Coronas Zeugen. Stefan Kuntze

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Coronas Zeugen - Stefan Kuntze


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      „Meinen Sie Corona?“

      „Ja, schon, aber nicht so simpel. Die Pandemie spielt eine Rolle. Es geht allerdings weder um Medizin noch um Virologie, eher um ein gesellschaftspolitisches Thema.“

      „Für Virologie wäre ich kaum der Richtige.“

      „Das wissen wir. Nein, uns interessiert etwas anderes. Etwas, das in mein Ressort passt. Und auch Ihr Steckenpferd, das Recht, spielt mit hinein.“ Er machte eine Pause und blickte versonnen auf seine Hände. „Wir beobachten in diesen Frühjahrstagen einen Riss in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen kritisieren die politischen Entscheidungen und die Corona-Verordnungen nicht nur, sondern sie lehnen sie auf eine radikale Weise ab. Man bekommt den Eindruck, dass diese Kritik teilweise berechtigt sein könnte. Das wollen wir ergründen.“

      „Sie denken, das geht tiefer, oder was meinen Sie mit dem Riss?“

      „Das meine ich allerdings! Es gibt keinen Austausch mehr, sondern nur Konfrontation und Ablehnung. Vor allem von den Kritikern der Kritiker. Also, um es kurz zu machen. Wir brauchen eine Geschichte, besser eine Analyse über Menschen, die …“

      Konrad war von seinem Stuhl aufgesprungen. „Wollen Sie sich etwa mit den grassierenden Verschwörungsmythen beschäftigen?“

      „So ist es! Ich ziehe allerdings den Begriff Verschwörungstheorien vor. Es gibt genügend Kritikpunkte an vielen Maßnahmen, die einer Überprüfung wert sind. Was ich mir vorstelle, ist eine Zusammenstellung dessen, was in den verschiedenen Kreisen gesagt wird und wie das unsere Gesellschaft verändert. Sie kennen das Profil unserer Zeitschrift, das wir noch ein wenig seriöser gestalten wollen. Dafür und für die Interessen unserer Leserklientel benötigen wir eine Analyse, die das alles abklopft und nicht in Verurteilungen und Plattitüden abgleitet. Immerhin gibt es zahlreiche besorgte Bürger, deren Anliegen man ernst nehmen sollte.“

      „Naja, es wird viel Seltsames vertreten. Und die Radikalen der verschiedenen Richtungen, die sich den Kundgebungen und Demonstrationen anschließen, das erscheint mir durchaus problematisch.“

      „Das mag schon sein, aber ich lege Wert auf eine Analyse ohne Vorverurteilungen und vor allem“, er legte beide Hände auf den Tisch und sah Konrad direkt in die Augen, „kein falscher Humor! Ich weiß, dass Sie ganz passable Satiren schreiben können. Bei diesem Text möchte ich so etwas nicht sehen. Dazu sind die Anliegen der Bürger zu ernst. Ach, und noch etwas: Wir möchten den Text in Heft 3 bringen.“

      „Sie brauchen also ein Manuskript bis spätestens Mitte Mai?“

      „So ist es. Am 17. Mai sollten wir es haben. Man erzählte mir, Sie seien von der schnellen Truppe, wie man so sagt. Das schaffen Sie bestimmt. Sie haben ja offenbar die Osterferien nicht zu einer Reise genutzt. Da ergibt sich genügend Zeit.“

      „Äh, ja, einen Urlaub kann ich mir nicht leisten, und ich wüsste auch nicht, wohin man reisen könnte.“

      „Schön, dann sind wir uns einig. Ich bin gespannt, wie Sie das Thema aufbereiten. Vielleicht kommen wir ja noch öfter zusammen.“ Der Ressortleiter stand auf und zog seine Hose zurecht. „Lassen Sie sich vorne von Lisa die Liste mit den Internetadressen geben, die unser Team zusammengestellt hat.“ Er verneigte sich leicht. „Enttäuschen Sie den Verlag und auch mich persönlich nicht! Auf Wiedersehen, Herr Pfeiffer.“

      Konrad schob seine Maske wieder zurecht und verließ das Redaktionsbüro. Vor der Tür steckte er den Lappen in die Hosentasche. Es hätte schlimmer kommen können. Die Aufgabe war interessant und wenn er keine Satire schreiben sollte, was soll’s? Allerdings schien der Neue manchen Verschwörungsgeschichten nahezustehen. Und etwas schnöselig war er auch. Vorsicht war also geboten. Er hatte eine Chance, und er ergriff sie.

      Der Auftrag war eigentlich interessant und wahrscheinlich auch gut zu erfüllen. Verschwörungsgeschichten wurden hauptsächlich von denen verbreitet, die sich auf den sogenannten Hygienedemonstrationen tummelten. Eine Analyse von dort vertretenen Halbwahrheiten, Lügen und Verdrehungen konnte er in kurzer Zeit leisten. Für Konrad waren viele Demonstranten Fehlgeleitete, vielleicht Naivlinge, die man mit den Fakten konfrontieren musste. Dann würden sie schon aufhören. Vielleicht könnte er sogar dazu beitragen, dass einige von ihnen ihre Haltung änderten. ‚Übernimm dich nicht!‘ ermahnte er sich innerlich und verließ den Tagblattturm in Richtung Eberhardstraße.

