Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick
Читать онлайн книгу.‚Freund und Helfer‘ zurückließen. Zu Tausenden strömte man zu diesen Orten, um dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Auf friedliche, passive Weise. Wie Gandhi, dessen Lehre ein jeder von uns kannte, waren doch die meisten dieser Demonstranten Alt- oder Junghippies und viele schon in Indien gewesen! Wer ein Auto hatte, beklebte es mit einem Anti-Atom-Sticker. Wir klebten ihn auf unsere Fahrräder.
Leider gab es da noch eine andere ‚Anti-Szene‘ in Deutschland. Deren Vertreter ähnelten uns, aber nur äußerlich. Ansonsten waren sie zu brutalster Gewalt bereit. Es war eine politische Gruppierung, linksextrem ausgerichtet, sie nannte sich ‚Rote Armee Fraktion‘ (RAF) und wollten mit Gewalt den Staat umkrempeln. Mit Banküberfällen und Geiselnahmen verschafften sie sich das Geld, um Waffen zu besorgen und ihren Kampf im großen Stil durchzuführen. Sie sahen sich selber als eine kommunistische Stadtguerilla und schreckten weder vor Morden noch Attentaten zurück. Also weit entfernt von unserer Love-Peace-zurück-zur-Natur-Bewegung! Eins stand für uns fest: Diese Leute hatten nie einen Joint geraucht! Sonst würden sie die Sache anders angehen, wenn überhaupt…! Doch der Durchschnittspolizist hatte da schnell den Überblick verloren und hielt uns bestimmt für untergetauchte Mitglieder der RAF…
Der Bauer hielt uns anscheinend inzwischen für fähig, den ‚Landwirtschaftlichen Kursus‘ Rudolf Steiners zu verstehen, denn er gab uns sein Exemplar. Das wurde nun zu meiner Abendlektüre, denn tagsüber hat ein Bauer (oder ein Praktikant) keine Zeit zum Lesen. Das Werk bestand aus einer Sammlung von acht mitgeschriebenen Vorträgen, die Steiner nicht lange vor seinem Tod auf dem Gut des Grafen Keyserlingk vor einem Publikum, bestehend hauptsächlich aus Großgrundbesitzern, gehalten hatte. Der erste Vortrag handelt über die sonnennahen und sonnenfernen Planeten und deren Einflüsse. Der zweite beschäftigt sich mit der Polarität oben - unten, Sonne - Erde, kosmisch - irdisch. Im dritten geht es über Schwefel, Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff, die „fünf Brüder“, wie er sie nennt, und deren Wirkung auf die Wachstumskräfte. Der vierte behandelt die Herstellung von Hornmist- und Hornkieselpräparaten und deren Wirkung. Im fünften erklärt er die Herstellung der sechs Kompostpräparate aus Schafgarbe, Kamille, Brennnessel, Eichenrinde, Löwenzahn und Baldrian. Der sechste erklärt, wie man Unkräuter, tierische Schädlinge und Pflanzenkrankheiten eindämmen kann. Im siebten spricht er vom Baum und von der Rolle des Waldes. Der letzte Kursus, der achte, geht über das Gehirn, Gedanken und das Ich: das Hirn besteht aus irdischer Materie, die Gedanken aber sind kosmische Kräfte. Durch das Gehirn denkt das Ich des Menschen…
Das kam mir etwas vor wie damals im Aschram, wo der Mahatma uns mit ähnlich absolut klingenden Äußerungen überhäufte. Doch gab es hier keinen Schweigeeid und es wurde weder Geld noch sonst eine Gabe von mir gefordert, noch, dass ich vor einem Gott niederfalle. Nicht alles in der Natur ist erklärlich. Und eine Eigenheit des Menschen ist es, an Übernatürliches glauben zu wollen. Er hat so etwas wie Durst nach Unerklärlichem. Hätte ich das Buch gleich zu Anfang in die Hände bekommen, wäre ich wohl nicht über die erste Seite hinausgekommen und hätte es als Quatsch abgetan. Doch jetzt war der geistige Nährboden etwas vorbereitet. Ich las den Kursus mit immer mehr Interesse und manches wurde mir klarer. Was ich gut fand, war, dass hier alles in Zusammenhang gestellt wurde, die Erde, die Pflanzen, Tiere, Mensch und das Weltall. Und dass von dem ‚Ich‘ die Rede war! Nur gestand ich selber einem Tier den gleichen Ich-Wert zu wie mir. Für mich gab es keinen Unterschied in der Entwicklungsstufe. Ich wehrte mich dagegen, den Menschen als die ‚Krönung der Schöpfung‘ zu sehen, alles andere als weniger entwickelt! Ich machte es wie eine Kuh: langsam fraß ich mich durch, verdaute, käute wieder, schied vieles aus und merkte plötzlich, dass sich meine Sicht von der Landwirtschaft erweiterte.
