Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

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Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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war noch nicht vergangen, als die immer tiefer werdende Spalte in der Felswand verschwand, mit ihr das Wasser, ohne dass Ellen einen Abstieg gefunden hatte. So musste sie eben zurück, musste die Jacke zerschneiden.

      Da — Pferdewiehern, Menschenstimmen!

      Ellen hatte gar nicht des Weges geachtet. Dort hörte die Strasse plötzlich auf, dort sah es wenigstens ganz anders aus, die Felsberge, schienen zurück zu treten; sie hatte einen weiten Blick über ein hügeliges Terrain. Das war das Ende des Passes, die Grenzen des ganzen, sich jäh aus der Ebene erhebenden Gebirges, das war die offene Prairie, von der Starke gesprochen — und dort mussten Menschen sein, sie hatte Stimmen gehört.

      Nur zehn Minuten brauchte sie zu marschiren, als sich vor ihr plötzlich die wellige Prairie ausbreitete, mit niederliegendem, grauem Gras bedeckt, wie Heu aussehend, nur dass dieses noch im Boden wurzelte.

      »Halloh, was ist denn das für ein blutiger Fremder?«

      Ellen, jetzt ihr Rad schiebend, sah in einiger Entfernung zwei Reiter, welche sofort auf sie zu galoppirten. Es waren abenteuerliche, wilde Gestalten, die Anzüge so zerfetzt wie die schwarzbraunen Gesichter, an den Füssen drei Zoll lange Sporen, ausser dem Revolver am Gürtel das Bowiemesser in der Scheide, um den Hüften den Lasso — Cowboys. Der eine ritt ein mageres Thier, der andere, ein alter Kerl mit einem pockennarbigen, wüsten Gesicht, ein sehr schönes Pferd, mit dem er in beständigem Kampfe lag. Es sprang, tanzte und bockte, versuchte den Reiter in die Beine zu beissen, aber jedes Mal traf dafür ein Fausthieb die Schnauze, und dies Alles hinderte den Cowboy nicht, seine Aufmerksamkeit der Erscheinung des fremden Menschen zu widmen und sich mit dem Kameraden zu unterhalten. Jeder Huf des unbändigen Thieres trug eine lederne Schlinge, welche Alle in der Hand des Reiters zusammenliefen.

      »Das ist ja ein blutiges Mädel!«

      »Habt Ihr nicht einen Trunk Wasser?« fragte Ellen.

      »Einen blutigen Schuss weit ist blutiges Wasser genug,« lautete die Antwort, und dies genüge, um die Ausdrucksweise der Cowboys zu charakterisiren. Sie konnten kein Hauptwort sagen, ohne ein »blutig« vorzusetzen. Ellen fiel dies nicht besonders auf; auch dem englischen Arbeiter ist dies recht geläufig.

      »Sie kommt aus dem Bärenpass. Wo will die hin?«

      »Guck, Sam, das ist eine verdammte Mähmaschine. Ne, 's ist wahrhaftig, ein Mädel! Was will die hier mit der Mähmaschine?«

      »Habt Ihr nicht Wasser?« wiederholte Ellen. »Ich verschmachte fast vor Durst.«

      »Wasser? Ne, hier nicht. Wo kommt Ihr denn her? Seid Ihr allein?«

      Zwei andere Cowboys kamen angesprengt. Das gleiche Staunen, dieselben Fragen. Woher? Wohin? Was ist das für ein curioses Ding da?

      Ellen hatte einige Geschichten gelesen, welche unter Cowboys spielten. Ein rohes Gesindel, unwissend, aber doch mit schönen Zügen, romantisch, ritterlich, gastfreundlich. Man musste sich ihnen nur verständlich machen.

      »Hört doch, Ihr guten Leute, ich habe furchtbaren Durst,« wiederholte Ellen zum dritten Male. Sie übersah ganz, was für Blicke gewechselt wurden.

      »Durst? Wir haben auch welchen,« grinste der Alte. »Wer seid Ihr denn eigentlich? Seid Ihr wahrhaftig ein Mädel?«

      »'S ist eine Dirne,« kam ihr ein Cowboy zuvor.

      »Seid Ihr denn allein?« forschte der Alte weiter.

      »Ich bin allein. Ich mache auf dem Bicycle eine Reise um die Erde. Wo ist der Brunnen oder die Quelle, von der Ihr vorhin sprachet?«

      Wieder schnelle Blicke, ein verständnissvolles Grinsen. Drei Cowboys sprangen gleichzeitig aus den Sätteln, die Pferde frei stehen lassend. Der vierte, der Alte, brachte mit einem Ruck der Schlingen sein Thier zum Sturz, stand aber selbst auf den Beinen schlug einen Knoten und kümmerte sich nicht mehr um das sich wälzende Ross. Nun steckten sie auch noch die Köpfe zusammen und zischelten, die mit Blut gewürzten Worte wurden lauter.

