Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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sich Dein armer Meier? Ziehen seine Kinder fort? Macht Vater Deschartres noch immer ausgezeichnete Curen? Reitet er mein Pferd? Fährt er fort, die Geige zu kratzen? — Sage meiner Bonne, daß, seit sie sich nicht mehr darum kümmert, meine Hemden durchaus nicht in glänzendem Zustande sind. Ihre Idee, die Wäsche zum Ausbessern hinzuschicken, ist vortrefflich. Das Porto würde mehr betragen, als die Hemden werth sind.

      „Vorgestern gab man einen großen Ball; der General war mit seinen Adjutanten anwesend. Ich begrüßte ihn, er war sehr freundlich und fragte, ob ich walzen könne. Sogleich beeilte ich mich, ihm einen Beweis dafür zu liefern und bemerkte, daß er mir mit den Augen folgte, und daß er, zufrieden lächelnd, mit seinen Adjutanten über mich sprach. Du liebst den Krieg nicht, liebe Mutter, und ich will nichts Schlimmes von dem alten Régime sagen, aber ich würde doch vorziehen, meine Probe statt auf dem Balle, auf dem Schlachtfelde abzulegen.

      „Du fragst, ob ich Caulaincourt bei Seite habe liegen lassen. Er ist, wie ich Dich versichere, durchaus nicht der Mann, den man übersehen darf, denn er macht Regen und Sonnenschein bei dem General. — Ich habe ihm immer alle gebührende Achtung und Aufmerksamkeit bezeigt, aber er ist ein origineller Mensch, der mir gerade nicht besonders gefällt. Einen Tag kommt er uns freundlich entgegen, den andern empfängt er uns ganz trocken. — Er sagt Artigkeiten à la Deschartres, schilt die Sekretaire aus wie Schulknaben und behält im gleichgültigsten Gespräche immer einen Ton, als belehre er alle Welt. Er ist die personifizirte Liebe zum Befehlen, und sagt uns in eben dem Tone, daß es kalt oder warm sei, in welchem er seinen Bedienten befiehlt, das Pferd zu satteln. — Ich liebe Durosnel, den andern Adjutanten, unendlich mehr, denn er ist wirklich liebenswürdig, gut und einfach in seinen Manieren. Er spricht freimüthig und freundschaftlich und hat keine Capricen. Gestern war er auch auf dem Balle und wir tanzten dem Range nach. Zuerst kam Bürger Caulaincourt, dann Durosnel, dann ich, so daß der erste und zweite Adjutant und die Ordonnanz ihre Rotation wie Planeten ausführten.

      „Alle Deine Betrachtungen über die Welt in Bezug auf meine Stellung sind sehr wahr, meine liebe Mutter. Ich werde sie mir merken und sie zu nutzen suchen. Dein Brief ist reizend und ich bin gewiß nicht der Erste, der Dir sagt, daß Du schreibst wie die Sevigné: aber Du hast mehr als sie von dem Unbestande alles Irdischen erfahren.“

       Achtes Kapitel.

       Fortsetzung der Briefe. — Schlittenfahrten. — Deutsche Baroninnen. — Die Stiftsdame. — Der Eisgang des Rheins.

       Dreiundzwanzigster Brief.

      Köln, 18. Nivose Jahr VII (Januar 1799).

      Der General ließ mich durch Caulaincourt zum Mittagsessen einladen; ich mußte von Jean Jacques Rousseau und meinen Erlebnissen mit Papa erzählen und der General hörte so aufmerksam zu, daß ich darüber den Kopf verloren hätte, wenn ich ein Pinsel wäre. Aber ich hütete mich wohl schwatzhaft zu werden und sagte nur das, wozu ich aufgefordert war. Nach Tisch stiegen der General und Herr Durosnel in einen prächtigen Schlitten, der einen grün-goldnen Drachen vorstellte und von zwei allerliebsten Pferden gezogen wurde; ich stieg mit Caulaincourt in einen andern Schlitten, und als mein Kamerad, der rothe Husar, mich mit dem General von Tisch kommen und wegfahren sah, machte er faustgroße Augen und glaubte wahrscheinlich zu träumen. Der General fuhr durch die ganze Stadt, um zu einer großen Schlittenfahrt einzuladen, die am folgenden Tage stattfinden sollte; ich mußte ihn bei allen Besuchen begleiten, endlich auch zu Frau von Herstadt, die er bat, ihre Tochter an der Fahrt theilnehmen zu lassen. Im Scherze warf er sich der Dame zu Füßen und sagte: Gnädige Frau, wollen Sie mich lange in dieser Stellung lassen, in Gegenwart meiner Adjutanten und meiner Ordonnanz, eines Enkels des Marschalls von Sachsen? Die Damen machten große Augen und begriffen wahrscheinlich nicht, warum ich nicht emigrirt bin.

