Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick

Читать онлайн книгу.

Grün ist das Leben - Wolfgang Bendick


Скачать книгу
taugt zu nichts anderem, als zum Fressen!“, schien er vor sich hinzugrummeln. „Alles muss man selber machen!“ Ich tat, als hätte ich nichts gehört. Er wurde lauter: „Schaut euch doch mal bei der Arbeit zu, wie Schnecken!“ Und er ahmte uns irgendwie nach, mit ganz langsamen Bewegungen. Ich spürte, da war Krieg im Anmarsch! „Ich hätte euch niemals nehmen sollen, außerdem sind ja auch so viele andere da, die helfen wollen! Beim Rödelberger, im Schwarzwald, da zahlen sie noch fürs Helfen, schlafen in ungeheizten Schlafsälen auf selbstgemachten Strohsäcken…“ Diese Leier kannten wir schon auswendig. „Dann können wir ja gehen!“, schlug ich als Lösung vor. Das brachte ihn erst recht in Fahrt. „Darauf habe ich schon seit Wochen gewartet! Da sieht man, wie ihr seid! Erst liest man euch von der Straße auf, dann lasst ihr einen im Stich! Erst gebt ihr einem das Wort, die Saison zu machen, dann haut ihr mittendrin ab! Bald wird der Hof pleite sein, und das wegen euch, weil ihr nur rumhängt, ihr dreckiges Hippiepack, verschwindet nur schnell, setzt ja keinen Fuß mehr in meinen Hof!“ Das war´s dann wohl, das Ende unserer Bio-Laufbahn! Ich bereitete mich darauf vor, es Doris beizubringen, die noch irgendwo bei einer nicht aufschiebbaren Arbeit auf dem Feld war, und ging in unser Zimmer.

      Die Bäuerin hatte das Geschrei mitbekommen, denn laut genug war es ja gewesen. Sie suchte mich auf. „Nehmen sie das nicht ernst!“, flehte sie, „er meint es doch gar nicht so!“ „Genauer hätte er es aber nicht ausdrücken können!“, antwortete ich. „Ach, sie wissen gar nicht, wie schwer ich es manchmal habe!“ Doch das hatten wir beide schon mitbekommen. „Überlegen sie es sich bis morgen, sie werden sehen, dann ist er wieder ganz anders!“ „Ich habe ihn nicht oft anders erlebt!“, warf ich ein. „Sie müssen wissen, warum er manchmal so ist. Damals, vor Kriegsende war er fünf Tage in einem eingestürzten Bunker verschüttet gewesen. Seitdem hat er manchmal diese Krise. Sie werden sehen, morgen geht es wieder besser, aber sagen sie ihm ja nichts von dem, was ich ihnen erzählt habe!“

      Am Nachmittag ließen Doris und ich die Arbeit liegen, da wir ja offiziell rausgeschmissen waren, und wanderten durch die nach Leben riechenden Hügel. Für uns stand fest: selbst, wenn der Bauer morgen wieder klar wäre, müssten wir uns doch möglichst bald eine andere Wohnung suchen. Er konnte uns wirklich von heute auf morgen vor die Tür setzen!

      Als ich am Montagnachmittag von der Arbeit zurückkam, war am Hof alles normal. Der Bauer war etwas brummig, wie eigentlich immer. Doris berichtete mir, dass sie hatte Schachtelhalmbrühe rühren dürfen, in einem Fass mit Regenwasser, eine Stunde lang. Mit einem Reisigbesen musste sie so lange rühren, bis sich ein Trichter in der Flüssigkeit gebildet hatte, dann entgegengesetzt, bis sich ein neuer gebildet hatte, und dann wieder umgekehrt. Eine Stunde lang. Dabei hatte sie ihren Gedanken freien Lauf gelassen. Ich hätte bestimmt Mantras dabei gemurmelt. Dann hatte der Bauer die Brühe in Wasser verdünnt mit seinem Spritzfass in den Obstpflanzungen ausgebracht, um Pilzbefall vorzubeugen. Das wunderte mich. Denn Präparate zubereiten war bisher immer Männersache gewesen! Diese waren ja, laut Steiner, empfänglicher für die kosmischen Kräfte. Vielleicht sollte diesmal ein wenig Erdbezogenheit hinzugefügt werden…

      Der Bodenseeraum hat ein besonderes Klima, was vor allem für den Obst- und Gemüsebau genutzt wird. Überall trifft man auf Obstanlagen, die aber meist industrieller Art sind. Die Höhe der Stämme ist einer mechanischen Bearbeitung angepasst, die Pflanzen stehen in engen Reihen und in Monokultur. Biologische Richtlinien werden dabei in keiner Weise beachtet. Zu bestimmten Zeiten fahren in S-artigen Schleifen Traktoren, ausgerüstet mit turbinenbestückten Spritzfässern, durch die engen Baumreihen und hüllen diese und auch die ganze Nachbarschaft in einen übelriechenden, giftigen Nebel. Um zu beweisen, dass diese unschädlich sind, tragen die Bauern weder Atemmasken, noch Schutzkleidung. Diesen ‚Soldaten der Spritzkanonen‘ sind die Biobauern ein Dorn im Auge, denn deren Obstwiesen betrachten sie als Brutherde von Seuchen und Schädlingen. Wenn man diesen schon nicht ihre Arbeitsweise verbieten kann, dann kann man zumindest, vorbeugend, mal einen Strahl in deren Richtung schicken… Eigentlich war fast das ganze Land des Hofes von Gift-Bauern umgeben. An einer Stelle bildete ein Bach die Grenze zu der Sauerkirsch-Plantage eines Großbauern. Dieser spritzte sein Ufer mit einem Unkrautmittel ‚sauber‘. Nichts, außer stellenweise noch etwas sonderbar gefärbtem Moos wuchs noch auf der Böschung. Das bedingte, dass das Ufer wegrutschte, unterspült vom Wasser und durch das Gewicht der Maschinen und dass der Bach öfters ausgehoben werden musste. Auf unserer Seite war die übliche Ufervegetation, Gras, verschiedene ‚Un-Kräuter‘, die hier aber an ihrem Platz waren, und mit ihren Wurzeln das Ufer befestigten und Insekten Lebensraum gaben. Fische gab es schon lange nicht mehr in diesem Bach. Und auch auf unserer Seite gab stellenweise das Ufer nach, weil der Nachbar-Bauer es zu gut mit dem Bio-Bauern meinte, und ab und zu mal einen Strahl rüberschickte. Das nannte sich dann ‚Windverwehung‘ und war Anlass zu nicht endenden, fruchtlosen Prozessen.

