Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

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Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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musste Ellen hell auflachen. Erst kam also sein Hund, dann sie, und durch den trockenen Ton wirkte es urkomisch.

      »Oh ja, bitte, gehen Sie mir ein Stück. Es ist doch fabelhaft, was man beim Radfahren für einen unerschöpflichen Hunger bekommt.«

      »Wenn man sich nicht überanstrengt. Sonst schlägt es in das Gegentheil um.«

      Er schnitt das Zweipfundstück durch, aber anstatt nun ihr die Hälfte zu bringen, blieb er gemütlich liegen, pflückte ein grosses Blatt ab, wickelte das Stück hinein und warf es ihr zu, allerdings so, dass es ihr direct in den Schooss fiel.

      Doch gerade diese collegiale Gemüthlichkeit gefiel ihr wiederum. Sollte er etwa aufstehen und eine Verbeugung machen? Das konnte sie im Hôtel genug haben, hier hätte es nicht gepasst.

      »Mr. Starke,« begann sie nach einer Weile wieder, »glauben Sie, dass ich die Tour in 300 Tagen machen kann?«

      »Wenn Sie so fortfahren wie bisher, glaube ich es. Lassen Sie sich noch etwas Anderes sagen. Mir ist während des letzten Tages in London Einiges zu Ohren gekommen. Sie haben gesagt: wenn ich täglich nur acht Stunden fahre, so werde ich auch beim schlechtesten Wege, wenn ich nur im Sattel sitzen kann, meine 32 Meilen machen und kann mich 16 Stunden wieder ausruhen. — Bleiben Sie bei diesem Princip, und ich weiss es ganz bestimmt, dass Sie Ihre Wette gewinnen werden.«

      Mit freudiger Ueberraschung sah Ellen zu ihm hinüber.

      »Wirklich? Das ist Ihre ehrliche Ueberzeugung?«

      »Ich spreche immer, wie ich denke. Machen Sie sich ein bestimmtes Programm, einen Stundenplan. Sie stehen halb 4 Uhr auf, Punkt 4 fahren Sie ab, Punkt 8 machen Sie den ersten Halt, zur Frühstückspause. Dann wieder von 9 bis 11. Dann grosse Pause mit Hauptmahlzeit und zwei Stunden Schlaf. Dann nochmals von 4 bis 7 im Sattel, und damit ist es aus. Halten Sie diese Zeiten mit der pedantischsten Pünktlichkeit bis zur Secunde inne. Machen Sie sich ganz unabhängig von Weg, Wetter und Wind. Gesetzt den Fall, Sie haben Nachmittags von 4 bis 7 schlechten Weg und Gegenwind, mit einem Male springt der Wind um, der Weg wird ausgezeichnet, sie wollen und können an diesem Abend noch 20 Meilen machen — nein, thun Sie es nicht, steigen Sie Punkt 7 vom Rade. Bald werden Sie merken, was für ein physiologisches, vielleicht auch psychologisches Geheimniss in diesem starren Einhalten des Princips steckt. Etwas Anderes ist es natürlich, wenn Klima, Regenzeit in Betracht kommen. Dann wird eben ein anderer Stundenplan gemacht und dieser ebenso pedantisch eingehalten. Folgen Sie meinem Rathe und soweit es ein Mensch kann und darf, garantire ich Ihnen dafür, dass Sie nicht einmal 300 Tage brauchen; Sie werden in der nächsten Stunde nach Ihrer Rückkehr mit fröhlichem Muthe Lawn-Tennis spielen können, und in Ihrer Erinnerung wird die ungeheuere Radtour eine schöne Spazierfahrt gewesen sein.«

      Wie eine dankbare Erleichterung überkam es Ellen. Die felsenfeste Gewissheit lag besonders in dem einfachen Tone, mit dem er diese Worte sprach.

      »Dann noch eins,« fuhr er fort. »Quälen Sie sich doch nicht unnöthig mit Entbehrungen. Diese kommen ganz von selbst, dann wird ihr Ertragen auch noch gelernt. Nehmen Sie das Beste, was Ihnen die Erde bietet, so lange Sie es noch haben können. Suchen Sie sich das weichste Bett aus, so lange Sie noch darin zu schlafen vermögen! Denn es dürfte noch die Zeit kommen, wo Sie sich wohl nach einem Bette sehnen, aber wenn Sie es haben, können Sie nicht mehr darin schlafen; stundenlang wälzen Sie sich in den Kissen, bis Sie endlich aufstehen und sich daneben auf den Boden legen und gleich sind Sie sanft, entschlafen. Provociren Sie diesen Zustand nicht, er ist manchmal nicht schön. Nehmen Sie Alles mit, auch, wenn es die Zeit Ihres Stundenplans erlaubt, Theater, Concerte und Kunstgalerien.«

      Konnte es vernünftigere Worte geben?

      »Ich werde Ihren Rath befolgen und ich danke Ihnen, Mr. Starke.''

      Der neben seinem Herrn liegende Hund stand auf, ging zu Ellen und blieb dicht vor ihr stehen. Sie wunderte sich, dass er plötzlich zu ihr kam.

      »Ach so, der arme Kerl hat ja heute kein Frühstück bekommen, weil er keinen Schinken frisst und sein egoistischer Herr nur an sich selbst gedacht hat!« bedauerte sie scherzhaft.

