Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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meiner eignen Geschichte zu bringen, muß ich die meines Vaters verfolgen, dessen Briefe mir als Wegweiser dienen, denn man kann sich leicht denken, daß meine eignen Erinnerungen sich nicht bis zum Jahre XII zurückerstrecken.

      Mein Vater brachte, wie ich schon früher mittheilte, nach seiner Verheirathung vierzehn Tage in Nohant zu, ohne daß es ihm möglich war, seiner Mutter das Geständniß zu machen. Er kehrte unter dem Vorwande, sich um das ewige Hauptmannspatent, das nicht ankommen wollte, zu bemühen, nach Paris zurück und fand alle seine Bekannten und Verwandten von der neuen Monarchie sehr wohl aufgenommen. Caulaincourt war Oberstallmeister des Kaisers; der General von Harville Oberstallmeister der Kaiserin Josephine; der gute Neffe René Kammerherr des Prinzen Louis; seine Frau Gesellschaftsdame der Prinzessin u.s.w. Die letztere überreichte Madame Murat einen Bericht über die Dienste meines Vaters, den Mad. Murat in ihr Mieder steckte. Mein Vater schrieb darüber am 12. prairial im Jahre XII: „Die Zeiten sind wiedergekommen, wo die Damen über Rang und Würden verfügen und wo das Mieder einer Prinzessin mehr verspricht, als das Schlachtfeld. Mag es sein! Ich hoffe, mich von diesem Mieder rein zu waschen, wenn es wieder Krieg giebt und meinem Vaterlande für das zu danken, was es mich auf eine unrechte Weise zu erlangen zwingt.“ Dann fährt er, auf seine persönlichen Unannehmlichkeiten kommend, fort: „Man bringt mir in diesem Augenblicke einen Brief von Dir, meine gute Mutter, durch den Du mich betrübst, indem Du Dich betrübst. Du behauptest, ich sei, als ich bei Dir war, sorgenvoll gewesen und habe mir Worte der Ungeduld entschlüpfen lassen. Aber habe ich denn je auch nur in Gedanken ein solches Wort an Dich gerichtet? Ich würde lieber sterben, als dies thun. — Du weißt wohl, daß diese Worte nur die Entgegnung auf Deschartres' verletzende und unzeitige Predigten waren. Niemals noch, wenn ich bei Dir gewesen bin, habe ich mit Ungeduld nach dem Tage verlangt, der mich von Dir entfernen sollte. Ach, wie grausam dies Alles ist — wie ich dabei leide! Ich kehre bald zu Dir zurück, um Dich nach Beweisgründen für Deinen Brief zu fragen, böse Mutter, die ich so sehr liebe!“

      Am 12. messidor wurde ich geboren, meine Großmutter wußte nichts davon. Am 16. schrieb ihr mein Vater über ganz andere Dinge.

      Moritz an seine Mutter in Nohant.

      Pans, 16. messidor XII.

      „Deinen liebenswürdigen Brief für Lacuée habe ich erhalten und denselben persönlich zu ihm getragen. Er war in Saint-Cloud, ich bin gestern zurückgekehrt und habe ihn gesprochen. Mein Gesuch liegt auf dem Kriegsbureau; es soll nächste Woche dem Kaiser vorgelegt werden, und man hat mich in die Avancementsliste eingetragen.

      Nach einer andern Seite hin bahnt sich unsere Familie ihren Weg. Herr von Ségur ist zum Groß-Würdenträger des Kaiserreiches und zum Ober-Ceremonienmeister mit 100,000 Frcs. Gehalt ernannt worden; 40,0000 Frcs. erhält er außerdem als Staatsrath. René tritt mit einem großen, goldgestickten Schlüssel auf dem Rücken in seine Funktion. — Der Prinz soll jetzt eine Garde erhalten und Appoline verspricht mir eine Compagnie davon. Der Prinz wird Groß-Connetable. Ich reibe mir dir Augen, um mich zu versichern, daß ich nicht träume, aber ich kann sie schließen wie ich will, der Ehrgeiz kommt nicht und ich fühle mich immer nur getheilt zwischen dem Wunsche, in den Krieg zu gehen und dem, bei Dir zu leben. Einen glänzenderen Ehrgeiz habe ich nicht und der Anderer macht auf mich immer einen komischen Eindruck. Indessen freue ich mich über das Glück derer, die ich liebe, denn ich bin nicht eifersüchtig. Mein Glück würde nicht auf diese Weise zu erreichen sein. Ich würde Thätigkeit und Ehre wünschen oder etwas Behaglichkeit und häusliches Glück. Wenn ich Hauptmann wäre, könntest Du hierher kommen — ich hätte dann die Mittel, ein gutes Kabriolet anzuschaffen, um Dich spazieren zu fahren; ich würde Dich pflegen, Dich alle Traurigkeit vergessen machen, und da Deschartres nicht hier ist, würden wir glücklich sein wie ehemals, davon bin ich überzeugt. — Ich liebe Dich so sehr, daß Du es, was Du auch dagegen sagen magst, endlich doch wirst glauben müssen. Dein, letzter Brief ist so gut, wie Du bist und in meiner Freude habe ich ihn aller Welt gezeigt. [Das heißt Sophien.] Schilt nicht darüber. Ich umarme Dich von ganzer Seele.

