Freundlicher Tod. Ute Dombrowski
Читать онлайн книгу.Post bringen lassen, zusammen mit allen wichtigen Papieren, die er in treuen Händen wissen wollte. Michael ließ das Blatt sinken und sah den jungen Kommissar ratlos an. Der hatte sich gesetzt und wartete auf die Reaktion seines Kollegen.
„Ich finde den alten Mann mutig“, sagte Benedikt leise. „Es wäre toll, wenn ich am Ende meines Lebens auch so klar im Kopf bin, dass ich alles regeln kann.“
„Würdest du es selbst tun oder wie Fred Drekelt einen anderen dazu überreden?“
„Keine Ahnung, ich weiß nicht, ob ich jemanden hineinziehen würde. Der Typ oder die Frau, die das getan hat, macht sich ja strafbar. Wie groß muss die Schuld des Menschen gewesen sein, um sich auf so einen Deal einzulassen?“
„Was denkst du, was er verbrochen hat?“, fragte Michael und verstand sehr gut, was sein Kollege meinte. „Mord?“
„Bestimmt hat er ein Menschenleben auf dem Gewissen. Und Schuld heißt in dem Zusammenhang für mich nicht, dass ein Unfall gemeint ist. Schuld heißt, er hat jemandem Leid zugefügt, einen Menschen getötet. Ein Mörder, der nicht im Gefängnis sitzt, ist einer, der nicht entdeckt wurde.“
Michael war aufgestanden und sagte nun: „Scheiße. Das hört sich an, als wenn wir alle ungeklärten Todesfälle noch einmal aufrollen müssen.“
„Das heißt es wohl. Ich rufe jetzt mal Bianca und den Giftzwerg an, denn die müssen den Brief sehen. Gernot Drekelt ist damit aus dem Rennen und auch diese Pflegerin, oder?“
Michael nickte und Benedikt griff nach dem Telefonhörer. Fünf Minuten später betrat Bianca das Büro und auch Dr. Rosenschuh kam direkt. Die Kommissarin las den Brief noch einmal laut vor. Ratlos ging ihr Blick danach von einem zum anderen.
„Was nun? Das heißt, es gibt einen Mann, der Fred Drekelt auf seinen Wunsch hin getötet hat, aber die Suche nach ihm wird wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen sein. Michael, wir fahren ins Krankenhaus und Benedikt, du redest nochmal mit Gernot und fragst ihn, was er über die ganze Sache denkt. Vielleicht hat der alte Mann irgendwann mal jemanden erwähnt.
„Bringen Sie mir die Person, die den Alten getötet hat, soweit kommt es noch, dass man Gott spielen darf“, grollte der Staatsanwalt.
Bianca runzelte die Stirn und zog Michael mit sich hinaus, damit er nicht irgendetwas sagte, was den Staatsanwalt reizen könnte.
Im Auto schwiegen sie, bis es aus Michael herausplatzte: „Ich kann Fred Drekelt verstehen. Ist das falsch?“
„Das Recht sagt, dass die Erhaltung des Lebens Priorität hat, aber mein Herz stimmt dir zu. Fred Drekelt hatte trotz vieler Medikamente unerträgliche Schmerzen und da hat ihm auch die Prognose des Arztes, dass er mit der Medizin noch ewig leben könne, nichts gebracht. Ich kann ihn auch verstehen, aber Dr. Rosenschuh hat schon recht: Niemand darf Gott spielen. Er hätte ihm ja auch helfen können, irgendwohin zu fahren, wo Sterbehilfe erlaubt ist.“
„Ich muss immer darüber nachdenken, wie ich selbst damit umgehen würde. Zum einen, wenn ich selbst todkrank wäre und zum anderen, wenn mich jemand bitten würde, ihm beim Sterben zu helfen. Es ist ein gruseliges Thema. Hoffentlich finden wir den Kerl schnell.“
Erneut schwiegen sie und nach ein paar Minuten bogen sie auf den Parkplatz des Krankhauses ein. Sie suchten nach der Station, auf der Fred Drekelt gelegen hatte, bevor er für die letzte Lebenszeit nach Hause gegangen war. Eine Schwester führte sie durch die Gänge und klopfte an einer Tür.
„Herein!“, rief eine energische Stimme.
Bianca sah vor sich einen etwa fünfzigjährigen Mann im weißen Kittel, der jetzt die Lesebrille auf die Stirn schob und die beiden Kommissare neugierig ansah.
„Kommen Sie doch herein, Schwester Nina hat mir gesagt, Sie kommen wegen Fred Drekelt. Ich bin Dr. Gerald Pfützsch. Nehmen Sie Platz.“
Er deutete auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch und Bianca und Michael setzten sich. Die Kommissarin räusperte sich und stellte sich und Michael vor.
