Populismus leicht gemacht. Ralf Grabuschnig

Читать онлайн книгу.

Populismus leicht gemacht - Ralf Grabuschnig


Скачать книгу
seine Vorsicht aus. Und noch heute wird im ehemaligen Jugoslawien diese kalkulierte Besonnenheit mit Güte verwechselt, was Tito nach wie vor Sympathien einbringt. Diese Charaktereigenschaft war auch der Grund, warum dieser Mann überhaupt erst zur starken Hand auf dem Balkan werden, sich aus dem Orbit der Sowjetunion befreien und zum weltweit angesehenen Staatsmann avancieren konnte. Wohl auch nicht ohne Grund zerfiel sein Reich wenige Jahre nach seinem Tod wieder … Aber lassen Sie sich davon mal nicht die Laune verderben. Tito musste den Zerfall seines eigenen Staates schließlich nicht mehr miterleben. Er starb auf dem Zenit seiner Macht eines natürlichen Todes. Solange Sie das auch schaffen, ist doch alles in Butter. Widmen wir uns also wieder den schönen Dingen im Leben! Tito war nun zwar vielleicht nicht ganz so gütig, wie einige seiner ehemaligen Untertanen das heute noch gerne sehen. Er war aber doch zumindest ein ungewöhnlicher Diktator. Er schuf in Jugoslawien eine verhältnismäßig sanfte Diktatur, die er vor allem mithilfe seines Personenkultes und der Propaganda beherrschte. Damit ist er auch ein phänomenales Vorbild, wenn es um den kreativen Umgang mit der Biografie geht.

      Die Umgestaltung der Herkunftsgeschichte beginnt bei Tito schon mit der eigenen Kindheit – das kennen wir ja bereits von Adolf Hitler. Aber Tito toppt den „Führer“ hier. Nicht einmal sein Geburtsjahr ist mit Sicherheit geklärt. Und als würde das noch nicht genügen, kursieren nicht etwa zwei oder drei unterschiedliche Daten, sondern gleich zehn! Nach allem, was man weiß, dürfte der Mann in den frühen 1890ern geboren worden sein, wahrscheinlich irgendwann im Mai. Dass ganz Jugoslawien irgendwann den 25. Mai als seinen Geburtstag beging, ist keine Garantie für die Korrektheit dieses Datums, sehr wahrscheinlich ist es nicht der tatsächliche Tag seiner Geburt. Aber was soll der ganze Trubel, letzten Endes ist es doch völlig egal. Das Kernelement von Titos biografischer Elastizität ist ohnehin ein komplett anderes. Er hat seine Biografie in späteren Jahren nämlich auf de facto vier Jahre reduziert: die Zeit des Partisanenkrieges gegen die deutschen und italienischen Besatzer Jugoslawiens. Zu diesem Zeitpunkt war Tito zwar schon ungefähr (wie gesagt, so sicher können wir uns da nicht sein) fünfzig Jahre alt – über die Zeit davor wurde während seiner Herrschaft aber kaum gesprochen. Wozu auch? Was wirklich zählt im Leben dieses großen Marschalls, fand doch in jenen vier Jahren statt! Tito hatte erkannt: Alle anderen Details um sein früheres Leben würden die Menschen nur von der eigentlichen Geschichte ablenken. Die Zeit als orientierungsloser Jugendlicher, als Soldat der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg, als kommunistischer Zögling in Russland, als Lehrling Stalins … das wollte doch niemand hören! Hören wollten die Menschen von der Legende Tito. Der Marschall, der sich mit seinen treuen Partisanen in den Wäldern und Bergen verschanzte, den Besatzern den Guerillakrieg erklärte und den dann auch noch gewann! Tito setzte als Präsident also alles daran, genau diesen Teil seines Lebens immer wieder hervorzuheben. Das war für ihn auch nicht sonderlich schwierig. Immerhin entstand der Staat Jugoslawien, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1991 existierte, doch aus genau jenem Partisanenkampf. Im Gegensatz zu Hitler und Stalin stand Tito mit seiner Methode vor einer viel leichter zu bewältigenden Aufgabe. Er musste nicht ganze Abschnitte seines Lebens, die Kindheit und Jugendzeit sowie alle anderen unpassenden Augenblicke vertuschen. Genauso wenig musste er krankhaft seine Photoshop-Skills aufbessern und der Bevölkerung ständig neue Versionen alter Propagandabilder vorführen. Tito musste einfach nur immer dieselbe Geschichte erzählen und dafür sorgen, dass sie im Volk hängen blieb. Das war ihm schon während des Kriegs bewusst. So hat sein langjähriger Gefährte Aleksandar Ranković später erzählt, dass Tito immer darauf geachtet hatte, mit ja nichts in Verbindung gebracht zu werden, was später kompromittierend wirken könnte. Er hat nie ein Todesurteil oder den Befehl zur Niederbrennung eines Dorfes unterschrieben. Das heißt aber freilich nicht, dass das nicht geschehen wäre oder er es nicht mündlich angeordnet hätte.