      „Wir haben auch schöne Abonnements-Bälle, die von allen höhern Offizieren und der guten Gesellschaft des Landes besucht werden. Glaubst Du wohl, daß so eine Gans von deutscher Baronin, die ihre Töchter dorthin führt, meine Gegenwart übel vermerkt und ihren Töchtern verboten hat, mit mir zu tanzen? Ein Rittmeister, der bei ihr einquartirt ist, hat mir das erzählt und er war so wüthend darüber, daß er sogleich ausziehen wollte. Sein Zorn war komisch und ich mußte ihn zufrieden sprechen; habe ihn aber nicht verhindern können, gestern Abend allen französischen Offizieren einen Wink zu geben. Als ich nun mit meinem Quartiermeister und meinem Escadronchef, die mit mir gespeist hatten, auf dem Balle erschien, näherten sich uns einige Offiziere und sagten: „„Das Wort ist gegeben, der Eid ist geleistet!““

      „„Kein Franzose wird mit den Töchtern der Baronin ... tanzen und wir hoffen, daß auch Sie, meine Herren, sich dazu verpflichten werden.““ Ich frage warum — man antwortet mir, daß die Baronin ihren Töchtern verboten hat, mit Soldaten zu tanzen, und so erfahre ich, daß ich an der Verschwörung schuld bin.

      „Aber ich fühle mich versucht, der edlen Baronin zu danken, welche verlangt, daß die Ordonnanzen im Hofe warten, während die Offiziere auf dem Balle sind, denn dies hat mir von Fräulein … die liebenswürdigsten Worte, die zärtlichsten Blicke eingetragen, und wir stehen in einem Wechselverhältniß von Theilnahme und Dankbarkeit, das mich zu großen Hoffnungen berechtigt. Das Fräulein ist Stiftsdame, und so ziemlich Herrin ihres Thuns; sie ist reizend — und meiner Treu, wenn sich eine Stiftsdame des kurfürstlichen Kapitels nicht vor meinem Dolman scheut, kann ich der alten Baronin und ihren Eulen von Töchtern wohl Trotz bieten.“

      7. Pluviose Jahr VII.

      „Du weißt sicherlich schon, daß der Ehrenbreitstein übergeben ist. Der Rhein richtet hier verteufelte Verheerungen an und der Kölner Hafen ist gerade voll holländischer Kauffahrteischiffe. Anfänglich waren die Eisschollen dicht zusammengedrängt, dann trat eine Überschwemmung ein, welche dieselben bis an die erste Etage der Häuser am Hafen emportrug; darauf hat es abermals gefroren und endlich ist der Rhein in sein Bett zurückgekehrt. Da nun kein Wasser mehr unter der Eisdecke war, ist sie geborsten, und die Schiffe, die sich an die Häuser lehnten, sind aus einer Höhe von dreißig Fuß in den Hafen hinuntergefallen und zum größten Theil zerschmettert. Dies Ereigniß ist einzig in seiner Art und vielleicht noch nie da gewesen. Gestern war ich den ganzen Nachmittag auf einer Bastion am Rheine, um seine Bewegungen zu beobachten; ein Artillerie-Offizier, den ich sehr lieb habe und der dies erwiedert, war auch dabei; wir hatten einen Vierpfünder und bei jedem Stoß der Eismasse benachrichtigten wir die Mannschaft im Hafen durch einen Kanonenschuß. Dabei habe ich mich meiner Spiele in der rue du Roi de Sicile erinnert und habe jedesmal, wenn ich die Kanone abfeuerte, dasselbe Vergnügen empfunden. Du magst sagen, was Du willst, liebe Mutter, es giebt nichts Hübscheres als Getöse und ich wollte, ich könnte Dich wieder so wie sonst damit quälen! ... Aber ich werde jetzt zu Tische gerufen. Dabei wird gelacht, geschrien, das ist ein Lärm, daß man sein eigen Wort nicht mehr hört — doch, obwohl ich das Geräuschvolle liebe, wollte ich es gern entbehren, um mit Dir zu plaudern. Jetzt muß ich Dich eilig verlassen, zuvor aber umarme ich Dich so zärtlich, wie ich Dich liebe.

      Du wünschest den Frieden, meine gute Mutter, und ich zittre bei dem Gedanken, daß er geschlossen werden könnte. Der Krieg allein gewährt mir die Möglichkeit zu avanciren, und sobald er wieder ausbricht, kann ich leicht und auf ehrenvolle Weise Offizier werden. Wer sich in einem Treffen gut benimmt, kann sogar schon auf dem Schlachtfelde dazu ernannt werden. Welche Freude! welcher Ruhm! mein Herz schlägt schon bei dem Gedanken daran! und dann giebt es auch Urlaub und man kann glückliche Augenblicke in Nohant verleben, wo man für das Wenige, das man geleistet hat, herrlich belohnt wird.

      „... Man nennt sich hier nicht mehr „Bürger“ und „Bürgerin“ — unter den Kriegern wird das „Herr“ von Tag zu Tag gebräuchlicher und die Frauen sind immer „Damen“. Sag' zu Deschartres, daß er ein ... ist, so lange zu schlafen.

      „Leb wohl, meine gute Mutter, ich umarme Dich aus voller Seele.“


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