Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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hat. Hier ist das meinige: Augen schwarz, Haare schwarz, Stirn gewöhnlich, Gesichtsfarbe blaß, Nase wohlgeformt, Kinn rund, Mund mittel, Größe vier Fuß zehn Zoll. Besondere Kennzeichen, keine.

      Aber gerade bei dieser Gelegenheit muß ich einen seltsamen Umstand erwähnen, nämlich, daß ich erst seit zwei oder drei Jahren gewiß weiß, wer ich bin. Ich weiß nicht, welche Gründe oder welche Einbildungen mehrere Personen — die behaupteten, bei meiner Geburt gegenwärtig gewesen zu sein — veranlaßten mir zu sagen, man habe mir nicht mein wirkliches Alter beigelegt, und zwar aus Gründen, die sich bei einer heimlichen Ehe leicht errathen lassen. Nach dieser Lesart würde ich 1802 oder 1803 in Madrid geboren sein, und der Geburtsschein mit meinem Namen wäre also der eines andern seitdem geborenen und kurz nachher wieder verstorbenen Kindes. Und diese Erzählung, mit der man mich irre führte, war nicht so unwahrscheinlich, als man glauben könnte, da die Register zu jener Zeit noch nicht mit der strengen Pünktlichkeit geführt wurden, die sie jetzt durch die neue Gesetzgebung erhalten haben, und da bei der Heirath meines Vaters in Wahrheit eigenthümliche Unregelmäßigkeiten vorgekommen waren, die jetzt unmöglich noch vorkommen könnten und von denen ich bald sprechen werde. Als man mir die Entdeckung machte, fügte man hinzu, daß meine Verwandten mir die Wahrheit über diesen Punkt nicht sagen würden — ich vermied deshalb sie zu fragen und blieb in dem Glauben, daß ich in Madrid geboren und ein oder zwei Jahr älter sei, als man angenommen hatte. Zu jener Zeit las ich die Correspondenz meines Vaters mit meiner Großmutter in Eile durch, und ein unrichtig datirter und irriger Weise der Sammlung von 1803 beigefügter Brief bestärkte mich in meinem Irrthume. Dieser Brief, den man an seinem richtigen Platze finden wird, machte mich nicht mehr irre, als ich die Correspondenz, um sie zu übertragen, einer genaueren Prüfung unterwarf; und endlich erhielt ich Gewißheit über meine Identität durch den Zusammenhang von Briefen, die ich bis dahin nicht geordnet und nicht gelesen hatte, die ohne Interesse für den Leser, aber von großer Wichtigkeit für mich sind, da sie diesen Punkt feststellen. Ich bin also wirklich zu Paris am 5. Juli 1804 geboren, ich bin mit einem Worte ich selbst, und das ist mir sehr angenehm, denn es hat immer etwas Störendes, in Zweifel über seinen Namen, sein Alter und sein Vaterland zu sein. Länger als zehn Jahre habe ich diese Zweifel ertragen, ohne zu wissen, daß sich in einem alten, noch nicht untersuchten Schranke die Mittel befanden, sie gänzlich zu zerstreuen. Es ist wahr, daß ich in dieser Sache die Unthätigkeit zeigte, die mir in allen mich persönlich betreffenden Angelegenheiten eigen ist, und ich hätte wohl sterben können, ohne zu wissen, ob ich in eigener Person oder an der Stelle einer andern gelebt habe, wenn mir nicht die Idee gekommen wäre, über mein Leben zu schreiben und zu diesem Zwecke seinen Anfang zu ergründen.

      Mein Vater hatte sich in Boulogne-sur-Mer aufbieten lassen und schloß die Heirath in Paris ohne Vorwissen seiner Mutter. Dies würde jetzt nicht möglich sein, aber damals war es möglich, Dank der Unordnung und Unsicherheit, welche die Revolution in alle Verhältnisse gebracht hatte. Das neue Gesetzbuch ließ noch einige Möglichkeit die Einwilligung der Eltern zu umgehen, und der Fall der „Abwesenheit“ war in Folge der Emigration leicht unterzuschieben und wurde oft gebraucht. Es war damals ein Moment des Ueberganges von der alten Gesellschaft zur neuen, und das Räderwerk der letzteren wollte noch nicht recht in den Gang kommen. — Weitere Einzelheiten will ich nicht angeben, obgleich mir die betreffenden Papiere vorliegen, um den Leser nicht mit trockenen Rechtsfragen zu langweilen. Gewiß ist, daß man einige Formalitäten, die jetzt unentbehrlich wären, die man damals aber nicht für unbedingt nöthig hielt, gar nicht oder nur ungenügend erfüllt hatte.

      Meine Mutter war ein lebendiges Beispiel dieser Uebergangsperiode. Alles, was sie von dem Civil-Akte ihrer Heirath begriffen hatte, war, daß er die Legitimität meiner Geburt sicherte.

      Sie war fromm und blieb es immer, ohne sich der Frömmelei zu ergeben — und was sie als Kind geglaubt hatte, glaubte sie so lange sie lebte, aber sie kümmerte sich nicht um die bürgerlichen Gesetze und dachte nicht daran, daß ein Akt des Municipal-Beamten ein Sakrament ersetzen könnte. Sie machte sich also auch keine großen Skrupel wegen der Unregelmäßigkeiten, welche die Schließung der Civil-Ehe erleichterten, aber sie trieb dieselben soweit, als es sich um die kirchliche Trauung handelte, daß meine Großmutter derselben, trotz ihrer Abneigung, beiwohnen mußte. Aber das fand später statt, wie ich erzählen werde.

