Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft
Читать онлайн книгу.drink für die Gentlemen.«
Wie ein Alp fiel es von Ellen's Brust. Sie beobachtete scharf und dachte gern über ihre Beobachtungen nach. Wenn er dies gleich gethan, hätte er klüger gehandelt; dass er aber erst nachträglich für die Männer ein Getränk bestellte, als er sein Ziel schon erreicht, das war entschieden männlicher.
Der Wirth bekam eine complicirte Aufgabe zu lösen. Der Eine verlangte Whisky mit wenig Wasser und viel Zucker, der Andere Brandy mit gar kein Wasser und wenig Zucker, der Dritte Gin und Pfeffermünz, der Vierte bestellte einen cock-tail und rührte die vielerlei Ingredienzien mit einem Eifer zusammen, wie der Alchimist die Substanzen zum Steine des Weisen. Starke trank Rum.
»Auf Ihre Gesundheit, Miss,« sagte er.
Mit einem Ruck fuhr Alles herum und hob ehrerbietig das Glas.
»Good luck, Miss.«
Ellen wäre kein Weib gewesen, wenn sie nicht erröthend und freundlich lächelnd gedankt hätte, und kein gebildetes, wenn sie nicht die ihr widerfahrene Ehre, oder den eigentlichen Kern der Huldigung, verstanden hätte. In diesem Augenblicke, als sie mit einem Glückwunsch das Glas gegen die fremde Dame erhoben, waren diese zerlumpten, rohen, wüsten Gesellen wirkliche Gentlemen, vornehm, stolz, und doch ehrerbietig. Es imponirte, das war amerikanisch, so etwas findet man bei keinem anderen Volke.
Starke wusch einen Teller ab und ass statt des ausgekochten und dennoch harten Fleisches Hammelcotelettes, Lendensteaks und ein junges Huhn. Ja, er verstand auf seinen Wanderungen
doch zu leben, Ellen konnte noch viel von ihm lernen. Merkwürdig war nur, dass er jetzt so eigen mit der Sauberkeit war, während er heute Morgen nicht einmal den schweissigen Hut ausgespült, überhaupt gethan hatte, als sei jeder Wassertropfen Gold.
Der Wirth brannte ein dickes Wachslicht an und führte die danach Begehrende hinauf, ihr Rad tragend. Das »feine« Zimmer war eine elende Kammer, nichts weiter als ein mit Wolldecken belegtes Bett und einen alten Holztisch enthaltend, nicht einmal einen Stuhl. Aber ein Schlüssel war vorhanden.
Das Licht wurde auf den Tisch geklebt, und der Wirth schickte sich zum Gehen an.
»Sonst noch etwas? Wasser ist unten im Hofe. Wenn Sie frühzeitig abfahren wollen, wie die damals auch thaten — das Haus ist immer offen, die Hunde wachen, lassen Jeden hinaus, aber keinen herein. In einer halben Stunde bringt Jim den Morning Leader, wenn Sie ihn lesen wollen.«
Ellen bat darum und sie war allein. Erst putzte und ölte sie die Maschine, dann setzte sie sich auf das Bett, sann eine Weile vor sich hin und plötzlich begann sie zu weinen. Es war Heimweh. Nicht die nackte Kammer, nicht das erbärmliche Bett, es war eben Heimweh, sie sehnte sich nach ihrem Club, nach ihrer Zofe, nach Londons erleuchteten Strassen, sie kam sich so allein vor.
Lange währte dieser Gefühlsausbruch freilich nicht. Aergerlich über sich selbst lachend, wischte sie die Thränen aus den Augen. Vorwärts, um die Erde, morgen schien die Sonne wieder, und wenn es regnete, wurde einfach im Regen geradelt, und um am Tage Kraft zu haben, muss man des Nachts schlafen, was brauchte sie die englische Zeitung!
Sie schloss die Thüre ab und begann sich zu entkleiden. Da kam Starke, sie erkannte ihn schon, am Schritt. Jetzt setzte er das Rad nieder. Ah, er schlief hier in der Kammer neben ihr. Halbangekleidet blieb Ellen auf dem Bette sitzen und lauschte, während ihr die Gedanken durch den Kopf jagten.
Er rumorte drüben, als habe er viele Möbel zum Umräumen. Dann wurde es still. Flötentöne. Ein Läufer, ein Triller, eine Fuge, sehr fingergewandt und rein, ein Volkslied, dann ging es in ein Stück über, welches Ellen doch — — richtig, am Beethoven-Abend in der Exceterhalle hatte sie es gehört. Wie kam denn dieser ungebildete Mensch dazu, dieses klagende Adagio von Beethoven auf der Flöte zu spielen, noch dazu in solch' schmelzenden Tönen?
Dann wurde es wieder still. Dafür ein neuer Schritt; der auf seine englische Zeitung an der Landstrasse ungemein stolze Wirth fragte, ob sie den Morning Leader haben wolle, und nun nahm ihn Ellen doch, liess sich das Papier durch die Thürspalte zustecken.
