Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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von dem Betragen, dem Charakter und dem Talent dieser jungen Schauspielerin redet, geht er auf Einzelnheiten von so zarter Natur ein, daß dadurch das Gefühl der Tochter nothwendig leiden mußte. Diese schrieb darum an meinen Vater, um ihn aufzufordern, das Mögliche zu thun, diesen Abschnitt aus den spätern Auflagen zu streichen. Der Onkel Beaumont wurde zu Rath gezogen; er war bei der Sache in gleicher Weise interessirt, denn Marmontel erzählt bei dieser Gelegenheit, wie er die Veranlassung gewesen ist, daß der Marschall von Sachsen dem Fräulein von Verrières die Pension von 12,000 Livres entzog, welche er ihr und ihrer Tochter ausgesetzt hatte; aber daß diese schöne Frau durch den Fürsten von Türenne dafür entschädigt wurde, nachdem Marmontel das Versprechen gegeben hatte, mit ihr zu brechen. Nun war aber, wie ich schon gesagt habe, der Onkel Beaumont ein Sohn des Fräuleins von Verrières und dieses Fürsten Türenne, Herzogs von Bouillon; aber er nahm die Sache nicht so ernst.

      „Beaumont versichert,“ schrieb mein Vater an meine Großmutter, „daß dies nicht so viel Kummer verdient, wie Du Dir darüber machst. Vor allen Dingen sind wir, so viel ich weiß, nicht reich genug, um die erste Ausgabe anzukaufen und zu erwirken, daß die zweite verändert wird. Wären wir aber im Stande dies zu thun, so gäbe dies den verkauften Exemplaren nur um so größern Reiz, und früher oder später könnten wir es doch nicht hindern, daß man eine neue Auflage nach der ersten veranstaltete. Würden außerdem die Erben Marmontel's auf unsern Vertrag mit den Buchhändlern eingehen? ich zweifle daran, und wir sind auch nicht mehr in den Zeiten, wo man mit Versprechungen oder Drohungen, oder durch geheime Verhaftsbefehle gegen die Freiheit der Schrift einschreiten konnte. Man darf die „schuftigen“ Schriftsteller und Drucker nicht mehr mit Stockprügeln zurechtweisen — und meine gute Mutter, die schon zu jener Zeit zur Partei der Encyclopädisten und der Philosophen gehörte, kann es nicht unrecht finden, daß unsre Sitten und Gesetze anders geworden sind. Ich begreife vollkommen, wie sehr es Dich schmerzt, daß so leichtsinnig von Deiner Mutter gesprochen wird — aber wie kann das Dein Leben berühren, das immer so streng, oder Deinen Ruf, der immer so rein war? Was mich betrifft, so kümmert es mich sehr wenig, ob man im Publikum erfährt, was ein Theil der Gesellschaft schon längst von meiner Großmutter mütterlicher Seite wußte. Ich sehe aus den fraglichen Memoiren, daß sie eine liebenswürdige, sanfte Frau war, ohne Intriguen, ohne Ehrgeiz und die in Betracht ihrer Verhältnisse ein gutes, vernünftiges Leben führte. Es ist ihr gegangen wie so vielen Andern! Die Verhältnisse haben ihre Fehler hervorgebracht, aber wegen ihres sanften, liebenswürdigen Wesens hat man diese ertragen. Dies ist der Eindruck, welchen die Zeilen, die Dich so furchtbar quälen, in mir hervorgebracht haben und Du kannst versichert sein, daß das Publikum nicht strenger ist als ich.“

      Hiermit endigen die Briefe meines Vaters an seine Mutter; ohne Zweifel schrieb er ihr noch oft während der vier letzten Jahre seines Lebens, und während der häufigen Trennungen, welche der Wiederausbruch des Krieges verursachte. Aber diese Correspondenz ist verschwunden, warum und auf welche Weise, ist mir unbekannt. Bei der Fortsetzung der Geschichte meines Vaters kann ich nun also nichts mehr zu Rathe ziehen, als seine Dienstlisten, einige Briefe an seine Frau und die unbestimmten Erinnerungen meiner Kindheit.

      Im Lauf des Ventose begab sich meine Großmutter nach Paris, in der Absicht, die Ehe ihres Sohnes zu trennen; sie hoffte sogar seine Einwilligung dazu zu erlangen, denn sie hatte ihn niemals ihren Thränen widerstehen sehen. Sie kam ohne sein Wissen nach Paris, denn sie hatte ihm den Tag ihrer Abreise nicht gemeldet und ließ ihn auch nicht, wie sie früher gewohnt war, von ihrer Ankunft benachrichtigen. Sie ging zuerst zu Herrn Desèze, den sie über die Gültigkeit der Ehe zu Rath zog. Herrn Desèze erschien dieser Fall eben so neu wie die Gesetzgebung, durch welche er möglich geworden war. Er berief zwei andere berühmte Advokaten, und das Ergebniß ihrer Berathung war, daß zwar Grund zu einem Processe vorläge — denn in allen Dingen dieser Welt ist jederzeit Grund zu Processen vorhanden — daß man aber neun gegen eins wetten könnte, die Heirath von den Gerichten bestätigt zu sehen; daß mein Geburtsschein meine Legitimität feststellte, und daß es im Fall einer Trennung der Ehe unfehlbar die Absicht und die Pflicht meines Vaters sein müßte, die nöthigen Formalitäten zu erfüllen, um mit der Mutter des Kindes, das er legitimiren wollte, eine neue Ehe zu schließen.

