Geschichte meines Lebens. George Sand
Читать онлайн книгу.Manieren und eine unerschütterliche Ehrfurcht für das Königthum bewahrt. Später war er Postillon gewesen, und als ihn, nach der Revolution, meine Großmutter als Kutscher in ihren Dienst nahm, erhob sich eine kleine Schwierigkeit, weil Saint-Jean sich weigerte, einen Kutschbock zu besteigen und seine Jacke mit rothen Aufschlägen und silbernen Knöpfen abzulegen. Meine Großmutter, die keinem Menschen widerstrebte, fügte sich denn auch seinem Begehren und so hat er sie sein Leben lang als Postillon gefahren. Da er aber die Gewohnheit hatte, im Reiten zu schlafen, warf er sie häufig um — mit einem Worte, er bediente sie fünfundzwanzig Jahre lang auf die unerträglichste Weise, ohne daß es seiner unglaublich gütigen und geduldigen Herrin in den Sinn gekommen wäre, ihn fortzuschicken.
Wahrscheinlich nahm er die Neckereien meines Vaters wegen Einberufung der fünfzigjährigen Rekruten für baare Münze, und verheirathete sich zu dieser Zeit mit der Andelan, um sich den Anforderungen der Republik zu entziehen. Wenn man ihn zwanzig Jahre später fragte: ob er bei der Armee gewesen wäre, gab er zur Antwort: nein, aber ich wäre fast dazu gekommen! Als mein Vater nach dem italienischen Feldzuge und der Schlacht von Marengo zum ersten Male auf Urlaub kam, ergriff Saint-Jean, der ihn nicht erkannte, bei seinem Anblick die Flucht. Als er nun sah, daß sich der Fremde in die Zimmer meiner Großmutter begab, lief er zu Deschartres, um ihm zu sagen, daß ein fürchterlicher Soldat trotz seines Sträubens in das Haus gedrungen wäre, und daß die gnädige Frau sicherlich ermordet würde.
Trotz alledem hatte er seine guten Seiten. Als er einst wußte, daß meine Großmutter in Verlegenheit war und sich ängstigte, weil sie ihrem Sohne nicht gleich Geld senden konnte, brachte er ihr in höchster Freude seinen Jahreslohn, den er wunderbarer Weise noch nicht vertrunken hatte. Vielleicht war ihm derselbe erst am Tage zuvor ausgezahlt — aber es war sein eigner Einfall und für einen Trunkenbold ist das viel! Meinem Vater vergab er es auch, wenn er die Pferde etwas anstrengte; aber auf seine alten Tage wurde er unduldsamer, und wenn ich reiten wollte, mußte ich häufig selbst satteln und zäumen, oder ich mußte wohl gar im Schritt bis zum nächsten Dorfe reiten, um meinem Pferde das Hufeisen wieder aufschlagen zu lassen, das ihm Saint-Jean heimlich abgenommen hatte, um mich am Schnellreiten zu hindern.
Von meinem Vater hatte Saint-Jean ein Paar silberne Sporen erhalten; er verlor einen davon, weigerte sich beharrlich, ihn zu ersetzen und bediente sich für den Rest seiner Tage nur eines Sporns. Wenn ihn seine Frau zu einem Ritt ausrüstete, versäumte er niemals, ihr zu sagen: „Madame, vergeßt nicht, mir meinen silbernen Sporn anzuschnallen.“
Aber obwohl sie sich „Madame“ und „Monsieur“ zu nennen pflegten, verging nicht ein Tag in ihrer süßen Ehe, ohne daß sie sich geprügelt hätten, und endlich starb der Vater Saint-Jean so betrunken, wie er gelebt hatte.
Aus dem Vorrath meiner Briefe theile ich hier noch einige mit.
Köln, 19. Floréal.
„Du magst sagen, was Du willst, mein Mütterchen, ich rieche nicht nach dem Stalle; die Wartung meines Pferdes ist eine Kleinigkeit und es kommt ja auch nur darauf an, eine besondere Kleidung zu diesem Zwecke zu haben. Und, meiner Treu! wenn sich auch mal etwas von diesem Duft an unsre Person hängt, so zeigen doch unsre Schönen nicht, daß sie es bemerken — und jedenfalls müssen sie sich daran gewöhnen; wenn wir wirklich im Kriege wären, würden wir noch schlechter riechen. — Erlaube mir, Dir zu sagen, meine gute Mutter, daß Dein Vorschlag, mein Taschengeld zu erhöhen, damit ich mir einen Bedienten halten kann, mir gar nicht zusagt. Ich mag das nicht, weil Du nicht reich genug bist, ein solches Opfer zu bringen und dann, weil ein gemeiner Jäger, der sich die Stiefel putzen und sich von einem Bedienten aufwarten ließe, der Spott des ganzen Heeres würde. Wenn ich bei dem Gedanken, in meiner Lage einen Kammerdiener zu halten, gelacht habe, so ist mir Deine Sorgfalt doch sehr rührend erschienen — und wenn es Dich in Verzweiflung bringt, mich mit der Mistgabel und dem Striegel zu sehen, so will ich Dir zur Beruhigung sagen, daß ich, wenn ich Luft dazu hätte, mein Pferd für sechs Franks monatlich durch einen Stallknecht des Generals besorgen lassen könnte.