Die dicke Wachskerze brannte hell und sehr langsam.
Der »Morning Leader« ist ein Sensationsblatt ersten Ranges. Am liebsten ist es der Redaction, wenn jeden Tag ein Raubmord passirt und eine Pulverfabrik explodirt, und in jeder Feuilleton-Nummer wird Jemand lebendig begraben, wenn man ihn nicht zu Tode martert.
Es war die Nummer vom 1. September. Ein Raubmord fehlte, aber dafür fett gedruckt »Eine sensationelle Wette.«
Ellen las über ihre eigene Angelegenheit, im blüthenreichen Reporterstil abgefasst, und der Berichterstatter wusste Alles, als ob er selbst damals im Champion-Club zugegen gewesen sei, und dabei war nichts Wunderbares: die Züngelchen der Champion-Damen würden schon dafür gesorgt haben, dass die neueste Neuigkeit schnell unter das Publicum kam. Auch sonst wusste der Schreiber Alles — solch ein englischer Reporter ist ja überhaupt allwissend — sogar, in welchem Frisirsalon sie sich das Haar hatte kürzen lassen, um wieviel Decimeter und Millimeter — und da, richtig, da war natürlich auch ihr Bild. Sie sah schrecklich verwegen aus, sogar eine Elephantenbüchse hatte sie über der Schulter.
Die Leserin lächelte. Recht so, nach 300 Tagen sollte man sich noch viel mehr mit ihr beschäftigen. Dann aber erweiterten sich ihre Augen.
»Gleichzeitig hat Sir Robin Munro mit Lord Wood, dem bekannten Sportsman, eine andere Wette abgeschlossen, welche eng mit jener zusammenhängt. Sir Munro, obgleich ein grundsätzlicher Gegner alles Radfahrens, ist verlobt mit Miss Howard. Als es ihm nicht durch fussfällige Bitten und Thränen gelang, das zarte Mädchen von dem gefährlichen Wagestück abzuhalten, erhob er sich mit stolzer Manneswürde und erklärte seiner Braut, so werde er selbst sie begleiten, natürlich zu Pferd, denn noch nie hat Sir Munro ein Rad bestiegen, er wolle sie schützen gegen jegliche Gefahr, sie durch Feuer und Wasser tragen, und wenn sie ohnmächtig von der Maschine stürze, so wolle er sie auffangen und fragen, ob sie nun seine gehorsame, ihn liebende Gattin werden möge. Darauf eilte er hinweg, der Bitten seiner Braut, dies doch nicht zu thun, nicht achtend. Er traf seinen Freund Lord Wood, und diesem theilte er seine feste Absicht mit, zugleich hinzufügend, dass es Miss Howard, ein schwaches Mädchen, doch nicht einmal bis nach San Francisco aushielte. Lord Wood denkt anders über das schwache Geschlecht, insbesondere über Miss Howard. Hieraus entsprang die Wette, welche um nicht weniger als 60 000 Pfund Sterling geht. Lord Wood sagt: Miss Howard erfüllt ihre Bedingungen; und Sir Munro behauptet: sie kommt nicht einmal bis nach San Francisco, sie wird nie mehr radfahren, und ausserdem soll sie innerhalb von 100 Tagen, von heute an gerechnet, meine Frau sein ............«.
Mit einem unterdrückten Schrei schleuderte Ellen das zusammengeballte Blatt an den Boden.
»Das mir, das mir!« keuchte sie, aufspringend. »Oh, dieser Elende! So will er mich demüthigen!«
Sofort wusste sie, was sie zu thun hatte; hastig kleidete sie sich wieder an, hob die Zeitung auf und öffnete die Thür. Sie musste etwas Schweres zurückschieben, das aber gleich von selbst wich. Es war der Hund gewesen, der vor ihrer Thür gelegen hatte. Sie klopfte an der benachbarten Kammer an.
»Mr. Starke, sind Sie noch wach?«
»Come in.«
Die Thür war nicht verschlossen. Er hatte alle Betten aus dem Holzgestelle geworfen, lag auf der Pritsche, statt des Kopfkissens seinen Tornister, war vollständig angezogen, Stiefel an, selbst den Hut noch auf dem Kopfe, rauchte und las in einem dünnen, abgegriffenen Büchelchen im Schein seiner Wachskerze.
»Was wünschen Sie?« fragte er, ohne aufzustehen, ohne seine Lage zu verändern.
»Hier, lesen Sie das!«
Er legte das Buch auf den Tisch und nahm die Zeitung.
Für fünf Minuten war Ellen beschäftigungslos. Sie sah auf dem Tische eine kleine, hölzerne, ganz einfache Holzpfeife liegen, und obgleich ihre aufgeregten Gedanken mit etwas ganz Anderem beschäftigt waren, wunderte sie sich