Populismus leicht gemacht. Ralf Grabuschnig

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Populismus leicht gemacht - Ralf Grabuschnig


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bildeten sich in dieser Lage zwei politische Blöcke heraus, die sich die Wählerschaft in vollkommener gegenseitiger Ablehnung untereinander aufteilten und sich anschickten, den neuen Staat im Alleingang zu führen. Auf der einen Seite dieses Kampfes standen die Sozialisten mit ihrer breiten Unterstützung innerhalb der seit Kriegsende erstmals wahlberechtigten Arbeiterschaft. Auf der anderen Seite bildeten sich die Christlichsozialen heraus, die die konservativen Kräfte des Adels, des Bürgertums, des Militärs und der Bauernschaft bündelten. Daneben gab es zwar noch kleinere Parteien, etwa die Deutschnationalen, doch die beiden Großblöcke teilten sich die Mehrheit der Wähler. Nach anfänglichen (wohl nie allzu ernst gemeinten) Versuchen der Zusammenarbeit wurde schnell klar, wohin die Reise in diesem Staat gehen würde. Die „Roten“ setzten sich mit einer absoluten Mehrheit in der Hauptstadt Wien fest und dominierten dort schon bald die politische Szene. Der Rest des Landes wurde „schwarz“. Durch das demografische Übergewicht Wiens in der österreichischen Gesamtbevölkerung waren die Ergebnisse der beiden Blöcke bei landesweiten Wahlen dennoch recht ähnlich, und die Sozialisten waren auch landesweit eine ernstzunehmende Kraft. Da sich aber alle politischen Kräfte rechts der Mitte einig darin waren, ihnen keine politische Mitbestimmung zu gewähren, wurden sie isoliert und im Nationalrat zur Daueropposition gezwungen. Die Christlichsozialen (und in geringerem Ausmaß ihre nationalistischen Partner) wussten spätestens zu diesem Zeitpunkt: Der Staat, das waren jetzt sie. Und bald wurde es Zeit, sich den Feinden zuzuwenden.

      Dieser Kampf verlagerte sich binnen kurzem vom Parlament auf die Straße. In einem Land, in dem das Gewaltmonopol des Staates so gut wie nicht existierte, bildeten sich schnell die ersten rechten Milizen heraus, die auf den Straßen auf „Rote“ losgingen – die bedeutendste dieser Gruppen war die faschistische Heimwehr. Als Gegenmaßnahme gründeten die Sozialisten schließlich den Republikanischen Schutzbund. Man muss es wohl nicht erwähnen: Diese beiden paramilitärischen Gruppen gingen sich in den nächsten Jahren gehörig an die Gurgel, was die Zentralgewalt des Staates nicht nur einmal an den Rand des Untergangs brachte. Die Nähe zwischen Christlichsozialer Partei und den Heimwehren fluktuierte in dieser Zeit zwar, man arrangierte sich üblicherweise aber schnell. Denn auch wenn die Heimwehren im Gegensatz zu den eher traditionellen Christlichsozialen eine waschechte faschistische Bewegung darstellten, konnte man sich auf das gemeinsame Ziel einigen: Das große Feindbild, die Sozialisten, war mit allen Mitteln von der Macht fernzuhalten! Einen Höhepunkt erreichte das in den frühen Dreißigern. Zuerst war es die Heimwehr, die sich öffentlich vom Parlamentarismus abwandte und einen autoritären „Ständestaat“ forderte. Bald folgten ihr auch die sich rapide radikalisierenden Christlichsozialen unter Engelbert Dollfuß nach. Dieser neue Mann an der Spitze der Partei (wegen seiner wenig beeindruckenden Körpergröße von seinen Gegnern auch „Millimetternich“ genannt) brachte ohnehin einen wahren Zaubertrick zustande. Er schaffte es, die tief autoritäre Christlichsoziale Partei der Zwanzigerjahre noch weiter nach rechts zu rücken und dem Faschismus zu öffnen. Im Frühjahr 1933 war es dann soweit. Kanzler Dollfuß schaltete das Parlament aus und regierte den Staat von nun an offen autoritär. Neue Wahlen verbot er unter anderem mit der großartigen Begründung, dass das den Tourismus in Österreich einschränken könnte … In der Öffentlichkeit gab es außerhalb des sozialistischen Milieus trotzdem keine Aufschreie. Das Feindbilderschmieden der letzten Jahre hatte sich bezahlt gemacht, und von der Demokratie hielten die meisten ohnehin wenig. Das Parlament war für viele konservative Österreicher nicht mehr als das Sprachorgan der Sozialisten. Es zu schließen, war der einzig richtige Schritt.