„Herr Dr. Pfützsch, es geht um Fred Drekelt, der tot ist. Er wurde von jemandem auf seinen Wunsch hin getötet. In einem Abschiedsbrief schreibt er, dass er im Krankenhaus das wichtige Mittel gestohlen hat. Wie kann es sein, dass ein Patient an Medikamente kommt?“
Der Arzt schaute Bianca sofort pikiert an und presste die Lippen zusammen. Die Kommissarin beobachtete die eindeutige Körpersprache und hakte nach.
„Ein Patient, der mit dem Medikament hier herausspaziert ist und sich damit hat umbringen lassen.“
„Ich verstehe, dass Sie mich angreifen, aber ich kann das erklären.“
„Ich greife Sie nicht an, Herr Dr. Pfützsch, ich frage nur nach. Haben Sie den Verlust bemerkt, nachdem der Patient das Krankenhaus verlassen hat? Haben Sie den Diebstahl angezeigt?“
„Ja, Frau Bonnét, der Vorfall ist aktenkundig. Es handelte sich um ein Narkosemittel. Wir haben eine Anzeige gemacht, der Fall wurde untersucht, aber es wurde kein Täter gefunden. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt. Es war aussichtslos, einen Schuldigen zu finden.“
Eingestellt, dachte Bianca, natürlich, es konnte ja auch nichts im Haus gefunden werden und wer verdächtigt schon einen netten alten Mann.
„Haben Sie den Patienten mal mit einem anderen Mann oder einer Frau in einem Gespräch gesehen?“
„Er war sehr redselig und hat den ganzen Tag außerhalb von seinem Zimmer gesessen und mit vielen Leuten gesprochen. Da war niemand Bestimmtes. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.“
„Mein Kollege wird jetzt noch mit der einen oder anderen Schwester darüber reden. Michael, geh mal und frage noch ein bisschen herum.“
Der Angesprochene verließ das Zimmer, Bianca blieb sitzen.
„Was denken Sie? Waren die Schmerzen von Herrn Drekelt so unerträglich und sein Tod unabwendbar, sodass er einen Grund hatte zu sterben?“
„Fred Drekelt hatte Knochenkrebs mit Metastasen im ganzen Körper. Einige Tumore wurden operiert, mit Chemotherapie und Bestrahlung ging es weiter, aber der Krebs war hochaggressiv und immer wieder kamen neue Metastasen dazu. Er hat irgendwann die Behandlung abgelehnt und erklärt, er wolle die Kontrolle nicht verlieren. Der Wille eines Patienten ist das höchste Gut. Wir hätten ihn mit den verschiedensten Maßnahmen noch eine Weile an Leben halten können, aber unsere Möglichkeiten waren begrenzt. Sein Neffe kam immer und Fred Drekelt bat mich, nichts vom realen Zustand zu sagen. Ich habe mich daran gehalten.“
Bianca bedankte sich und ging auf die Suche nach Michael. Sie aßen zu Mittag und fuhren uns Büro zurück, wo Benedikt schon angekommen war und seinen Bericht tippte. Er schaute kurz hoch und sah die enttäuschten Gesichter seiner Kollegen.
„Na, war wohl nichts?“, fragt er. „Aber tröstet euch, ich habe auch keine Neuigkeiten. Ich war sogar nochmal bei der Pflegerin, aber die hat ebenso wenig sagen können, dass ein Fremder in Freds Leben oder Haus war wie der liebe Neffe.“
„Mist, den finden wir niemals“, sagte Bianca verzweifelt. „Und wenn wir ihn finden, müssen wir ihn bestrafen.“
„Frau Chefin, Sterbehilfe ist nun mal nicht erlaubt und wir müssen uns an die Gesetze halten, auch wenn es manchmal schwer zu verstehen ist.“
Bianca nickte, Michael stellte die Kaffeemaschine an und setzte sich, um den Bericht über den Besuch im Krankenhaus zu schreiben. Die Kommissarin ging in ihr Büro und informierte den Staatsanwalt über ihren Misserfolg. Anschließend überprüfte sie die Angaben zur Anzeige des Krankenhauses über den Diebstahl - hier war alles korrekt gelaufen.
Dann fiel ihr die junge Frau vom Bahnhof ein. Es hatte sich herausgestellt, dass Birte Knofbach erst fünfundzwanzig war. Sie hatte einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich und war danach in ein tiefes schwarzes Loch gefallen. Eine Freundin hatte von ihrem Absturz in die Trauer und den Alkohol erzählt und sich Vorwürfe gemacht, dass sie sich nicht genügend gekümmert hatte. Die Bundespolizei hatte den Fall zurückgeholt,