      Meine Großmutter hatte vielleicht nie die ernstliche Absicht gehabt, gerichtlich gegen ihren Sohn einzuschreiten, und hätte sie auch diesen Plan gefaßt, so würde ihr der Muth der Ausführung gefehlt haben. Wahrscheinlich wurde sie von der Hälfte ihres Schmerzes befreit, als sie ihre feindseligen Versuche einstellte, denn wir verdoppeln unser Leid, wenn wir unsre Lieben mit Härte behandeln. Sie wollte indessen noch einige Tage vergehen lassen, ohne ihren Sohn zu sehen, vielleicht um das Widerstreben ihres Sinnes zu besiegen oder um neue Erkundigungen über die Schwiegertochter einzuziehen. Aber mein Vater entdeckte ihren Aufenthalt in Paris; er begriff, daß sie Alles erfahren haben mußte und übertrug es mir, seine Sache zu führen. Er nahm mich in seine Arme, stieg in einen Fiaker, hielt vor dem Hause, wo meine Großmutter abgestiegen war, gewann mit wenigen Worten das Wohlwollen der Pförtnerin und übergab mich dieser Frau, die sich in folgender Weise ihres Auftrages entledigte:

      Sie begab sich in die Wohnung meiner Großmutter und verlangte unter irgend einem Vorwande mit ihr zu sprechen. Als sie vorgelassen war, sagte sie ihr, ich weiß nicht was, unterbrach sich aber plötzlich in ihren Plaudereien, um zu bemerken: „Sehen Sie mal, Madame, welche hübsches kleines Mädchen ich hier habe. Ich bin ihre Großmutter; ihre Amme hat sie mir heute gebracht und ich bin so glücklich darüber, daß ich mich keinen Augenblick von ihr trennen kann.“

      „Ja, sie ist sehr frisch und kräftig.“ sagte meine Großmutter, indem sie ihre Bonbonnière suchte; sogleich legte mich die gute Frau, die ihre Rolle vortrefflich spielte, auf den Schooß der Großmutter, die mir Süßigkeiten reichte und anfing mich mit Erstaunen und einer gewissen Bewegung zu betrachten. Plötzlich stieß sie mich zurück und rief: „Sie täuschen mich, dies Kind gehört nicht Ihnen! Es sieht Ihnen nicht ähnlich — ich weiß, ich weiß, was es ist!“

      Es scheint, daß ich, erschreckt über die Bewegung, die mich von dem mütterlichen Schooße entfernte, anfing, nicht zu schreien, sondern wirkliche Thränen zu vergießen, die bedeutenden Eindruck machten. „Komm, mein guter, kleiner Liebling,“ sagte die Pförtnerin, indem sie mich wieder hinnahm; „man will Dich nicht haben, wir gehen fort!“

      Meine gute Großmutter war besiegt: „Geben Sie mir die Kleine wieder,“ sagte sie; „das arme Kind! ihre Schuld ist es ja nicht! aber wer hat sie hergebracht?“— „Ihr Herr Sohn selbst, Madame; er wartet unten und ich will ihm seine Tochter wieder bringen. Verzeihen Sie, wenn ich Sie beleidigt habe, aber ich, ich wußte nichts! ich weiß nichts! Ich dachte Ihnen eine Freude zu bereiten — eine schöne Ueberlaschung ...“ „Gehen Sie, gehen Sie, meine Liebe, ich zürne Ihnen nicht,“ sagte meine Großmutter: „holen Sie meinen Sohn und lassen Sie mir das Kind.“

      Mein Vater sprang die Treppe in großen Sätzen herauf, fand mich auf dem Schooße, in den Armen meiner Großmutter, welche sich weinend bemühte, mich zum Lachen zu bringen. Man hat mir nicht erzählt, was zwischen den Beiden vorging, und da ich erst acht oder neun Monate alt war, ist es wahrscheinlich, daß ich nichts davon verstand. Eben so wahrscheinlich ist es, daß sie miteinander weinten und sich dann um so inniger liebten. Meine Mutter, welche mir dies erste Abenteuer meines Lebens mittheilte, hat mir gesagt, daß ich, als mich der Vater zu ihr zurückbrachte, einen schönen Ring mit einem großen Rubin in den Händen hielt; meine Großmutter hatte ihn sich vom Finger gezogen, hatte mir aufgetragen, ihn meiner Mutter anzustecken, und mein Vater sorgte dafür, daß ich dies pünktlich vollführte.

      Es verging indessen noch einige Zeit, ehe meine Großmutter einwilligte, ihre Schwiegertochter zu sehen; aber schon verbreitete sich das Gerücht, daß mein Vater eine unpassende Verbindung geschlossen hätte und ihre Weigerung, meine Mutter zu empfangen, mußte nothwendigerweise zu nachtheiligen Folgerungen über dieselbe und also auch über meinen Vater Anlaß geben. Meine Großmutter erschrak über den Schaden, der aus ihrem Widerwillen entstehen konnte; sie empfing die zitternde Sophie und wurde durch ihre naive Unterwürfigkeit, durch ihre zärtlichen Liebkosungen vollständig entwaffnet. Die kirchliche Trauung wurde im Beisein meiner Großmutter gefeiert, und darauf besiegelte ein Familiendiner die Anerkennung meiner Mutter, sowie die meinige.

      Ich


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