      Engelbert Dollfuß radikalisierte seine Regierung – getrieben vom fanatischen Feindbild der immer noch aktiven Sozialisten – nach Ende des Parlamentarismus stetig weiter, und am Schluss wurde sogar die Christlichsoziale Partei selbst aufgelöst, um in eine neue Staatspartei, die Vaterländische Front, überzugehen. Man gönnte sich bei der Gelegenheit sogar ein hippes neues Logo, das Kruckenkreuz. Ich bin nun zwar kein Anwalt, aber hätten es die Nazis versucht, hätten sie die Front wegen Markenrechtsverletzung drankriegen müssen, so ähnlich sah das Symbol dem Hakenkreuz. Um die endgültige Umwandlung in den „Ständestaat“ zu vollenden, musste Dollfuß nun nur noch die Sozialisten als politische Kraft ausschalten. Die Chance für einen zünftigen Frühjahrsputz ergab sich schließlich im Februar 1934. Da ging die Staatsführung daran, das Gewaltmonopol wiederherzustellen und die Waffenlager des Republikanischen Schutzbundes der Sozialisten auszuheben. Es fällt auf, dass die rechten Milizen und die Heimwehr kein Problem für dieses Monopol darzustellen schienen, obwohl sie mindestens auf genauso vielen Waffen saßen. Es kam, wie es vielleicht kommen musste, und die Militäraktion gegen den Schutzbund artete in einen dreitägigen Bürgerkrieg aus. Die Armee und die Heimwehren auf der einen und der Schutzbund auf der anderen Seite kämpften erbittert um die Gemeindebauten Österreichs, die sich in Festungen und Schlachtfelder verwandelten. Am Ende stand die totale Niederlage der hoffnungslos unterlegenen Sozialisten. Dem Aufbau des autoritären „Ständestaates“ stand nichts mehr im Weg. Na ja, außer vielleicht die Tatsache, dass Engelbert Dollfuß nur Monate darauf von Nationalsozialisten ermordet wurde. Aber was hätte er auch machen sollen? Man kann das Volk ja nicht verwirren. Ihnen zu erzählen, dass nun sowohl die Sozialisten ALS AUCH die Nazis Feinde des Staates waren, das war doch zu viel verlangt vom einfachen Bürger. Während die Sozialisten blutig zerschlagen wurden, konnten die Nazis in Österreich also in Ruhe weiterwerkeln. Erst nach der Ermordung Dollfuß’ zog sein Nachfolger Kurt Schuschnigg auch hier die Daumenschrauben an. Sein Regime endete trotzdem vier Jahre später im „Anschluss“. Die Führer des „Ständestaates“ Österreich sahen sich danach gemeinsam mit den von ihnen eingekerkerten Sozialisten im KZ wieder. Manchmal kennt die Geschichte ja doch Ironie.

      Ein Feindbild will gepflegt sein

      Auch wenn wir in diesem Kapitel über eine für uns Demokratieallergiker ganz besondere Zeit in der Geschichte Europas gesprochen haben, die nicht so ohne Weiteres auf andere Zeitpunkte umzulegen ist, sind die Lehren daraus noch immer aktuell. Gewisse Dinge ändern sich nicht, und ein Feindbild ermöglicht Ihnen nach wie vor einen Aufstieg zum Alleinherrscher, wo dieser ansonsten unvorstellbar wäre. Nur wenn eine existenzielle Gefahr besteht, wird Ihr Volk auch bereit sein, Ihnen ohne Widerrede die Zügel in die Hand zu geben. Was Sie dann mit den Zügeln machen, ist freilich Ihnen überlassen und kann vom Volk hingenommen werden oder nicht. Dann schickt man eben die Geheimpolizei. Nun leben wir heute zwar in weitaus weniger radikalen Zeiten als noch 1918. In jüngster Vergangenheit gab es in den meisten Teilen Europas keinen Krieg, es gab keine Revolution, und so gibt es eigentlich nichts, wogegen Sie sich stellen könnten. Das bedeutet aber nicht, dass Sie nicht trotzdem mithilfe von Feindbildern an Ihrer Machtbasis arbeiten könnten. Denn was ein Problem ist, entscheiden immer noch Sie! Heute reicht es ja schon, wenn eine Zeitlang etwas mehr Flüchtlinge als üblich über die Grenzen nach Deutschland kommen. Schauen Sie sich die AfD nur an! Das Feindbild „Flüchtling“ bringt der Partei seit Jahren stetige Gewinne ein, das noch ältere Feindbild „Islam“ spielt dem noch weiter in die Hände. Bei Pegida kann man sogar beobachten, wie die Feindbildmacherei auf ganz neue Ebenen gehoben wird. Da sind es dann plötzlich nicht mehr nur die Flüchtlinge und Muslime, die uns und unsere Lebensart in Deutschland bedrohen. Plötzlich trägt die Kanzlerin persönlich Schuld an alledem und wird zum Teil der Verschwörung. Danke Merkel! Auch der Antisemitismus ist im Europa des 21. Jahrhunderts noch lange nicht tot und findet in neuer Gestalt weiterhin begeisterte Anhänger. Sogar in obersten Regierungskreisen! Die modernste Gestalt des jüdischen Feindbildes ist dabei wohl George Soros, seines Zeichens Milliardär, Philanthrop und internationaler Geldjude vom Dienst. In seinem Geburtsland Ungarn steht er durch das Orbán-Regime schon seit Jahren im Kreuzfeuer und wird für so ziemlich alles verantwortlich gemacht, was schiefläuft. Die von ihm gegründete Central European University wurde aus dem Land gedrängt, und letzten Endes war Soros sogar persönlich an der „Flüchtlingskrise“ schuld, da dieser Jude aus New York doch offensichtlich eine „Umvolkung“ Europas plant. Inzwischen erfreut sich dieses neue antisemitische Feindbild weltweiter Beliebtheit. Überall reden autokratische Geister über diesen Mann. Denn „George Soros“ – das darf man noch sagen. Vom „jüdischen Kapitalisten“ zu reden, kommt heute dagegen nicht mehr so gut an. Das haben inzwischen alle verstanden, von Mitgliedern der FPÖ, die Soros die Unterstützung von Umsturzplänen in Osteuropa andichten (in klassischer 1919er-Tradition) bis hin zu Donald Trump und seinem ehemaligen Chefpropagandisten


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