      Ingrid wollte er erst von dem Auftrag erzählen, wenn er sicher war, dass ihm ein richtig guter Text gelingen würde. Er wollte Erfolge vorweisen und nicht als arme Kirchenmaus neben ihr, der angesehenen Journalistin, stehen. In dem neuen Kaffeegeschäft in der Eberhardstraße, ganz nah beim Tagblattturm, gönnte er sich einen vietnamesischen Kaffee, der würzig und exotisch schmeckte.

      Donnerstag, 16. April 2020

      Die Anzahlung, die er dem Verwaltungschef des Verlags hatte abringen können, sicherte ihm das Überleben für die nächsten Wochen. Konrad versuchte, sich nicht davon lähmen zu lassen, dass er Geld bekommen hatte, ohne eine Zeile geschrieben zu haben. Er wollte sein Leben wieder in die Spur bringen, und er wollte sich über seine Beziehung zu Ingrid klar werden.

      Dieses eine Projekt würde helfen, etwas Selbstbewusstsein zu gewinnen, zu mehr konnte es nicht ausreichen. In den letzten Wochen hatte er ohne richtigen Plan in den Tag hinein gelebt. Eigentlich sogar schon länger. Damit war jetzt Schluss! Irgendwann mussten Enttäuschung und Frust überwunden sein.

      Anna hatte ihn kurz nach seinem 40. Geburtstag verlassen. Er sei zu weich und klammere sich an sie, was ihr die Luft abschnüre, hatte sie in einem nüchternen Abschiedsbrief auf seinem Küchentisch hinterlassen. Nach dem Schock hatte er eine hektische Betriebsamkeit entwickelt, aber bis zur Silvesternacht waren alle Bemühungen um eine Nachfolgerin erfolglos geblieben. Vielleicht hatte Anna recht gehabt. Er traute sich Frauen gegenüber nicht viel zu, und seine Angst vor Verlust war ein schwaches Fundament für Beziehungen.

      Konrad versuchte, sein Laptop zu starten. Der Bildschirm blieb schwarz. Verdammt, jetzt streikte sogar dieses neue Gerät. Nach weiteren fruchtlosen Versuchen packte er die Kiste ein und verließ schlecht gelaunt die Wohnung. In dem Computerladen am Wilhelmsplatz, wo er das Ding erworben hatte, befanden sich um diese frühe Zeit keine anderen Kunden.

      „Na, lassen Sie mal sehen“, meinte der Jungspund hinter dem Schalter, nachdem er die Problemschilderung gleichmütig angehört hatte. Fünf Minuten später, die Konrad entsetzlich lang vorkamen, tauchte er mit einem Kollegen zusammen wieder auf.

      „Das Gerät ist in Ordnung. Hatten Sie in letzter Zeit eine Meldung von Microsoft?“

      „Wie, eine E-Mail von Bill Gates oder was?“

      Der Junge lächelte säuerlich. „Nein, einen Hinweis auf Ihrem Desktop.“

      „Ich weiß nicht, neulich stand da, die Grafik brauche ein Update oder so ähnlich.“

      „Aha.“ Der junge Mann sah seinen Kollegen an und wandte sich wieder an Konrad.

      „Wir haben dieses Update jetzt installiert. Die Grafikkarte ist auf dem neuesten Stand, und Sie können weiterarbeiten.“

      Als Konrad auf dem Rückweg durch das Leonhardsviertel, den Stuttgarter Rotlichtbezirk ging, schämte er sich, weil er seinen Computer nicht ernst genommen hatte. ‚Nicht einmal das kriegst du hin‘, maulte er in sich hinein, als er am Olgaeck die Straße überquerte.

      Zurück in der Wohnung saß er minutenlang am Schreibtisch und bedauerte sich selber wegen seiner Entschlusslosigkeit. Wenn er nicht endlich aus dem larmoyanten Selbstmitleid herauskäme, wäre dieser phantastische Anfang mit Ingrid wieder zu Ende, bevor es richtig losging. Warum hatte er ihr seine verkorkste Situation nicht erzählt, sondern so getan, als sei er stark beschäftigt und gut im Geschäft? Seit Wochen hatte er sie weder gesehen noch gesprochen. Wo blieb die Zuversicht des Neujahrstages?

      Er versank in der Erinnerung und hätte am liebsten sofort bei Ingrid angerufen. Ihre Stimme, ihr Lachen, ihr Optimismus, wie hatte er das vergessen können? Konrad schaltete die Kaffeemaschine an, die ihn seit Studentenzeiten begleitete, und auf einmal schien die Welt wieder voller vielversprechender


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