Kiss and Cook in Schottland. Tanja Neise
Читать онлайн книгу.von ihr und sortierten sie in eine Schublade ein, nur wenige machten sich die Mühe, hinter ihre Fassade zu blicken. Ihr war das Recht, so ließen die Leute sie in Ruhe.
Die Bäckerei, in der sie morgen anfangen sollte, musste hier ganz in der Nähe sein. In der richtigen Straße stand sie auf jeden Fall und die Hausnummer 28 war bestimmt irgendwo im Umkreis zu finden. Beherzt und mit enormen Tatendrang griff Fiona nach dem Koffer. Das Haus hinter ihr hatte die Nummer 20, dementsprechend konnte es nicht weit sein. Den kurzen Spaziergang genoss sie in vollen Zügen - endlich festen Boden unter den Füßen. Sie war praktisch vom Flugzeug direkt in den Bus gefallen und seit vielen Stunden unterwegs.
Der Frühling breitete seine wärmenden Schwingen aus, auch wenn es insgesamt noch recht kalt war. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen, die in den Himmel emporstiegen. Dennoch lag das Versprechen nach wärmeren Zeiten bereits in der Luft. Heute sollte die bekannte Ausnahme der Regel sein, laut Wetterbericht der kälteste Tag, der Woche - sogar der kälteste im Monat März. Fiona freute sich, die Gegend im Frühling erkunden zu können, dann, wenn der gelbe Ginster blühte und er die saftigen grünen Wiesen mit seinen Farbsprenkeln versah.
Schon nach wenigen Minuten wurde sie fündig. Vor einem weißen Steinhäuschen, an dessen linker Seite die passende Nummer in blauen Zahlen prangte, blieb sie stehen. Es war direkt an die Straße gebaut worden und hatte keinen Vorgarten, wie so viele andere in diesem Dorf, es wirkte jedoch leer und verlassen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in Fionas Magen breit, als sie ein Schild im Schaufenster entdeckte. Sie trat näher und las.
Ungläubig riss sie die Augen auf. Warum hatte sie auf ihren Dickkopf bestehen müssen? Ihre Freundin Melanie hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie von dem Umzug nichts hielt, aber Fiona war überzeugt gewesen, das Richtige zu tun. Mit einem Mal erschien ihr die Sache mit dem neuen Job in Schottland doch nicht die beste Lösung zu sein. Wie auch?
Wutschnaubend las sie noch einmal, was auf dem Schild hinter der Glastür stand:
Geschlossen!
Wir danken unserer Kundschaft für die langjährige Treue.
Ihre Bäckerei
Wilson
Morgen war der erste April, vielleicht sollte das ein vorgezogener Aprilscherz sein. Aber auch ein Blick ins Innere des Ladens, verhieß keine Erleichterung. Ein leergeräumter Raum - lediglich ein Tresen stand noch darin. Die kahlen Flecken an den Wänden verrieten, dass sogar die Wanddeko abgenommen worden war. Das wäre doch ein wenig übertrieben gewesen für einen Scherz.
Fiona hatte alle Zelte in Deutschland abgebrochen, nachdem die Zusage für den Job im Briefkasten gewesen war. Außer Melanie und deren Mutter, wusste niemand, wo sie sich im Moment aufhielt. Es war keine Flucht, nein, es sollte ein Neuanfang sein. Ihr gesamtes Leben lag wie ein Trümmerhaufen in Berlin. Sie hatte dort weggemusst, ganz weit weg, ansonsten wäre sie wahnsinnig geworden. Deshalb war ihr die Stellenanzeige in der Berliner Morgenpost wie ein Fingerzeig Gottes erschienen. In einem abgelegenen Dorf in Schottland hatte eine kleine Bäckerei einen Bäcker oder eine Bäckerin gesucht, die sich auf die deutsche Backkunst verstand. Na gut, eine Künstlerin war sie nicht unbedingt, aber sie konnte gut backen. In der Bloggerszene war sie sogar eine kleine Berühmtheit, ihre wöchentlichen Beiträge lasen mittlerweile Tausende und das Feedback, das sie bekam, war der Wahnsinn. Simply-baking hatte Klicks, von denen andere Blogs nur träumten und die Werbeeinnahmen waren nicht ohne. Es war nicht mit einem ordentlichen Gehalt zu vergleichen, aber es war ein guter Zuverdienst. Gerade war sie im Begriff einen YouTube Kanal aufzubauen und auch hier florierte das Ganze in ungeahntem Ausmaß.
Diese Mrs Wilson hatte ihr am Telefon versichert, dass sie keine abgeschlossene Ausbildung benötigte, und war regelrecht begeistert gewesen von den YouTube Videos, die Fiona ihr hatte zukommen lassen. Sie kam ursprünglich auch aus Deutschland und war vor über fünfzig Jahren, der Liebe wegen, ausgewandert. Wo war Mrs Wilson jetzt? Die würde etwas erleben, schließlich hatten sie einen Arbeitsvertrag!
