Geschichte meines Lebens. George Sand
Читать онлайн книгу.und dieser Gedanke allein betrübt mich. Aber ich hoffe mit irgend einer Ordre nach dem Departement der Indre geschickt zu werden, dann will ich Dich pflegen, Dich liebkosen und zum Lachen bringen. Dein Schmerz ist meine einzige Sorge; über alles Andere, was nur passiren könnte, lache ich und bin sicher es zu überwinden.“
Während unser Jäger den General Harville erwartend, an den Ufern des Rheins spazieren ging, konnte er nicht immer der Sehnsucht nach seiner Mutter Herr werden. „Die Ufer des Rheins erinnern mich an die Ufer der Seine bei Passy“, schrieb er am 9. brumaire, „und ich überrasche mich oft in tiefer Traurigkeit von Dir träumend — ich rufe Dich dann, wie in der Zeit, als wir so unglücklich waren.“ Er machte damals Bekanntschaft mit einem Adjutanten des Generals Jacobi, sie sprachen viel von Musik, musizirten zusammen und schlossen sich eng einander an. — Endlich kam der General Harville und wählte den Schützling Beurnoville's ohne Verzug zu seiner Ordonnanz; versprach ihm ein schönes, vollständig equipirtes Pferd sobald als möglich zu verschaffen; aber die Pferde waren damals rar und es ließ ziemlich lange auf sich warten.
Der General, der sich damals August Harville nannte, war der Graf von Harville und später Senator und Hofcavalier Josephinens. Vor der Revolution war er Generalmajor gewesen und diente dann unter Dumouriez. Bei der Schlacht von Jemappes hatte er sich etwas kalt und zaudernd gezeigt, wurde nach dem Verrathe seines Obern vor das Revolutionstribunal gefordert, hatte aber das Glück freigesprochen zu werden. Im späteren Verlauf seines Lebens erfreute er sich mehr der Gunst als des Ruhms. 1814 stimmte er für die Absetzung des Kaisers und wurde Pair von Frankreich. Er mochte vielleicht ein muthiger, galanter Mann sein, aber im Allgemeinen lassen Menschen, die jeder Sache gedient haben, kein warmes Andenken in den Herzen zurück; man kann ihrer Aufrichtigkeit zu allen Zeiten ein wenig mißtrauen. Der General war für Empfehlungen der Geburt sehr empfänglich und sein Adjutant und Verwandter, der junge Marquis von Caulaincourt, stachelte ihn bis zur Reaction gegen die revolutionären Ideen. Der aristokratische Charakter dieser zwei Personen ist in den Briefen meines Vaters sehr gut gezeichnet, und ich werde sie noch anführen, denn sie geben ein ziemlich originelles Gemälde von dem täglich wachsenden reactionären Geiste in der Armee — man wird finden, daß schon damals die durch die Revolution aufgestellten Gleichheitsrechte in der That durchaus nicht mehr existirten.
Vierzehnter Brief.
26. brumaire VII. (9. Novbr. 98) Köln.
„... Die Adjutanten des Generals, von denen einer der Bürger Caulaincourt ist, haben mich gestern zum Diner eingeladen. Die Mahlzeit war sehr heiter und freundschaftlich. Später gingen wir in das Zimmer des Generals, der die Rose am Beine hat, und ich bin wohl eine halbe Stunde mit ihm allein gewesen. Er sprach mit dem ungezwungenen Anstande und der Leutseligkeit eines Mannes der früheren Zeit — erkundigte sich, wie ich wohne und esse, und stellte tausend Fragen über meine Vergangenheit, meine Geburt und meine Verbindungen. Als er hörte, daß die Frau und Tochter des Generals von La Marlière den vergangenen Sommer bei Dir verlebten, daß die Tochter des Generals Guibert meinen Neffen geheirathet hat und daß Mad. Dupin von Chenonceaux die Frau meines Großvaters gewesen ist, wurde er immer gütiger, und ich sah wohl, daß dies Alles ihm nicht gleichgültig war. Hernach machte man Musik. Es waren auch viele elegante Herren und Damen aus Köln da, die für Deutsche keine schlechten Manieren hatten. Jeder fragte: „Wer ist denn dieser Jäger?“ denn es ist in Deutschland nicht Sitte, daß die Ordonnanzen in Gesellschaft der höheren Offiziere sind und diese Verletzung der Etikette machte sie ein wenig verwirrt. Ich lache darüber und gehe meinen Gang und das um so mehr, als nach der Musik eine köstliche Collation gereicht wurde, der ich alle Ehre anthat. — Dann kam Punsch, dann walzte man und endlich luden mich die Adjutanten ein mit denen des Platzkommandanten General Fréguier zu soupiren. Wir tranken Champagner, der uns über den Haufen warf, dann noch einmal Punsch — waren Alle etwas benebelt und trennten uns erst um Mitternacht.
„Du siehst, ich lebe wie ein Prinz, trotzdem ich nicht einen Kreuzer in der Tasche habe. Der Generalstab ist sehr gut zusammengesetzt. Die Adjutanten sind alle junge liebenswürdige Leute und der „Bürger“ Caulaincourt hat mir im Auftrage des Generals gesagt, daß ich in drei oder vier Monaten Offizier sein würde.