      »Eine feine Dirne — sie ist allein — sie ist aus der Stadt — hat sich verirrt ....«

      Da plötzlich, ging Ellen eine fürchterliche Ahnung auf über das, was ihr bevorstehen konnte, vergessen war ihr Durst. Aber die Besinnung, behielt sie doch, vor allen Dingen wollte sie Gleichgiltigkeit zeigen.

      »Also Ihr habt kein Wasser? Nun, bis nach Ludgate halte ich es auch noch aus. Nicht wahr, dort ist der Weg nach Ludgate?«

      Sie deutete nach Süden, und sie sah den Alten auf sich zukommen, ein vertrauliches Lächeln in dem pockennarbigen Gesicht, und eben so sacht schlichen auch die Anderen herbei.

      »Kommt nur mit, wir haben schon Wasser,« grinste er, »in Billy's Hütte — und Whisky ist auch dort. Was, Sam?«

      »Plenty Whisky,« feixte Sam.

      »Was wollt Ihr von mir?« stiess Ellen mit farblosen Lippen hervor, und ihre zitternde Hand suchte den Revolverkolben.

      »Komm nur, wir thun Dir nichts.«

      »Zurück, oder ....«

      Lachend umdrängten sie die Cowboys. Eine starke Faust, der gezogene Revolver war ihr aus der Hand gerungen, ein Arm umschlang sie. Ellen sah sich verloren.

      »Barmherzigkeit! Nehmt mir alles Geld ....«

      »Ach was, ziere Dich nicht, Püppchen.«

      »Starke, zu Hülfe, Starke!«

      »Gieb ihr eins aufs Maul, wenn sie schreien will.«

Grafik7

      »Hoch die Hände!!«

      Die donnernde Stimme, welche diesen Befehl gab, klang in Ellen's Ohren wie Engelsmusik. Sie wurde freigelassen, acht Hände fuhren in die Höhe.

      Sie hatte ihn nicht kommen sehen, als sie seinen Namen gerufen.

      Dort lief sein Rad noch, und da stand er, in jeder Hand einen Revolver, auf die Cowboys angeschlagen, und neben ihm kauerte, zum Sprunge geduckt, sein Hund. Er musste in voller Fahrt abgesprungen sein, seine Füsse gruben sich förmlich im Boden ein.

      »Miss Howard, nehmen Sie ihnen die Waffen ab — schnell!«

      Aber Ellen, obgleich sie die Situation erkannte, war nicht fähig dazu, sie lag auf den Knieen. Es wäre auch zu spät gewesen. Eine Hand zuckte herab, eine andere, alle — — zwei Feuerstrahle mit nur einem Knall; zwei Cowboys stürzten mit durchbohrter Stirn nieder, schon hatte Starke den dritten gefasst, schmetterte ihn zu Boden; ein gelber Streifen sauste durch die Luft, auf der Brust des vierten lag der Hund; ein gellendes Geheul, Hassans furchtbares Gebiss hatte die nach der Waffe greifende Hand zermalmt, und da erhob sich Starke schon wieder; er hatte seinem Manne Füsse und Hände mit dem Lasso gebunden, nahm dem vierten den Revolver ab und fesselte ihm die Füsse.

      Alles dies hatte sich in wenigen Augenblicken abgespielt, und Ellen glaubte, eine Vision zu haben. Da lagen zwei Menschen, jeder ein hässliches Loch mitten in der Stirn, das Blut sickerte heraus, die Augen starr, gebrochen, als wenn sie — — nein, es war nicht möglich! Das war wirklich nur eine Hallucination!

      »So, nun wollen wir nach Ihrem Maschinchen sehen. Mir scheint, der Hinterreifen ist undicht. Ich bemerkte es gleich, als ich angefahren kam. Entschuldigen Sie nur, dass ich so lange ausblieb. Auch der Bolzen vom anderen Pedal war schon angebrochen, es ging nicht Alles so glatt; auf der Drehbank war auch gerade etwas aufgespannt, da wurden zwei Stunden aus der einen. Richtig, an der abzweigenden Schlucht sagte mir Hassan, dass Sie geradeaus gefahren wären. Na, ich bin ja gerade noch zur rechten Zeit gekommen.«

      Er sagte es nicht anders, als wenn er sonst etwas erzählte. Nicht die geringste Bewegung, Alles Ruhe, Gleichgültigkeit.

      Ellen aber kam es jetzt zum Bewusstsein, dass sie nicht nur träumte.

      »Zum Mörder geworden! Meinetwegen,« brachte Sie ächzend hervor.

      Starke holte sein Rad, öffnete die Werkzeugtasche.


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