Wütend riss Fiona an dem Koffer und wollte schon durch das kleine Dorf laufen. Nur wohin sollte sie nun gehen? Zuerst einmal musste sie sich eine Unterkunft suchen, denn die hatte ihr die gute Mrs Wilson auch zugesichert. Kost und Logis waren bei dem Job inbegriffen gewesen und zusätzlich hätte sie noch ein sehr gutes Gehalt bekommen. Hätte, hätte, Fahrradkette! Sie fühlte sich dermaßen aufs Korn genommen, dass sie am liebsten laut geschrien hätte.
Plötzlich erschien ihr das Dörfchen nicht mehr malerisch und still, sondern einsam und trostlos. Wo waren all die Bewohner? Lebte hier überhaupt noch ein Mensch? War die Bäckerei deshalb geschlossen worden, weil es niemanden gab, der dort einkaufte?
Sobald sie den Koffer irgendwo abgestellt hätte, würde Fiona auf die Suche gehen nach den Einwohnern dieses Kaffs und nach der guten Bäckerin, die sie hierher in die Pampa gelockt hatte. Und dann musste sie sich wohl oder übel eine Alternative für ihre Zukunft überlegen.
Noch einmal legte sie die Stirn an die kalte Glasscheibe und starrte ins Innere, doch auch beim zweiten Mal blieb der Anblick der gleiche. Trostlos und kaum erkennbar, dass es sich hierbei um eine Bäckerei gehandelt hatte.
»Suchen Sie jemanden?« Über ihr lehnte sich eine hübsche Frau aus dem Fenster und betrachtete Fiona skeptisch. Ihre langen blonden Locken verfingen sich in den Blüten der Pflanzen des Blumenkastens. Sie hatte ein wenig zu viel Make-up aufgetragen. Pinkfarbener Lipgloss und blauer Lidschatten waren Fiona ein Graus, aber sie war die Letzte, die jemanden verurteilen durfte, dachte sie sich.
»Ja, ich wollte zu Mrs Wilsons Bäckerei«, versuchte Fiona in freundlichem Ton, das Eis aus der Stimme der Frau zu vertreiben.
»Tja, Sie sehen ja selbst, dass der Laden geschlossen ist.« Die Dame murmelte noch etwas in ihren nicht vorhandenen Bart, zumindest konnte Fiona von hier unten nicht erkennen, dass sie einen besaß, und verschwand wieder in das Innere der Wohnung. Vermutlich der Wohnung, die ihr versprochen gewesen war. So ein verdammter Bockmist!
KAPITEL 2
Adam
Adam schaltete die Geräte aus, sofort war die Stille allgegenwärtig. Er genoss es in vollen Zügen - sich zurückzulehnen, sich zu entspannen und nicht weiter darüber nachzudenken, welcher Termin ihm als Nächstes im Nacken saß. Er war Herr seiner Zeit und konnte tun und lassen, was er wollte. Sogar nach Jahren war er immer noch mit sich selbst im Reinen und froh, diesen Weg gewählt zu haben. Wie hatte er nur jemals ein Dasein im Fokus der Öffentlichkeit führen können? Die Leute hatten sich für alles interessiert, egal ob es um seine Nahrung, seine Wohnung oder um seinen Sex ging. Heute erschien ihm das Leben, das er früher geführt hatte, geradezu unvorstellbar.
Schottland und insbesondere Kinloch Rannoch waren seine Heimat geworden. Und bis auf die weihnachtliche Ausnahme, wenn er sich in Aspen mit den Mitgliedern seiner ehemaligen Band traf, blieb er größtenteils für sich und genoss die Ruhe und die Stille. Im letzten Jahr hatten Ally und John ihn besucht. Sie waren ganze zwei Wochen bei ihm im Cottage geblieben. Das war großartig gewesen und dennoch hatte ihn Freude erfüllt, endlich wieder allein zu sein. Er war ein Eigenbrötler, wie Darren ihn immer nannte. Der Leadsänger seiner alten Band nahm kein Blatt vor den Mund und hatte ihm klipp und klar verkündet, dass er es sonderbar fand, dass ein Mensch sich so sehr einigelte. Mit Sicherheit war er auch dafür verantwortlich, dass sich John plötzlich wie eine Glucke aufführte.
Das kleine Dörfchen, in dem er lebte, war so weit abgelegen, dass noch nicht einmal die Jugendlichen hier von ihm und seiner Band gehört hatten. Mittlerweile akzeptierten ihn die Anwohner als einen der ihren, auch wenn Adam selbst gar nicht hatte dazugehören wollen. Aber das hatte sich geändert, denn er hatte sich verändert. Er lebte zwar allein und zurückgezogen, dennoch war er nun Teil einer Gemeinschaft, ein akzeptiertes Gemeindemitglied Kinloch Rannochs und das erfüllte ihn mit ungeahntem Stolz.
Sein Cottage war eines der größten in der Gegend, das war nicht immer so gewesen.