„Die Frauen sind dazu geschaffen, uns über alles Leid der Erde zu trösten; nur bei ihnen finden wir jene zarte, reizende Sorgfalt, deren Werth durch Anmuth und Gefühl noch erhöht wird. Du, meine liebe Mutter, hast mir diese Sorgfalt bewiesen, als ich bei Dir war, und jetzt machst Du meine Fehler wieder gut. Oh! wenn Dir alle Mütter glichen, wären Frieden und Glück nie aus den Familien verschwunden. Durch jeden Brief von Dir, durch jeden Tag, der verfließt, werden meine Liebe und Dankbarkeit für Dich erhöht. O nein, wir dürfen das schwache Wesen nicht verlassen — ich weiß auch, daß Du es nicht verlassen wirst. Wir wollen den schrecklichen Vorwurf der jungen Vögel nicht rechtfertigen, die im Gedicht den Menschen vorwerfen, daß sie ihre Kinder in's Findelhaus bringen, während die Vogelmutter ihre Brut versorgt.
„Deine Betrachtungen, meine liebe Mutter, haben mich tief gerührt; leider haben sie mich zu spät belehrt, und wenn Deine Güte bei dieser Gelegenheit nicht die unvorhergesehenen Folgen meiner Leidenschaft wieder gut gemacht hätte, bliebe mir nichts als schmerzliche, unfruchtbare Reue. Aber die Tugend lehren und üben, ist Dein Beruf und Deine Gewohnheit. Leb wohl, meine gute, meine vortreffliche und geliebte Mutter; ich werde zum General berufen und habe nur noch Zeit, Dich in Gedanken zu umarmen.
Moritz.“
Zur Erklärung dieses Briefes möge Folgendes dienen: ein junges Mädchen, das zur Dienerschaft meiner Großmutter gehörte, hatte einem schönen Knaben das Leben gegeben, der später der Gefährte meiner Kindheit und der Freund meiner Jugend wurde. Das hübsche Geschöpf war nicht der Verführung erlegen, sondern hatte sich, wie mein Vater, durch die Leidenschaft der Jugend hinreißen lassen. Meine Großmutter entfernte sie ohne Vorwürfe, sorgte für ihren Lebensunterhalt, behielt das Kind und ließ es erziehen.
Der Kleine wurde zuerst einer sehr reinlichen Bauerfrau, die fast Thür an Thür mit uns wohnt, zur Pflege übergeben. Wir sehen aus den spätem Briefen meines Vaters, daß er durch seine Mutter Nachrichten über dies Kind erhält, und daß sie sich, um es zu bezeichnen, einer verblümten Redeweise bedienen und vom „kleinen Hause“ schreiben. Mit den „kleinen Häusern“ wollüstiger Edelleute aus der guten alten Zeit, war hier freilich keine Aehnlichkeit zu finden. Wenn auch von einem kleinen, ländlichen Hause die Rede war, so fanden dort doch keine andern Rendezvous statt, als zwischen einer zärtlichen Großmutter, einer rechtschaffenen Amme vom Lande und einem guten, dicken Kinde, das man nicht im Waisenhause lassen wollte und das mit derselben Sorgfalt erzogen werden soll, wie ein rechtmäßiger Sohn. Die Verirrung des Augenblickes sollte durch die Sorgsamkeit des ganzen Lebens gesühnt werden.
Meine Großmutter hatte Jean Jacques gelesen, sie liebte ihn und wußte seine Wahrheiten wie seine Irrthümer zu nützen; denn wer sich eines schlechten Beispiels bedient, um ein gutes zu geben, läßt das Böse sogar dem Guten zum Vortheil dienen.
Siebenunddreißigster Brief.
Köln, 19. Prairial. Jahr VII. (Juni 99).
„Beruhige Dich, meine gute Mutter, der General hat seinen Abschied nicht eingereicht. Es ist seine Gewohnheit jährlich einen oder zwei Monate auf seinen Gütern zuzubringen und er verliert mich deshalb nicht aus den Augen. Er hat eben sehr freundlich mit mir gesprochen, um mir zu sagen, daß ich mich zum Depot begeben müßte; daß dies nöthig wäre, damit ich die Evolutionen der Kavalerie gehörig kennen lerne und daß dies nicht lange dauern würde, da er sowohl als Beurnoville und Beaumont beim Directorium um Beförderung für mich nachgesucht hätten. Er sagte auch, daß er wüßte, wie ungern Du mich in der Garnison sehen würdest, daß dies aber das einzige Mittel für mich wäre, unter seinen Augen zu bleiben, was doch andererseits wieder Dein Wunsch ist. Das Depot ist nämlich in Thionville und der General geht nach Metz oder in die Umgegend. Das Geld, das ich zur Reise brauche, wird er mir leihen; also ängstige Dich nicht, betrübe Dich nicht. Mir wird es überall gut gehen, wenn ich weiß, daß Du zufrieden bist. Bedenke, daß, wenn Du Dich unglücklich machst, ich es auch sein muß, und wäre ich auf dem Gipfel des Reichthums und im Schooße des Genusses. Eines schönen Tages wirst Du mich als Offizier ankommen sehen, vom Kopf bis zu den Füßen mit Tressen besetzt, und dann werden sich die Herren Potentaten von la Châtre