Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.besorgt, die wir vorsichtig unter die reifen Beeren legten, damit sie nicht den Boden berührten. Dann zeigte er uns, wie man diese vorsichtig pflückt, so, dass der grüne runde ‚Blattnippel‘ mitsamt Stil an der Beere bleit. Das sei ein Beweis von Pflücken mit Hand und die Beere hielt so auch länger! Dann überließ er uns wieder uns selber und fuhr zurück zum Hof, nicht ohne uns vorher nochmals an das Essverbot erinnert zu haben. Mittags wollte er uns wieder abholen. „Der und uns zeigen, wie man Erdbeeren pflückt!“, meinte Doris, „das kann ich besser als der!“, und steckte die erste Beere in den Mund. „He, du weißt doch, was er gesagt hat! Willst du, dass er den Laden zumachen muss, und wir arbeitslos werden?“ „Der verdient nicht schlecht, scheint mir! Schau dir mal die Preise von seinem Gemüse an! Reinster Luxus! Und außerdem haben wir lange genug gefastet. Jetzt ist die erste Ernte da und die ist auch für die Arbeiter!“ Nach einer Weile legte sie aber doch ein paar Erdbeeren in ihr Körbchen, während meines schon voll war. Ich hatte meinen Stolz! Ich aß keine einzige der Erdbeeren während der ganzen Saison. Ich ermahnte Doris, ihren roten Mund abzuputzen, als sich der R4 des Bauern näherte. Freudig lud er die Körbe in den Kofferraum und ließ es sich nicht nehmen, zu sagen: „Ich hoffe, ihr habt auch keine gegessen! Ihr wisst ja, der erste Verdienst des Jahres…“ Natürlich machte unser Bauer nicht Pleite, und auch Doris ging es bestens. Die Erdbeerkur tat ihr anscheinend sehr gut, denn es schien sie hatte etwas zugenommen!
Inzwischen wuchs nicht nur das Unkraut auf dem Feld, sondern auch das Gras auf der Weide. Die Kühe kamen selten raus, wie man für Bio-Kühe eigentlich hätte annehmen können, weil der Bauer den Dung für die Felder benötigte. Aber bestimmt war das auch der Einfachheit halber! Man zeigte mir, wie man mit dem alten Agria-Motormäher umgeht, und nun mähte ich jeden Morgen, wenn der Reif sich in Tau verwandelt hatte, ein paar Bahnen Gras in den Obstwiesen. Dieses rechte ich dann zusammen, damit es der Bauer mit dem Ladewagen einfahren konnte. Im Stall wurde es auf die Tenne geleert und den Kühen nach und nach gegeben. Diese freuten sich natürlich und machten lange Hälse und noch längere Zungen, um es zu erreichen. Samstags wurde für Sonntag mitgemäht. Doch durfte das Gras nicht zu dick gelagert werden, da es sich sonst hätte erhitzen können, was sich als schädlich auf die Verdauung auswirken würde. So verging die Zeit, man könnte sagen, in Harmonie.
Nebenjob
Ich war beim Arbeitsamt vorstellig geworden. Diese wollten eine Kartei von mir anlegen, da ich hier erst seit kurzem gemeldet war. Das zog sich eine Weile hin. Immer wieder schickten sie Briefe und forderten Papiere, die ich nicht hatte. Eines Tages erhielt ich einen Brief, worin sie wissen wollten, wovon ich während der Jahre 1971 und 1972 (die Zeit meines Reisens) gelebt hätte. „In besagtem Zeitraum lebte ich weitgehend von Müesli und Fladenbroten. Wenn sie noch weitere Ratschläge für vegetarische Ernährungsweise brauchen, stehe ich ihnen gerne zur Verfügung!“ Darauf kam keine Post mehr, mein Dossier war wohl vollständig. Als ich wieder vorstellig wurde, teilte man mir mit, dass ich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Überbrückungshilfe hätte, da sich herausgestellt habe, dass ich Vermögen besäße. Ich war platt! Ich Antikapitalist und Vermögen! „Ich will von euch keine Beihilfe, ich will Arbeit! Und die könntet ihr mal langsam anfangen zu suchen!“ Vermögen! Das Wort ging mir nicht aus dem Kopf. Da erinnerte ich mich, dass vor langer Zeit mein Vater wollte, dass ich ihm ein paar Blätter Blanco unterschreibe. Die bräuchte er, um weniger Steuern zu zahlen oder so. Der wird schon wissen, was er macht, dachte ich und unterschrieb die Wische. Bestimmt hatte der Geld damit in meinem Namen angelegt! Ich schrieb ihm also einen Brief und forderte ihn auf, alles Geld, was er auf meinem Namen auf irgendwelchen Konten hatte, auf seine eigenen zu tun, da ich keine gute Geldanlage und außerdem ein Antikapitalist sei!