      „Beaumont hat ein Melodrama für das Theater an der Porte-Saint-Martin gemacht. Es ist nicht gut, aber das ist auch nicht nöthig, um Erfolg zu haben — und überdies unterhält es sehr. [Das Schicksal des Melodrams von meinem Großonkel ist mir unbekannt geblieben, ich weiß selbst den Titel nicht.]

      „Die Reise des Kaisers veranlaßt mich, das Projekt, sogleich zu Dir zurückzukehren, bis auf den Monat September zu verschieben; dann aber will ich Weinlese bei Dir halten und wenn Deschartres noch den Prediger spielt, werde ich ihn in seine Bütte stecken.“

      Mein Vater bekam zu jener Zeit das Scharlachfieber und René schrieb während der Krankheit an meine Großmutter, um sie zu beruhigen; dabei beging er eine unfreiwillige Indiskretion in Bezug auf meine Geburt, von der er sie unterrichtet glaubte. Von der Heirath ist in diesem Briefe nicht die Rede und ich glaube nicht, daß man ihn in's Vertrauen gezogen hatte, aber er schrieb es der dauernden Zuneigung für Sophie zu, daß mein Vater bei den Bemühungen für sein Avancement so geringe Erfolge hatte. Das scheint mir indessen nicht bewiesen, denn mein Vater war von der allgemeinen Ungnade des Generalstabes mit betroffen, und wenn es wahr ist, daß er es durch beharrliche Aufdringlichkeit und andere Schritte hätte dahin bringen können, eine Ausnahme zu seinen Gunsten zu erlangen, so bin ich ihm nicht böse, daß er zu ungeschickt war, auf diese Weise Erfolge zu erreichen. Aber meine Großmutter, erschreckt und aufgebracht durch die Einflüsterungen, zu denen das zärtlichste Interesse Herrn von Villeneuve veranlaßt hatte, schrieb einen ziemlich bittern Brief an ihren Sohn, der diesem einen neuen Fieberanfall zuzog. Die Antwort ist voll Zärtlichkeit und Schmerz.

      10. fructidor (August 1804).

      „Ich bin, wie Du, meine gute Mutter, sagst, ein Undankbarer und ein Narr. Ein Undankbarer war ich niemals! Narr werde ich vielleicht, krank an Leib und Seele, wie ich jetzt bin. Dein Brief hat mir mehr Schmerz bereitet, als die Antwort des Ministers, denn Du klagst mich wegen meines Mißgeschickes an und willst, daß ich Wunder thue, um es zu beschwören. Ich kann nicht auf Schleichwegen gehen und Intriguen anspinnen und das ist Deine eigne Schuld, denn Du hast mich frühzeitig die Höflinge zu verachten gelehrt. Wenn Du nicht schon seit mehreren Jahren fern von Paris und von der Welt zurückgezogen lebtest, würdest Du wissen, daß das neue Regime in dieser Beziehung schlimmer, als das alte ist, und würdest mir kein Verbrechen daraus machen, daß ich mir selbst treu geblieben bin. Wenn der Krieg länger gedauert hätte, so glaube ich, daß ich mir einen Rang erobert haben würde, aber da man ihn jetzt in der Antichambre gewinnen muß, so gestehe ich, daß ich in diesen Verhältnissen keine glänzenden Feldzüge geltend zu machen habe. Du wirfst mir vor, daß ich niemals mit Dir über meine innern Zustände spreche — aber Du hast es ja selbst nicht gewollt; denn ist es wohl möglich, da Du mich beim ersten Worte beschuldigst, ein schlechter Sohn zu sein! Ich bin genöthigt zu schweigen, denn ich habe Dir nur eine Antwort zu geben, die Dich nicht zufrieden stellt, nämlich die, daß ich Dich liebe und Niemand mehr liebe als Dich. — Warst Du nicht immer meinem Wunsche entgegen, Dupont zu verlassen und in die Linie zurückzutreten? Jetzt erkennst Du, daß ich mich in einer Sackgasse befinde, aber es ist zu spät. Jetzt muß man die Erlaubniß wie eine spezielle Gunst Sr. Majestät empfangen, und die Gunst und ich, wir gehen nicht denselben Weg.“

      Er kehrte nach Nohant zurück und blieb sechs Wochen dort, ohne daß das verhängnißvolle Geständniß aus seinem Herzen über die Lippen ging. Aber das Geheimniß war errathen, denn gegen das Ende des brumaire im Jahre XIII (November 1804), zu derselben Zeit, als er nach Paris zurückkehrte, schrieb seine Mutter an den Maire des fünften Arrondissements:

      „Eine Mutter, mein Herr, wird ohne Zweifel Ihnen gegenüber nicht nöthig haben, das Recht zu begründen, mit dem sie sich Ihnen vorstellt und Sie um Ihre Aufmerksamkeit ersucht.

      „Ich habe starke Gründe zu fürchten, daß mein einziger Sohn sich kürzlich in Paris ohne meine Einwilligung verheirathet hat. Ich bin Wittwe, er ist 26 Jahre alt, im Militärdienst und heißt Moritz


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