Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft

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Ein moderner Lederstrumpf - Robert Kraft


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gutem Wetter und Wind, ein Regentag hatte erst spät begonnen, die Strasse war noch nicht aufgeweicht gewesen, und am anderen Morgen Alles wieder hart und glatt. Aber das war es ja eben, bei diesen 5 Tagen mit gutem Wetter und Weg hatte sie 2, sogar 3 Tage erspart, diese konnte sie schon wieder zusetzen, und dies geschah noch nicht bei schlechtem Wetter und schlechtem Weg, da wollte sie ihre 32 Meilen noch immer machen, sie brauchte ja nur täglich 8 Stunden langsam zu treten. Nein, ihre Rechnung stimmte.

      Ausserdem war es überhaupt herrlich. Dieser köstliche Appetit! Hunger hatte sie überhaupt fortwährend, wie — wie ein Wolf. Und solch' ein Trunk aus einem frischen Quellbache! Sie hatte ja lange Touren auch schon in England gemacht, aber dort war es doch etwas ganz anderes gewesen, dort war sie — ja, worin lag denn nur eigentlich der Unterschied? Zunächst wohl darin, dass sie hier nicht an die Umkehr denken musste. Hier war sie frei, frei! Hier legte sie sich mit dem Gesicht ins Gras und streckte sich behaglich aus, und wenn Carossen vorüberfuhren, sie blickte nicht auf. Hätte ihr der Wind die Mütze entführt, ein Dorn ihr die Kleidung von oben bis unten aufgeschlitzt, sie wäre seelenvergnügt barhäuptig und zerrissen durch die vornehmste Strasse der nächsten Stadt gefahren. Und dann immer wieder dieser köstliche Hunger und Durst! Ein gebratenes Huhn könnte sie in England auch essen, aber nicht so wie hier. Den dumpfig riechenden Gummibecher hatte sie schon längst weggeworfen — aus den hohlen Händen geschlürft, gleich den Mund zur kühlen Quelle hinabgebeugt, sie genirte sich nicht mehr, mitten in der belebten Strasse die Pumpenschwengel in Bewegung zu setzen und aus der Mütze zu trinken — und nun sollte sie sich so in England vorstellen! Eine Unmöglichkeit.

      Das Geheimniss des Unterschiedes, welches Ellen mit den Worten Freiheit, Ungebundensein und Selbstständigkeit zu lösen suchte, lag vielleicht allein in den Worten »Weltenbummler«.

      Dort lag er, der Radbummler par excellence, in der immer von ihm eingehaltenen Entfernung von sechs Metern und schlug mit dem Nickfänger in einen grossen Schinken ein.

      Ja, was hatte sie eigentlich gegen diesen Mann? Wenn sie sich nicht beim Fahren nach ihm umsah und bei der Rast nicht nach ihm blickte, so wusste sie überhaupt gar nichts von seiner Existenz. Seit damals, als er trotz ihrer heimlichen Entfernung sofort wieder hinter ihr her war, ihr den liegengelassenen Gürtel mit Revolver bringend, hatte er noch nicht ein einziges Wort wieder zu ihr gesprochen, und das war nun schon vier Tage her. Denn Ellen hütete sich, wieder solch' einen Fehler zu begehen, deshalb lernte sie schnell die Praxis.

      Er war sogar bescheidener als ihr Schatten. Dieser lagerte sich neben ihren Tisch, jener lebendige setzte sich beim Essen an einen anderen, suchte beim Lagern im Freien einen vor ihren Augen möglichst versteckten Platz. Konnte man mehr verlangen? Dieser sich selbstständig bewegende Schatten war auch sehr aufmerksam. Hatte Ellen ihr Rad noch nicht geputzt und nicht in eigenem Verschlusse, so wusste sie bestimmt, dass sie es tadellos rein, geölt und mit aufgepumpten Schläuchen wiederfand, und hatte die Kette vorhin geknackt, so war dies jetzt nicht mehr der Fall, war der Handgriff locker gewesen, jetzt war er fest, die Bremse war richtiger eingestellt worden — aber das Heinzelmännchen arbeitete nur, wenn man es nicht beobachtete.

      Wirklich, sie that ihm Unrecht, wenn sie ihn einen unverschämten, aufdringlichen Gesellschafter nannte, schon hatte sie es ihm im Stillen abgebeten.

      Auch dieser schöne, grosse Hund war still und bescheiden wie sein Herr. Ueberhaupt ein ganz merkwürdiger Hund. Ein vornehmer, reservirter Hund. Ein Gentleman von einem Hund. Noch nie war er schwanzwedelnd zu ihr gekommen, hatte ihr nie die geringste Vertraulichkeit gezeigt. Und das ist bei einem Hunde, in dessen Nähe man sich fünf Tage befindet, seltsam. Ja, er lag jede Nacht vor ihrer Thür, aber öffnete sie diese, so liess er sie passiren, ohne sich mit einem Blicke um sie zu kümmern. Er bellte auch niemals. Nie liess er sich mit einem anderen Hunde ein, nicht mit der schönsten Vertreterin des anderen Hundegeschlechts, und als sich ihm einmal eine prachtvolle Bulldogge mit schwellenden Muskeln dreist genähert, hatte der schmächtige Windhund sie abgeschüttelt, dass ihr Hören und Sehen vergangen war. —

      Ellen hatte ja genug Zeit zu solchen Beobachtungen, und so beobachtete sie ferner, wie gentlemanlike dieser Hund von seinem Herrn behandelt wurde. Anstatt ihm einfach seinen Teller mit den Resten der Mahlzeit auf den Boden zu setzen — oft jedoch bekam der Hund sein eigenes Gericht, Milch spielte immer die Hauptrolle — forderte Starke für ihn stets einen reinen Teller, wischte ihn womöglich noch mit der Serviette ab, und in einem grossen Hôtel, als der Oberkellner eine höfliche Bemerkung machte, hatte er dann diesen Teller zertreten und bezahlt.