Es wurde wärmer und trockener. Etwas vom Hof entfernt hatten die Bauern ein großes Erdbeerfeld. Wir wurden mit dem R4 hinausgefahren und der Bauer hielt uns eine lange Rede über die Wichtigkeit dieses Feldes, während wir zwei uns an das Saubermachen machten. Während wir die Hacken leicht unter die Bodenoberfläche führten, um den Unkräutern an ihrer vitalen Stelle zu Leibe zu rücken, impfte uns der Bauer ein, dass diese Erdbeeren die erste Geldeinnahme des Jahres sein würden, und dass wir auf keinen Fall davon naschen dürften! Kurz: wie im Garten Eden, ebenfalls mit Androhung von Paradiesverweis! Wir brauchten mit Hilfe der Bäuerin zwei volle Tage, um den Unkrautfilz zu entfernen. Dann streuten wir von Hand ein wenig Blut- und Hornmehl zwischen die Reihen, der Bauer regelte die Quickly-Fräse in der richtigen Breite, um nicht die Pflanzen zu beschädigen, und zeigte mir umständlich, wie ich damit den organischen Dünger, der ziemlich nach Kadaver roch, einarbeiten sollte. Diese Dünger seien die einzigen, die im biologischen Anbau zulässig seien, obwohl auch hier die Meinungen der verschiedenen Bauern auseinandergingen, war es doch Ziel dieser Wirtschaftsweise, durch Anwenden der eigenen Präparate auswärtigen Dünger überflüssig zu machen. Er selber brachte am nächsten Morgen mit der Rückenspritze noch das Horn-Kiesel-Präparat aus, um die kosmischen Einflüsse besser in den Blüten und Beeren zu fokussieren. Das Wachsen konnte beginnen! „Für das Horn-Kiesel-Präparat füllt man Kuhhörner mit einem Brei aus sehr fein zerstoßenem Quarz oder Bergkristall. Wenn diese Masse in den Hörnern getrocknet ist, verschließt man sie mit einem Lehmstopfen und gräbt sie ein, von Ostern bis zum Herbst, so 20 bis 60 Zentimeter tief. Nach dem Ausgraben nimmt man ein wenig von diesem ‚Präparat‘ und verrührt es eine Stunde lang mit einem Birkenreisigbesen in einem Holzfass mit Regen- oder Quellwasser. Man trägt diese Flüssigkeit mit der Rückenspritze auf Sprossen und Blätter auf, morgens nach Sonnenaufgang, in der Atmungsphase der Pflanze.“ „Und was soll das bringen?“, fragte ich. „Das Präparat konzentriert durch seine kristalline Struktur kosmische Kräfte in der Pflanze. Es fördert das Aroma und die Haltbarkeit der Früchte. Es wirkt ähnlich wie die Sonnenstrahlen.“ „Und was hat es mit dem Horn-Mist-Präparat auf sich?“, wollte ich wissen, da wir schon mal bei der Theorie waren. „Das Beste ist, erst mal das Horn der Kuh zu betrachten. Man kann es einerseits als Sinnesorgan für die Wahrnehmung von außen sehen. Aber das Horn hat zusammen mit den Klauen, auch die Funktion, aus dem Organismus strömende Kräfte wieder in diesen hinein zu leiten. Es ist in gewisser Weise auch ein Verdauungsorgan. Für das Horn-Mist-Präparat füllt man Kuhhörner mit frischem Dung, möglichst von trächtigen Kühen und gräbt sie von Michaeli (Herbst) bis Ostern ein. Hier im Boden empfängt der Mist die Kräfte der Erde, die sich darin konzentrieren können, weil durch die Form des Hornes die hindurchströmenden Kräfte wieder darin zurückgeleitet werden. Das Ergebnis ist eine bröselige, dunkle, wohlriechende Masse, die dann, mit viel Wasser verdünnt, nachmittags ausgebracht werden sollte, in der Ausatmungsphase der Pflanzen. Nicht aber gleichzeitig mit dem Kiesel-Präparat, sie könnten sich sonst aufheben! Horn-Mist fördert die Bodenfruchtbarkeit, ‚schiebt‘ quasi die Pflanze nach oben, während Hornkiesel sie in gewisser Weise nach oben ‚zieht‘.“ Puh, das war etwas ‚far-out‘! Ich musste es später nochmals im Landwirtschaftlichen Kursus nachlesen…
Entscheidung
Auch begannen die Obstbäume, alles Hochstämme, langsam zu blühen, es wehte eine warme Welle von erwachendem Leben über die Moränenhügel. Ich bekam einen Vortrag über die Insekten und die Vögel gehalten, über Nützlinge und Schädlinge und über das Zusammenspiel von Kosmos, Erde und Ich. Ich hatte schon zuvor in fast allen Bäumen einen umgestülpten Blumentopf hängen sehen. Ich dachte zuerst, dass darin Futter für die Vögel untergebracht sei. Doch sie waren nur mit Holzwolle vollgestopft. Diese dienten dazu, den Ohrenkneifern einen Unterschlupf zu bieten, denn diese fressen Blattläuse und Schmetterlingsraupen, vor allem die des Kohlweißlings. Der Bauer ließ mich eine Leiter holen, diese an den ersten Baum anlehnen, und wir kletterten beide hinauf. Oben angekommen, bemerkte ich, dass da ein Nistkasten für Vögel hing. Umherschauend sah ich, dass eigentlich in jedem Baum mindestens ein Kasten aufgehängt war! Diese ließen sich von unten oder von vorne öffnen. Eigentlich sollten Stare und andere Vögel hierin wohnen. Doch hatten bisweilen freche Spatzen sich darin breit gemacht. Ihr Nest erkannte man leicht, vor allem, weil es auf dem Starennest gebaut und kleiner war. Diese unliebsamen Hausbesetzer galt es fern zu halten. Und das geschah, indem man deren Nest rauswarf! Das war keine schwierige Arbeit, nur verbunden mit etwas Akrobatik. Bald ließ er mich alleine und ich fühlte so etwas wie Glück hier oben zwischen den mit süßlich duftenden, weißen oder weißrosafarbenen Blüten besetzten Ästen, umsummt von den träge von