Bald schrieb das Arbeitsamt, dass es Arbeit für mich hatte: Ausfahrer in einer Bäckerei mit Konditorei und zugleich Hausmeister… Man sagte mir, es sei ein harter Job, früh um ½ 6 Uhr anfangen, zwei Stunden Mittagspause, dann weiter bis zum Abend. Dafür Dienstagnachmittag frei! Aber auch samstags bis 12 Uhr arbeiten! Doch dafür schien der Lohn sehr gut. An Arbeit war ich ja inzwischen gewöhnt! Ich fuhr also mit dem Fahrrad hin und stellte mich vor. Gegenüber der dort herrschenden Hektik glich der Bauernhof einem Altersheim! Der Chef raste mit mir durch die Backstube und erklärte mir in Kürze alles, dann durch das dazugehörende Lebensmittelgeschäft und das Café, welches hauptsächlich von seiner Mutter geführt wurde. Gegenüber lag der Friedhof und so war zeitweise Hochbetrieb. Ich sprach mit meinem Vorgänger, der es gar nicht erwarten konnte, endlich aufzuhören! Ein Jahr lang hatte er den Job gemacht. Keinen Tag länger! Bald würde er als Küster in der Aschbacher Kirche anfangen. Endlich Ruhe und Frieden! Ich sagte also dem Chef für eine ebenso lange Zeit zu. Arbeitsbeginn morgen früh!
Unser Bauer fiel aus allen Wolken! „Solange keine Arbeit da war, hast du dich ins warme Nest gesetzt, und jetzt, wo sie losgeht, haust du einfach ab! Das habe ich mir schon zu Anfang gedacht! Da kann ich ja gleich den Laden dichtmachen!“ Ich wies ihn darauf hin, dass es schon bei Beginn ausgemacht gewesen sei, dass einer von uns zum Arbeiten gehen würde, und außerdem sei Doris ja noch am Hof. Auch wäre da Peter, der gerne hier helfen würde. Das brachte ihn noch mehr auf die Palme. „Peter ist ein ‚Salonbauer‘, einer der lieber diskutiert als arbeitet. Der kann dich nie ersetzen!“ Und er ließ mich stehen. Ich war perplex. Plötzlich war ich unersetzbar!
Am nächsten Morgen weckte mich unser umgebauter Wecker schon vor der ‚5-ten Nachtstunde‘ mit einer Glockenspielmelodie auf. Da ich gegen das Geräusch von Weckern allergisch war, hatte ich die Glocke entfernt und durch eine Walze mit Stimmplättchen ersetzt, welche ‚Für Elise‘ spielte. Das war eine sanftere Art, vom Traum in die Realität zu gleiten! Doch verursachte diese Melodie bei mir bald den gleichen Effekt wie das Rasseln des Weckers und ich stand lieber fünf Minuten vorher auf! Es war ganz schön hart, am ersten ‚Arbeitstag‘ aus dem Bett zu kriechen! Bevor der Hahn aufwachte, radelte ich schon auf der kleinen, gewundenen Straße in Richtung Bäckerei. Ich begegnete niemanden.
Man erwartete mich schon. Der alte Fahrer war noch für zwei Tage da, um mich einzuweisen. Als ich in die Backstube trat, schlug mir eine Welle von Hitze, Licht und Hektik entgegen. Die frischen Semmeln wurden zu Dutzenden auf ihren Blechen aus den etagenförmig übereinanderliegenden Ofenlöchern gezogen, schnell mit einem nassen Besen überstrichen, dass es nur so zischte und knisterte, und in große, fast würfelförmige Kisten gekippt und sogleich wurden neue Bleche an ihre Stelle geschoben. Die zwei Bäcker standen in Bäckerhose und Unterhemd inmitten dieser Betriebsamkeit, die langen Holzstiele der ‚Schiesser‘, der Schaufeln, mit denen sie die Öfen bestückten, kreuzten sich in der hell erleuchteten Backstube und man musste beim Hindurchgehen öfters abtauchen, um nicht aufgespießt zu werden. Da kam gerade der Chef die kleine Treppe hinuntergehastet, griff mit Behändigkeit in die Arbeit ein, um das ganze Uhrwerk noch etwas zu beschleunigen. Ich warf einen Gruß in das Treiben hinein, der mit einem Kopfnicken quittiert wurde, zum Händegeben hatte niemand Zeit. Knisternd strahlten die Semmeln aus ihren korbähnlichen Kisten eine Hitzewelle bis draußen in den Hof, wo der offene VW-Kombi stand, worin der alte Fahrer nach und nach die Kisten verstaute.
Da hatte der Chef mich auch schon erblickt und kam auf mich zu gehetzt. „Guten Morgen! Nix wie gleich an die Arbeit, wir haben 10 Minuten Verspätung, ein Ofen wollte nicht angehen! Lassen sie sich alles von Ernst erklären, wir sehen uns am Mittag! Und schon war er an einem der Öfen und zog mit einer an der Seite angebrachten Eisenstange dessen flache, breite Tür auf. „Manfred, los, höchste Zeit, raus damit und neue rein!“ Von hinter den hohen Öfen zog der Bäcker eine Art Regal auf Rädern heraus, worin sich in etlichen Etagen Brötchen auf Backblechen befanden, diese aber noch bleich und aufgedunsen. Dort musste sich wohl so etwas wie eine Gärkammer befinden, in der die Brötchen aufgingen. Diese wanderten sofort in den geleerten Ofen. Auf einem langen Holztisch stand eine Waage, daneben lag ein großer, unförmiger Klumpen Hefeteig, den der andere Bäcker gerade aus dem kesselartigen Kübel der Knetmaschine, aus dem ein eigenartig geformter Arm ragte, herausgewuchtet hatte. Dieser wurde flink mittels eines großen Teigkratzers in mehrere Stücke geteilt, diese dann in längere Würste gerollt oder gezogen und mit dem Teigkratzer in kleine Stückchen geschnitten, von denen eines ab und zu auf der Waagschale landete, wohl um das Gewicht zu kontrollieren. Diese Stückchen flogen dann, in dem Maß, wie sie entstanden, zur Seite neben