Populismus leicht gemacht. Ralf Grabuschnig

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Populismus leicht gemacht - Ralf Grabuschnig


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      Basteln Sie ein Feindbild

      Ich muss Ihnen an dieser Stelle des Buches bereits eine unangenehme Wahrheit näherbringen: Ihr Volk wünscht sich in Wirklichkeit gar keinen Diktator. Ich weiß schon, was Sie jetzt sagen werden: „Das mag vielleicht im Allgemeinen stimmen, aber bei mir ist das anders!“ Immerhin sind Sie doch der beste Politiker, den Ihr Land je gesehen hat, und das Volk kann sich nur glücklich schätzen, Sie zu haben. Das mögen Sie als Resultat von Jahren feuchter Träume glauben, doch diesen Zahn muss ich Ihnen leider ziehen. Wenn es anders geht, wünscht sich die Menschheit üblicherweise keinen starken Herrscher, der von oben herab über ihr Leben entscheidet. Schon allein um die Menschheit von diesem Irrtum zu erlösen, gilt es, an die Macht zu kommen und dort zu bleiben. Hierfür bedienen sich Diktatoren seit jeher einer ebenso schlichten wie effektiven Methode. Anstatt sich selbst als die objektiv beste Wahl zu positionieren und um die Menschen zu werben, präsentieren sie sich als eine konkrete Lösung. Lösung wofür? Der Diktator ist die Lösung für ein ganz bestimmtes Problem, das übrigens rein gar nichts mit seinen Fähigkeiten zu tun hat. Wenn dieses Problem nämlich groß genug ist (oder die Menschen in Ihrem Land das glauben), müssen Sie über kein besonderes Know-how verfügen. Sie müssen nur die Lösung darstellen! Aber von welchen Problemen sprechen wir denn hier? Von Feinden natürlich! Der zukünftige Diktator muss das letzte Bollwerk gegen einen gemeinsamen Feind sein, einen Feind, der die Gesellschaft und den Staat in seiner Gesamtheit bedroht. Das und nur das erlaubt ihm seine Stellung als Alleinherrscher. Aber woher soll dieser Feind denn kommen? Das beste Problem ist immer das, das man selbst schafft. Denn dann fällt die Lösung meist nicht schwer. Schauen Sie sich nur um in der Welt. Kim Jong-un beschützt wie schon sein Vater und Großvater das nordkoreanische Volk vor den Imperialisten im Süden und in Amerika, nachdem sie selbst den Koreakrieg vom Zaun gebrochen hatten. Wladimir Putin schützt das russische Volk seit Jahrzehnten vor dem ausbeuterischen Westen und dessen moralischen Verfall, nachdem er selbst dem Land jegliche Hoffnung auf Reform genommen hatte. Donald Trump schützt das amerikanische Volk vor … oh, Moment! Ich entschuldige mich. Jetzt hätte ich Präsident Trump fast in eine Reihe mit solchen autokratischen Herrschaften gestellt.

      Der Schlüsselbegriff für uns ist also das Feindbild. Wenn Sie zum alleinigen Machthaber Ihres Landes aufsteigen wollen, brauchen Sie ein solches, denn ohne Bedrohungsszenario, ganz ohne eine böse äußere Gruppe, vor der es die Nation zu schützen gilt, ist Ihre Machtübernahme vor dem Volk nur schwer zu rechtfertigen. Aber Sie haben Glück! Feindbilder haben doch gerade in diesen Jahren wieder Hochkonjunktur. Die Flüchtlinge, der Islam, der „Deep State“ … es gibt so viele reale und fiktive Feinde, die man als aufmerksamkeitssüchtiger Jungautokrat bekämpfen kann. Das Buffet ist eröffnet! Die Menschen lieben eben ihre Feindbilder, und seit jeher teilten alle sozialen Gruppen solche Vorstellungen. Immerhin bieten gemeinsame Feinde eine Grundlage für Rudelbildung, und nicht erst seit gestern nutzen aufstiegshungrige „Politiker“, wie Sie sich wohl gerne auch sehen, diese Neigung. Egal, wohin man in der Geschichte blickt, so gut wie jeder große Herrscher baute seine Macht zuallererst auf ein wohlgenährtes Feindbild auf. Die ganz Großen unter diesen Politikern verließen sich dabei aber nicht auf das Glück. Sie gingen ganz aktiv daran, solche Feindbilder zu erfinden, zu schüren und damit immer weiter aufzublasen, bis der Ruf im Volk nach einer „Lösung“ nicht mehr zu überhören war. Dreimal dürfen Sie raten, wer diese Lösung dann parat hatte.