      Seit dem nicht ausgeführten ‚Rausschmiss‘ war die Lage gespannt. Wir befürchteten, dass ein weiterer Anfall des Bauern jederzeit möglich war, und das lastete auf der Stimmung. Auch erwarteten wir so etwas wie eine Entschuldigung, zumindest einen Versuch. Doch auch Bio-Bauern sind nur Menschen und können nicht aus ihrer Haut. Und was blieb ihm von einem solche Vorfall überhaupt in Erinnerung? Jedenfalls schaute ich mich während meines Ausfahr-Jobs nach einer neuen Unterkunft um und wir durchstöberten das wöchentliche Anzeigenblatt.

      In der Bäckerei hatte ich mich eingearbeitet. Wir kannten jetzt einander und auch den Arbeitsbereich der verschiedenen Kollegen und versuchten, wenn nötig, einander zur Hand zu gehen. Es waren zwei Bäcker da, der Lehrling und natürlich der Chef, der immer irgendwo am ‚Einspringen‘ war, obwohl es manchmal auch ohne ihn gegangen wäre. Das sahen wir, als er zusammenklappte und ein paar Tage ‚außer Gefecht‘ war wegen eines ‚Fast-Herzinfarktes‘. Einmal wieder auf den Beinen, war er richtig stolz darauf und erzählte uns, welche Chefs der Konkurrenzunternehmen alle schon einen Infarkt hinter sich hatten. Somit war er nun Vollmitglied in der Gilde der Infarkt-Bäckereibesitzer! Im Laden herrschte seine Frau mit zwei Verkaufsmädchen, die auch im Café mithalfen oder mal in der Bäckerei auftauchten zu einem Schwätzchen oder zum Schäkern. Besonders Rosi war stark in diesem Bereich. Sie hatte sich blond gemacht und mit viel Lippenstift erreicht, dass sie Marylin Monroe ähnelte, deren Figur hatte sie ja. Auch hatte sie etwas derer anmacherische Art angenommen. Es geschah bisweilen, dass einer der Bäcker beim Beschicken des Ofens sich versehentlich mit dem langen Stiel seines Schiessers (flache Holzschaufel zum Einbringen oder Herausholen der Brote) unter dem Röckchen von den Mädchen verfing. Dann kreischten diese vor Glück so laut, dass sogar die Chefin angerannt kam, um zu sehen, was da passiert sei, wenn sie nicht gerade kassierte. Wären nicht die chronischen 10 Minuten Verspätung hereinzuarbeiten gewesen, hätte es fast gemütlich sein können. Weiterhin wuselte der Konditor durch diese Hektik, darauf bedacht, ein weitgehend unbesetztes Stück des Arbeitstisches für sich zu haben, worauf er seine Spezialitäten herstellen konnte. Bisweilen half auch er im Backbetrieb mit, vor allem, wenn jemand ausgefallen war. Er war derjenige, der meist mit mir zusammen Feierabend machte. Es war entweder der Konditor, der vor dem Gehen den Vorteig für den nächsten Tag ansetzte oder der Chef selber. Und da kommt es genau auf Temperatur an und auf einen aktiven Sauerteig oder Hefe. Ja, und dann war da noch die Oma, eine große, beleibte alte Dame, die Moralhüterin des Betriebes, die mich mindestens einmal täglich fragte, wann wir denn endlich heiraten würden. Ich vertröstete sie immer mit einem „Bald!“

      Bisweilen hupte es draußen vor der Bäckerei ohne Unterlass. Anfangs eilte ich hinaus, den Lieferwagen besser zu parken, denn das war eine Nachbarin mit ihrem Mercedes, immer dieselbe, die da nicht durchkam. Manchmal war es auch ein Liefer-LKW, der die Straße einnahm. Die Frau hätte auch mit einer Seite auf den Gehsteig fahren können oder die andere Zufahrtsstraße nehmen, etwas unterhalb. Nein, sie musste hier durch! Rührte sich bei uns nichts, ließ sie ihr Auto stehen, ging nach Hause (es waren nur 30 Meter) und rief die Polizei an. Der Chef meinte nur, „lass das Auto noch 10 Minuten stehen, vorher ist die Polizei eh nicht da. Dann fahre es weg. Dann ist es nämlich sie, die die Straße blockiert!“ Am schlimmsten war es während des Umbauens, da brachte diese Frau die Polizei schier zur Verzweiflung!

      Die 10 Minuten morgendliche Verspätung hatten natürlich oft einen Grund. Jemand hatte verschlafen. Der Ofen wollte nicht anspringen, es war jemand ausgefallen, es war Glatteis und ich musste die Ketten aufziehen, oder der Teig war nicht


Скачать книгу