      »Er erhält nur einmal, des Abends, satt zu essen, er weiss es, und was vom Frühstück und Mittag abfällt, ist für ihn nur ein Gelegenheitsbissen, beanspruchen thut er es nicht.«

      Jetzt speculirte Hassan offenbar auf die im Papier liegenden Hühnerknochen. Ellen nahm einen. Eine besondere Hundefreundin war sie nicht, sie hatte das furchtbare Gebiss des Thieres schon gesehen; sie fürchtete sich etwas, deshalb warf sie ihm den Knochen mit einem »Fang!« zu.

      Aber der Hund fing nicht, kümmerte sich auch nicht um den im Grase liegenden Knochen, sondern warf Ellen einen seiner verächtlichen Blicke zu und wandte ihr den Rücken, blieb aber noch stehen.

      Dieses Benehmen war so menschlich gewesen, dass Ellen förmlich erschrak.

      »Oh, jetzt haben Sie ihn beleidigt,« sagte Starke. »Ich hätte Ihnen freilich sagen sollen, dass er höchstens etwas aus der Hand nimmt. Auf der Erde darf nichts gelegen haben. Nun kommt er nicht so leicht wieder zu Ihnen.«

      »Was für ein merkwürdiger Hund!« rief Ellen. »Ist er denn so heikel?«

      »Er trinkt aus jeder Pfütze, wenn er Durst hat, isst Cadaver, wenn er hungrig ist, aber das frische Wasser, welches ihm vorgesetzt wird, wird er nicht berühren, wenn Jemand seine Hand hineingetaucht hat, und ich glaube, er fühlt es — nicht, dass er es riecht, sondern er fühlt es heraus. Ich muss es annehmen.«

      »Was ist denn das nur für ein Hund?«

      »Ein Beduinenhund. Kein bevorzugtes Exemplar, sondern die ganze Race ist so. Hier haben Sie ein Beispiel, was der Mensch aus einem Thiere durch Erziehung machen kann. Aus dem Wolfe gewannen wir den treuen Hund. Aus dem Hunde hat der von der Jagd lebende Beduine der lybischen Wüste im Laufe vieler, vieler Jahrhunderte ein Thier geschaffen, welches — für welches ich keinen Namen habe. Kein Anlernen, keine Dressur, allein die Behandlung von Generation zu Generation ist es. Der Hund gehört zur Familie unter das Zelt. Denken Sie: wenn sich eine Hündin mit einem unebenbürtigen Hunde eingelassen hat, oder wenn man sonst den Vater nicht kennt, so werden ihr die Jungen im Leibe todt gedrückt, was gewöhnlich auch ihren Tod bedeutet. Ich habe viele Jahre unter den Beduinen gelebt, aber nur ein einziges Mal ist dieser Fall vorgekommen, und da habe ich gesehen, wie die gefallene Hündin stillschweigend ihre Leiden ertrug und stillschweigend starb. Nie kann ich es vergessen, nicht etwa, wie sie litt, sondern wie sie ihre Ehrlosigkeit wusste, und wie sie dann, durch ihre Sühne von der Schuld erlöst, als gerechter Beduinenhund verschied. Das war kein Hund mehr. Ja, die Ehre ist es! Wir ziehen den Hund auf Muskeln und Dressur, die Beduinen erziehen ihn zum Ehrgefühl. Wenn dagegen eine Hündin in aller Ehre entbunden wird, so ist der Jubel im Zeltlager unermesslich — doch nicht laut, die junge Mutter braucht Stille. Zuerst, wenn es ihr Zustand erlaubt, kommt der Scheich, gratulirt ihr — nicht dem Besitzer — hängt ihr etwa ein Perlenhalsband um. Dann kommen die anderen Honoratioren mit Glückwünschen und Geschenken. Schliesslich alle Beduinenfrauen, sie haben das schönste Geschenk hervorgesucht, sie bringen Kraftsüppchen, sie schmeicheln und bewundern die Jungen, und nun sollten Sie sehen, wie gravitätisch und stolz sich solch eine glückliche Hundemutter im Kindbett benimmt. So werden dann auch die Jungen erzogen.«

      »Aber das ist ja Thieranbeterei!« rief Ellen.

      »Nicht doch. Sie müssen bedenken, dass ein Paar solcher Hunde dort für den Ernährer einer grossen Familie gilt. Die Wüstenantilopen lassen sich nicht schiessen, das schnellste Pferd holt sie nicht ein, nur der Windhund, und zwei sind nöthig, das hakenschlagende Thier abzufangen. Jene Beduinen leben fast nur von der Antilopenjagd, daher wird der die Nahrung bringende Hund so verehrt. Wer ihn beleidigt, der beleidigt seinen Herrn; wer ihn schlägt, der verliert die rechte Hand; wer ihn tödtet, dessen Leben wird wieder gefordert. So ist das Gesetz der Wüste. Durch diese Hochachtung, welche man ihm entgegenbringt, ist dieser Hund entstanden. Wollen Sie meine besondere Ansicht darüber hören?«

      »Ich bitte, ich interessire mich sehr dafür.«

      »Sehen Sie Hassan an. Viele Jahre habe ich mich mit Beduinenhunden beschäftigt, vier Jahre


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