„Man schlägt sich noch immer mit den Rebellen herum und zwischen Mons und Brüssel sind mehrere Städte verbrannt worden. Köln ist ruhig ...“
„Sage meiner Bonne, daß hier mehrere Stellen als Marketenderin offen sind und daß ich ihr eine davon anbiete. Il Signor Fugantini-Deschartres umarme ich. — Schwatzt man in unserer Gegend noch immer dummes Zeug über meine Abwesenheit oder fängt man an zu glauben, daß ich nicht flüchtig, sondern Soldat bin? Gehen denn alle unsere guten Bauern fort? Fragen sie, wo ich bin? Es kommen hier eine Masse junger Mannschaften an; man zählt sie und rangirt sie ein wie Schafe. Alle Morgen steht die Straße des Generalstabes voll; Manche singen, Andere, die armen Burschen, haben die Augen voll Thränen. Ich möchte sie trösten und ihnen meine Heiterkeit geben können.“
„Gestern glaubte ich mich bei Dir in dem perlgrauen Boudoir, auf der Straße Roi de Sicile zu befinden — es ist merkwürdig, wie die Musik Erinnerungen herbeizaubert.— Dasselbe gilt von Gerüchen. Wenn ich Deine Briefe rieche, glaube ich immer in Deinem Zimmer in Nohant zu sein und das Herz hüpft mir vor Freude bei dem Gedanken, daß ich Dich das Pult von eingelegter Arbeit öffnen sehe, das so gut riecht und so ernste Erinnerungen der vergangenen Zeiten hervorruft.“ [Dieses Meubel von eingelegter Arbeit war dasselbe, von dem Deschartres und mein Vater im Jahre 93 die Siegel lösten, um die Papiere zu unterschlagen, welche meiner Großmutter das Todesurtheil gebracht haben würden. Ich besitze das Schränkchen mit den dreiundzwanzig Fächern noch immer und einige zeigen noch die Spuren des Siegellackes der Republik, Ich habe nicht gewußt, daß es dasselbe ist, bis ich das Protokoll und den eben mitgetheilten Brief meines Vaters fand. Auch die Meubel haben ihre Geschichte; wenn sie sprechen könnten, wie viel würden sie uns zu erzählen haben.]
„Als ich aus dem Theater kam, hat dieser Satan von gutem Kerl (mein Freund, der Sekretair) mich zum Abendessen geführt. Ich wollte keinen Wein trinken, weil er hier zu theuer ist und ich mich davon zu entwöhnen wünschte — seit sechs Tagen habe ich auch keinen Tropfen getrunken, aber als ich ihn auf dem tische stehen sah und von meinem Kameraden genöthigt wurde, konnte ich nicht widerstehen.“
Achtzehnter Brief.
Köln. 23. Frimaire VII (Decbr. 98).
„Wahrhaftig, liebe Mutter, wenn ich es wagte, würde ich mit Dir zanken, denn die Nachrichten von Dir bleiben aus und daran kann ich mich nicht gewöhnen. Eben durchwühlte ich wieder die Depeschen des Generals und kehre abermals traurig zurück. Vorgestern besuchte ich meinen braven Landsmann, Hauptmann Fleury [Der Vater meines Jugendfreundes.] mit einem andern Hauptmanne seines Regiments, Wir fuhren in einem Segelschiffchen den Rhein hinab bis Mühlheim und der Wind, der uns fast das Gesicht zerschnitt, trieb uns ausgezeichnet. Fleury gab ein sehr gutes Diner und das war mir nöthig, denn der Wind hatte mir einen echten Soldatenhunger gegeben. Der brave Mann empfing uns mit offenen Armen und wir haben von nichts gesprochen. als vom Berry. — Das Gefühl, welches man Vaterlandsliebe nennt, ist zweierlei Art. Es giebt eine Liebe für den heimathlichen Boden, die wir fühlen, sobald wir den Fuß auf fremde Erde setzen, wo uns nichts befriedigt, weder die Sprache noch die Gesichter, noch die Sitten noch die Charaktere. Darunter mischt sich eine gewisse nationelle Eigenliebe, die uns veranlaßt, zu Hause Alles besser und schöner zu finden, als bei Andern. Auch das militärische Gefühl kommt, Gott weiß warum, dazu. Aber mag es Kinderei sein oder nicht, ich fühle, daß ich es habe und ein Scherz über meine Uniform oder mein Regiment könnte mich eben so sehr in Zorn bringen, wie einen alten Soldaten die Spötterei über seinen Säbel und seinen Schnurrbart. — Außer dieser Anhänglichkeit an den vaterländischen Boden und diesen esprit de corps giebt es noch eine Vaterlandsliebe, die etwas Anderes ist und die sich nicht definiren läßt. Du, meine liebe Mutter, wirst sagen, das sei meist Chimäre, aber ich liebe mein Vaterland wie Tancred:
Mag es würdig sein oder nicht, ich weihe ihm mein Leben!
Fleury