      Sein Regime nutzte über die nächsten Jahrzehnte zahlreiche Mittel, um ständig über diese Zeit des Kriegs und Titos Rolle als Partisanenführer zu sprechen und die Erinnerung daran frischzuhalten. Eine davon prägte die Menschen besonders und genießt bis heute ungebrochene Berühmtheit: die jugoslawischen Partisanenfilme. Der Film war Titos Lieblingsmedium. In seinen Residenzen unterhielt er Privatkinos und hatte einen eigenen Angestellten, der die Filme für ihn einlegte und ihn im Kinosaal betreute. Kein Wunder, dass das Medium bald auch für Propagandazwecke Verwendung fand. Und noch viel weniger ist es ein Wunder zu nennen, dass der Partisanenwiderstand zum beliebtesten Thema dieser Filme wurde. Einige der über hundert Produktionen stechen als besonders eindrucksvoll hervor. Das liegt vor allem daran, dass Tito es sich durchaus wert war, für die Filme ausländische Stars zu casten. Kaum etwas war zu teuer, und irgendwie ermöglichte Tito die Finanzierung jedes Mal. Ein Paradebeispiel ist der Film „Sutjeska“ über die Schlacht desselben Namens im Jahr 1943. In der Hauptrolle war kein Geringerer zu sehen als Richard Burton! Ganz ähnlich im Film „Bitka na Neretvi“, Schlacht an der Neretva, der – Sie haben es wahrscheinlich erraten – der Story von „Sutjeska“ einigermaßen ähnlich ist. Aber gut, das zeichnet diese Filme generell aus: Sie fühlen sich alle irgendwie gleich an, was seinen ganz eigenen Propagandawert hatte. Für „Bitka na Neretvi“ wurde unter anderem Orson Welles verpflichtet, und der Film wurde 1970 sogar für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Den Erfolg kann man der titoistischen Propagandamaschine also nicht absprechen. Die Dreharbeiten für den Film, die eineinhalb Jahre in Anspruch nahmen und gerüchteweise bis zu zwölf Millionen Dollar verschluckten, wurden von Tito persönlich genehmigt. Er stellte bei der Gelegenheit auch gleich 10 000 Soldaten der jugoslawischen Armee ab, um dem Ganzen einen realistischen Touch zu verleihen. Die absurdeste Entscheidung war aber, dass er es erlaubte, eine voll funktionsfähige Eisenbahnbrücke zu sprengen, anstatt für die Dreharbeiten eine Replik zu bauen. Es sieht halt viel realistischer aus, wenn es echt ist! Und wenn der Diktator sagt, man soll die Brücke für den Film sprengen, dann macht man das auch. Dumm nur, dass die Aufnahmen der Sprengung wegen der entstandenen Rauchwolke letzten Endes unbrauchbar waren, weshalb man sie in einem Studio nachstellen musste. Die Überreste der Brücke – allerdings wohl einer Replik – kann man in Bosnien bis heute bewundern. Ob irgendjemand der Besucher dort auf die Idee kommt, dass Tito vielleicht doch ein exzentrischer Alleinherrscher gewesen sein könnte? Herzallerliebst, wenn Sie das jetzt glauben …

      Diese Filme besaßen für Tito einen enormen Wert, der weit über seine persönliche Liebe zum Medium hinausging und die Kosten in seinen Augen auch rechtfertigte. Die Filme erinnerten sein Volk immer und immer wieder an den alten Partisanenkampf, den bei weitem wichtigsten Teil von Titos Biografie. Als Herrscher wollte er immer und überall mit genau dieser Zeit seines Lebens in Verbindung gebracht werden, denn dieser Moment der „Volksbefreiung“ bildete die Grundlage seiner Herrschaft, seines Personenkultes und seines Staates. Hollywood-Stars nach Jugoslawien zu holen, passte außerdem wunderbar ins Bild des luxusverwöhnten Marschalls. Geld war kein Problem für den alten Genossen. Man lebte ja ohnehin auf Pump – wie wir im Verlauf dieses Buches noch sehen werden.

      Wie bringen wir Ihre Biografie auf Vordermann?

      Hitler, Stalin und Tito – drei Namen, die für unterschiedliche Methoden stehen, mit deren Hilfe es Diktatoren in der Vergangenheit gelang, ihre Biografien aufzubessern. Man weiß: Jeder Diktator ist anders. Und das gilt auch für aufstrebende Miniautokraten, wie Sie einer sind. Und doch trifft eines auf jeden zu: Die Biografie ist wichtig! Überlassen Sie es also auf keinen Fall einem anderem, zu beschreiben, wer Sie sind und wofür Sie stehen. Das sollten Sie schon selbst in die Hand nehmen. Welche Methode für Sie persönlich zielführend ist, können Sie problemlos herausfinden. Gibt es Teile Ihrer Biografie, die Sie lieber verheimlichen würden? Dann wählen sie die Methode Hitler und streichen diese überflüssigen Details aus Ihrem Leben. Einige Ihrer derzeitigen Kollegen zeichnen das bereits erfolgreich vor: Viktor Orbán und sein Soros-Stipendium, Aleksandar Vučić und seine Rolle im Milošević-Regime, Heinz-Christian Strache und seine Jugendbekanntschaften … Und seien wir doch ehrlich: Wer von uns hat denn keine Leichen im Keller, die es zu verbergen gilt? Sollte das bei Ihnen nicht der Fall sein, dann sind Sie vielleicht doch kein Diktatorenmaterial. Legen Sie Wert auf das Verschwinden von Zeitgenossen, kann Ihnen eine Prise Stalinismus nicht schaden. Kein Diktator der Welt weist gerne auf die Gehilfen hin, die ihn an seinen Platz gebracht haben. Ein paar Photoshop-Tricks hier, ein paar Erschießungskommandos da, und schwups: Schon sind die unliebsamen Steigbügelhalter verschwunden. Wie immer führen


Скачать книгу