      So ganz schweigsam war Starke auch nicht, er sprach nur nicht zu ihr, desto mehr zu seinem Hunde, den er Hassan el Saba oder nur Hassan anredete, oft hörte sie ihn hinter sich lange Reden halten, in einer Sprache, welche sie für arabisch hielt, und der Hund mit seinen klugen Augen musste ihn wohl verstehen.

      Weiter studirte Ellen, wie dieser Mann lebte. Eigentlich ganz anders, wie sie bei solch' einem professionellen Bummler vermuthet hatte. Dass er sehr, sehr stark ass, war bei der ständigen Bewegung im Freien begreiflich. Ellen merkte es ja an sich selbst, und er musste den Oxydationsprocess eines ganz anderen Körpers als den ihren unterhalten. Dass er immer das Beste ass, was nur zu haben war, ist schliesslich auch einem Bummler entsprechend, wenn er Geld hat. Aber auffallend war doch, wie sorgsam er seine Auswahl traf, wie er sein Menu zusammenstellte, kein Pariser Gourmand konnte penibler sein; lange studirte er erst die Weinkarte, wenn eine solche vorhanden, prüfend kostete er den ersten Schluck lange auf der Zunge, und schmeckte er ihm nicht, bestellte er gleich eine andere Flasche, die erstere stehen lassend. Dabei war es ganz gleich, ob er sich im grossen Hôtel oder in der elendesten Spelunke befand. Dort ass er die theuersten Austern und trank französischen Champagner, durch den Kellner liess er den Koch bitten, den Kapaun nicht mit Aepfeln, wie auf der Speisekarte stand, sondern mit Oliven zu füllen. Hier suchte er sich mit Kennerblick das beste Stück Fleisch aus und briet es selbst mit Umständlichkeit, plünderte alle Gewürzdüten, roch an jeder Flasche. Und dieselbe Sorgfalt gab er auch auf sein Aeusseres, war immer rasirt, er polirte sogar seine Fingernägel.

      Nun sollte man sich diesen peniblen, pedantischen Herrn in der Wüste, im Urwalde vorstellen, vielleicht monatelang am Lagerfeuer campiren müssend!

      Aber Ellen erkannte das Richtige heraus. Er würde, Angesichts des Hungertodes, seine Stiefelsohle mit derselben Umständlichkeit in Stücke schneiden und die Stücke mit demselben Behagen zum Munde führen, wie er im Speisesaale sich mit dem mit Oliven gefüllten Kapaun beschäftigte, wie er jetzt von dem mächtigen Schinken lange Schnitte absäbelte.

      Die finstere Schweigsamkeit dieses Mannes hatte sich vor Ellen's Augen nach und nach in ein ruhiges Behagen verwandelt. Ja, das war es! Alles an ihm war ruhige, behagliche Zufriedenheit, die durch nichts zu erschüttern war. Ihr brauchte er es nicht zu sagen, denn sie fühlte selbst, wie sie von ihm aus auf sie überströmte.

      Und dann, noch Eins erkannte sie. Wo der sich hinlegte, irgendwo auf der Erde, so sagte er stets, wenn auch ohne Worte: so, hier liege ich, nun mag's regnen, schneien oder blitzen; hier ist meine Heimath, hier bin ich zu Hause.

      Es ist ein liederliches, aber classisches Lied:

      Ich hab' mein Sach auf Nichts gestellt, juchheh!

       Und mir gehört die ganze Welt, juchheh!

      Goethe muss wohl manchmal ähnlich gefühlt haben.

      Ellen fühlte es jetzt, und das Herz wurde ihr an diesem schönen Morgen weiter.

      »Schmeckt es Ihnen, Mr. Starke?« rief sie hinüber.

      Kein verwundertes Aufblicken bei dieser ersten, so freundlichen Anrede. Er kannte so etwas nicht.

      »Danke, Miss. Mir schmeckt es, Gott sei Dank, immer. Wenn man das Leben von der einfachsten und dennoch hauptsächlichsten Seite betrachtet, so sind Hunger, Durst und ein tiefer Schlaf die schönsten Geschenke einer gütigen Natur, und jeder freie Mensch kann sie sich verdienen, muss sie sich durch eigene Anstrengung verschaffen, denn zu kaufen sind sie nicht für alles Geld der Welt.«

      Ellen war es, welche erstaunt aufblickte. Er sprach ganz aus ihrer Seele.

      »Schon allein, wenn man Ihnen beim Essen zusieht, muss man ja Appetit bekommen.«

      »HabenSie


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