      Den Roten kann man nicht über den Weg trauen

      Nun habe ich gerade gesagt, dass es in so gut wie allen menschlichen Gesellschaften schon immer Feindbilder gegeben hat und ebenso machthungrige Menschen, die diese für sich ausgenutzt haben. Allerdings gibt es doch Zeiten in der Geschichte, zu denen diese ewige Wahrheit wahrer ist und stärker zutrifft als zu anderen. Zeiten des politischen Umbruchs und der Unsicherheit sind nämlich die beste Voraussetzung für Feindbilder und ihre politische Verwertung. Wenn wir uns das letzte Jahrhundert anschauen, gibt es da ein ganz besonderes Datum, das jedem Autokratie-Fan bekannt sein sollte: der Jahreswechsel von 1918 auf 1919. Da herrschten in Europa noch so richtig wilde Zeiten! Anfang November 1918 endete der Erste Weltkrieg, und mit ihm kam unter anderem das Ende des Deutschen und des Habsburgerreiches. In Mittel- und Osteuropa entstanden neue Staaten wie Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, während sich in schon zuvor existierenden Staaten wie Rumänien massiv die Grenzen verschoben. Bereits ein Jahr vor Ende des Krieges war außerdem die Oktoberrevolution über Russland hinweggefegt, und damit war das politische Chaos in weiten Teilen des Kontinents perfekt. Heute lässt es sich manchmal viel zu leicht über diese Umbrüche reden, ohne den mit ihnen verbundenen Einschnitt für die Menschen der Zeit wirklich zu begreifen. Die Etablierung dieser neuen Nationalstaaten und die damit verbundene Unsicherheit brachten gigantische Zäsuren im Alltagsleben mit sich, die die Menschen noch über Jahre hinweg prägten. Teils komplett neue Politiker, die zuvor keine Rolle gespielt hatten, neue Grenzen – zuweilen mitten durch existierende Lebensräume … Auch muss ich wohl nicht betonen, dass diese Verschiebungen für die wirtschaftliche Entwicklung direkt nach dem Krieg nicht gerade zuträglich waren. Für die Erholung nach einem Krieg ist es nicht die beste Idee, etablierte Handelswege und Wirtschaftsräume zu durchschneiden und alles auf null zu stellen. Aber gut, darum ging es den politischen Führern der Zeit ja nicht. Diese außen- und innenpolitische Unsicherheit und wirtschaftliche Misere spiegelten sich somit bald im innenpolitischen Leben vieler Staaten Europas wider. Radikale Zeiten verlangen eben nach radikalen Antworten, und so griffen über den Kontinent hinweg politische Extrempositionen um sich.

      Besonders erfolgreich erschien in den ersten Monaten nach dem Krieg zunächst eine bestimmte Extremposition: die des Kommunismus. Auch das kann man sich gegenwärtig nur schwer vorstellen. Heute wirkt – zumindest in Europa – die Oktoberrevolution eher wie ein isolierter Einzelfall, der nur durch sowjetische Gewalt und durch den nächsten Weltkrieg in die Länder Mittel- und Osteuropas getragen werden konnte. Von der von Lenin versprochenen „Weltrevolution“ kann im historischen Rückblick keine Rede sein. Im Winter 1918 sah das allerdings noch ganz anders aus. Die Oktoberrevolution lag erst ein Jahr zurück, und plötzlich gab es vielerorts in Europa linke Gruppierungen, die eine ganz ähnliche Revolution wie in Petersburg anstrebten. Eine Zuspitzung schien unausweichlich. In Deutschland geschah das schon sehr früh in der Novemberrevolution, die 1918 zumindest in Teilen des Landes Arbeiter- und Soldatenräte nach sowjetischem Vorbild hervorbrachte. Einen Höhepunkt erreichte die Entwicklung im Frühling 1919 mit der Münchner Räterepublik und ihrer gewaltsamen Niederschlagung durch regimetreue und rechtsradikale Verbände, die freilich genauso wenig demokratiebegeistert waren wie die Anhänger der Räterepublik. Nach der Oktoberrevolution und einer ganz ähnlichen Revolution in Ungarn war der in München nun schon der dritte dieser bolschewistischen Aufstände. Sorge vonseiten der rechtsautoritären Kräfte war also durchaus angebracht!

      Ein besonders lehrreiches Beispiel kann uns die Niederschlagung der erwähnten ungarischen Räterepublik bieten. Immerhin kam als Folge dieser kurzlebigen Revolution ein ausgesprochen ehrenwerter Kollege von Ihnen in Budapest an die Macht. Ein Mann, der Ihnen als Mentor so einiges über autoritäre Politik beibringen kann. Der roten Republik in Ungarn wäre aber wohl auch ohne ihn kein gutes Schicksal bestimmt gewesen. Als diese im April 1919 proklamiert wurde und die neue Führungsschicht daran ging, ihre links-revolutionären Ideen zu verwirklichen, waren die Probleme eigentlich schon vorauszusehen. Zu mächtig und zu zahlreich waren die Gegner der Maßnahmen, und schon im August fand das Regime sein Ende, als zu allem Überfluss auch noch rumänische Truppen in Budapest einmarschierten. Die rechtsautoritäre Gegenbewegung ließ nicht lange auf sich warten. Bereits im Frühjahr des Folgejahres saß ein gewisser Herr Miklós Horthy im Sessel der Macht. In einem absurden ungarischen Königreich ohne König wurde er Reichsverweser. Wir werden in diesem Buch noch an einigen Stellen von diesem Mann hören, doch eine seiner ganz zentralen Charaktereigenschaften möchte ich gleich am Beispiel seiner Machtübernahme ansprechen: Er spielte von Beginn an meisterhaft mit den Feindbildern der ungarischen Gesellschaft. Feind war zuallererst der Kommunist. Nach der blamablen Niederlage gegen Rumänien war auch der letzte Bonus der Kommunisten verspielt, und Horthy verstand es aufs Beste, sich als Bollwerk gegen eine Rückkehr dieser „linken Chaoten“ und „Volksverräter“ zu positionieren. Ganz


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