      Bis dahin hielt sich meine Mutter nicht für die Mitschuldige einer rebellischen Handlung gegen die Mutter ihres Mannes, und wenn man ihr sagte, Madame Dupin sei sehr aufgebracht gegen sie, so pflegte sie zu antworten:

      „— Wirklich, das ist sehr ungerecht — sie kennt mich noch nicht; sagen Sie ihr doch, daß ich mich, ohne ihre Einwilligung, nicht mit ihrem Sohne in der Kirche trauen lassen werde.“

      Mein Vater sah wohl, daß er dieses naive und zugleich achtungswerthe Vorurtheil niemals besiegen würde, das im Grunde auf wahrem Glauben beruhte, denn wenn man Gott nicht leugnet, muß man auch wünschen, daß der Gedanke an ihn eine heilige Handlung begleite, wie die Schließung eines Ehebundes ist. Er wünschte dringend den seinigen durch die Kirche weihen zu lassen, denn bis dahin fürchtete er noch immer, daß Sophie sich nicht durch ihr Gewissen gebunden halten und Alles wieder in Frage ziehen würde. Er zweifelte nicht an ihr — er konnte nicht an ihrer Zuneigung und Treue zweifeln, aber sie hatte Anfälle eines entsetzlichen Stolzes, wenn er sie den Widerstand seiner Mutter merken ließ. Sie sprach dann von nichts Geringerem, als fort zu gehen und mit ihren Kindern von ihrer Hände Arbeit zu leben, um zu beweisen, daß sie weder Almosen noch Verzeihung von dieser hochmüthigen „großen Dame“ verlange, von der sie sich einen sehr falschen und schrecklichen Begriff machte.

      Wenn Moritz sie überreden wollte, daß ihre Ehe unauflöslich sei und daß seine Mutter früher oder später doch ihre Einwilligung geben würde, entgegnete sie: „O nein, Euere Civil-Ehe hat nichts zu bedeuten, denn sie läßt die Scheidung zu, welche die Kirche nicht erlaubt, also sind wir nicht verheirathet und Deine Mutter hat mir nichts vorzuwerfen. Es genügt mir, Das Schicksal meiner Tochter (ich war damals schon geboren) gesichert zu sehen — für mich verlange ich nichts von Dir; und habe vor Niemand zu erröthen.“

      Die Gesellschaft stimmte mit diesem einfachen und kräftigen Raisonnement nicht überein, das ist wahr, und sie würde jetzt, wo sie auf ihrer neuen Basis feststeht, noch weniger damit übereinstimmen, aber zu der Zeit, in der diese Dinge vorgingen, hatte man schon so viele Erschütterungen und so viel Unglaubliches gesehen, daß man nicht gewiß wußte, auf welches Terrain man den Fuß setzte. Meine Mutter hatte die Meinung des Volkes über alles das. Sie beurtheilte weder die Ursachen noch die Folgen der neuen Grundlage der revolutionären Gesellschaft. „Alles wird sich noch ändern ,“ sagte sie. „Ich habe Zeiten erlebt, wo es keine andere als die durch die Kirche geschlossene Ehe gab — plötzlich behauptete man, diese tauge nichts und solle nicht mehr gelten, und man erfand dann eine andere, die nicht bestehen wird und auf die man nichts geben kann.“

      Sie hat bestanden, aber sie ist wesentlich verändert worden. Die Ehe-Scheidung ist erlaubt gewesen, dann abgeschafft worden und jetzt spricht man davon, sie wieder einzusetzen. [Ich schreibe das am 2. Juni 1848 und weiß noch nicht, wie die Lösung des Projektes sein wird, welches der National-Versammlung durch den Minister Crémieux vorgelegt ist.] Man hätte keinen ungünstigeren Moment zur Besprechung einer so ernsten Frage wählen können, und obgleich ich über diesen Punkt zu festen Ansichten gekommen bin, würde ich doch, wenn ich bei der National-Versammlung wäre, verlangen, daß man zur Tagesordnung überginge. Man kann das Schicksal und die Religion der Familie nicht in einem Augenblicke ordnen, wo die Gesellschaft sich in einem Zustande moralischer Verwirrung, um nicht zu sagen Anarchie, befindet. Und dann, wenn man die Frage zur Verhandlung bringt, werden die kirchlichen und bürgerlichen Ideen auf's Neue in Streit gerathen, statt nach der Einheit zu streben, ohne die das Gesetz keinen Sinn hat und seinen Zweck nicht erreicht. Wird die Ehe-Scheidung verworfen, so heiligt man einen Zustand der Dinge, welcher der öffentlichen Moral widerstrebt — wird sie angenommen, so wird dies in einer Weise und unter Umständen geschehen, daß sie die Moral nicht fördert und den religiösen Bund der Familie nur noch mehr lockert. Ich werde meine Ansicht aussprechen, wenn es nöthig ist, und kehre jetzt zu meiner Geschichte zurück.

      Als ich geboren wurde, zählte mein Vater sechsundzwanzig, meine Mutter dreißig Jahre. Meine Mutter hatte niemals Jean Jacques Rousseau


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