen sich in Umschlingungen. Unsere Köper werden wie einer, unser Atem geht im selben Rhythmus, sogar unsere Herzen finden den selben Takt. Dieser steigert sich immer höher, selbst als unsere Bewegungen sich verlangsamen um die kosmische Explosion etwas hinauszuzögern. Doch diese hat ihre eigenen Regeln, wir sind nur deren Werkzeug. Doch als es uns dann durchzuckt, als wir zugleich explodieren und implodieren, da wissen wir: Wir sind der Kosmos! Durch uns als Werkzeug wird er sich erst seiner bewusst!

      Der Urknall liegt hinter uns. Im Moment ist erst mal nichts. Wir ruhen wie Gott am siebten Tag. Halb schlummern wir, noch miteinander verbunden, halb sind wir wach. Wie Brahma, wenn er schläft und die Welt in einem Zwischenzustand verharrt. Wir entgleiten einander für eine kurze Weile. Doch dann regt es sich wieder in unserem Innersten. Das Weltall ist groß. Vielleicht sogar unendlich! Und wir machen uns erneut ans Werk, eine weitere Galaxie zu schaffen…

      Der Teppich der Nacht

      deckt unsere Körper.

      Die Trennung schwindet

      dem umschließenden Eins

      Unsere Zungen schmelzen

      das Eis unserer Haut -

      Die Zungen des Geistes

      zerschneiden das Ego

      und legen die Seele frei

      du ich

      wir

      es

      Eines Mittags verteilte ich die Post, während alle bei Essen saßen. Es war auch ein Brief für Dora dabei. Sie wurde rot, als sie die Schrift erkannte und steckte ihn weg, ohne ihn zu lesen. Später fragte ich sie, was das für ein Brief gewesen sei. „Ach nichts! Kannste vergessen!“ Doch ich merkte ihr an, dass da was faul war. Auf mein Drängen meinte sie, „er will mich besuchen!“ „Ja wer denn?“ „Der Wolfgang!“ „Aber ich bin ja da!“ meinte ich hänselnd. „Nicht du, ein anderer.“ „Brauchst du gleich mehrere, reiche ich dir nicht?“ „Was soll ich nur machen?“ „Sag ihm ab. Sag ihm, du hast schon den richtigen gefunden!“ „Das


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