Ein moderner Lederstrumpf. Robert Kraft
Читать онлайн книгу.aber werden wir im Hôtel unter einem Dache schlafen, jedenfalls stets Zimmer an Zimmer, dafür muss ich sorgen. Ich soll sie ja beschützen. Wir werden auch in mancher Hütte mit nur einem Raum übernachten. Oftmals werden wir am einsamen Lagerfeuer campiren. Haben Sie sich dies Alles auch recht überlegt, Sir Munro?«
Mit ausgestreckter Hand ging der junge Mann auf ihn zu.
»Eben durch diese offenen Worte haben Sie jedes Misstrauen beseitigt. Hier meine Hand.«
»Nein, ich nehme sie nicht. Sie wissen ja gar nicht, ob Sie Ihre Hand nicht einem Schurken geben. Ich nehme Ihre Hand nicht.«
Munro musste sie zurückziehen. Er stand einem Räthsel gegenüber.
»So erzählen Sie mir doch, wer Sie sind.«
»Das können Sie haben.«
Er ging an das Fenster und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, kreuzte die Arme über der breiten Brust.
»Was ist das?« fragte Munro, als er auf der Strasse ein Stimmengewirr vernahm.
»Ich lasse etwas meinen Rücken bewundern, Tag und Nacht stehen die kleinen und die grossen Kinder unten. Nun also: Harry Curt Starke. Geboren im Dorfe Nowawes bei Potsdam. Der Geburtstag interessirt Sie doch nicht. Jetzt bin ich 34 Jahre alt. Meine Mutter war Waschfrau, mein Vater vertrank ihren Verdienst. Ich war von je ein Taugenichts und ein Vagabund. So sagte man. Thatsächlich, wenn ich nur konnte, so lief ich hinter die Schule, um im Grunewald zu wilddieben. Mit Grashüpfern und Eidechsen fing ich an, mit Wildschweinen und Sechszehnendern hörte ich auf. Aber ich war damals noch ein Kind, dachte mir nichts dabei. Eines Tages, in meinem zwölften Jahre, wurde ich dabei erwischt, lief immer geradeaus, kam nach Hamburg, kroch in ein Schiff, auf hoher See tauchte ich wieder auf. Da war ich Schiffsjunge auf einem amerikanischen Schooner. Sie sehen, ich habe etwas früh angefangen. Der Capitain war eigentlich Walfischjäger, ging in New-York zum alten Beruf, nahm mich mit. Ich lernte etwas. Hatte schon damals Knochen und Schultern. Mit fünfzehn Jahren, in einem Alter, wenn sich andere Jungen erst nach einem Berufe umsehen, war ich schon erster Harpunier, liess in New-York auf meine Kunst bieten, harpunirte nicht unter 50 Dollar Fangprämie. Kurz, Geld verdiente ich wie Heu. Ich erwähne dies nur, damit Sie nicht glauben, ich bummelte in der Welt herum, weil ich nichts gelernt hätte. Ausserdem bin ich ein vermögender Mann. Nun, ich wollte noch mehr sehen als nur Eismeere und Schneefelder. So trieb ich mich in der ganzen Welt herum, bin ziemlich Alles gewesen, habe Kriege mitgemacht, mich auch sonst in allen Erdtheilen herumgeprügelt ....«
Der Erzähler brannte die ausgegangene Pfeife wieder an und fuhr in demselben ruhigen Tone fort:
»Einmal erinnerte ich mich, dass ich noch eine Heimath hatte, der ich Pflichten schuldig war. Ich ging nach Deutschland, stellte mich der Militärbehörde. Nein, man kannte mich nicht mehr. Heimathlos. — Heimathlos. — Ein schlimmes Wort. Ich hatte den Fluch selbst beschworen. Denn ein Fluch lastet auf mir. Rastlos wie der ewige Jude muss ich wandern, wandern, immer wandern. Ich muss, ich muss. Warum? Fragen Sie den Zigeuner, fragen Sie den Wandervogel nach dem Warum. Wenn mir die Kleider in Fetzen vom Leibe fallen, fühle ich mich am allerwohlsten. Keine Heimath, keine Hütte, keine Höhle, kein Nest. Kaum kann ich es noch unter einem Dache aushalten, in keinem Bette, dort auf der nackten Diele schlaf ich jede Nacht ..... —«
Forschend blickte Munro den Sprecher an. Vergebens. Keine Bewegung, keine Wehmuth, kein Zittern der Stimme, sie war unerschütterlich wie das broncene Gesicht.
Es war nur eine Pause im Zuhören, nicht im Erzählen gewesen.
».... und ich habe mich daran gewöhnt, habe den Fluch in Segen zu verwandeln gewusst, bin zufrieden. So wandere ich umher und suche das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, bin Führer von Jagd- und Forschungsexpeditionen, jetzt habe ich Reclame für eine Fahrradfabrik gemacht. Das heisst, sie macht Reclame mit mir, ich nicht für sie. — Das war in kurzen Worten ein langes Leben. — Vorbestraft bin ich, habe schon oft hinter Kerkermauern gesessen, bin aber immer wieder ausgebrochen. Sie verstehen wohl, da kommt es oft vor, dass Einen ein Pascha in's Loch wirft. Sonst, abgesehen von meiner frühesten Jugend, da ich wilddiebte, wie der Jugend gemauste Aepfel ja überhaupt am besten schmecken, habe ich noch nie betrogen oder gestohlen. Nun entscheiden Sie sich kurz, ob Sie mich engagiren wollen oder nicht.«
Gern hätte Munro noch mehr über diesen seltsamen Mann erfahren, zunächst aber musste er antworten.
»So engagire ich Sie hiermit zu Ihren mir gegebenen Bedingungen.«
»Gut. Ihr Wort genügt mir. Lassen Sie uns das Weitere besprechen.«
Starke stopfte sich eine neue Pfeife. Hinter Munro gähnte es, und wie er sich schnell umdrehte, sah er eben noch das furchtbare Gebiss in dem kleinen, aber sehr langen Kopfe des persischen Windhundes.
»Ein prachtvolles Exemplar.«
»Es ist Hassan el Seba, Sohn des Jussuf ben Nadir und der Fatime.«
Munro blickte sich um, ob auf dem Tische vielleicht das Bild eines Arabers lag, von welchem jener sprechen könnte.
»Ich meine diesen persischen Windhund.«
»Ich auch. Es ist aber kein persischer Windhund, auch kein russischer, wie man hier immer sagt, sondern es ist ein arabischer Antilopenjäger aus der lybischen Wüste.«
»So, so,« brummte Munro. »Ein herrliches Thier. Wieviel haben Sie dafür bezahlt? Oder wie sind Sie sonst dazu gekommen?«
Starke war zu ihm an das Sopha getreten.
»Diesen Hund kann man nicht kaufen, er lässt sich auch gar nicht verkaufen, nicht verschenken. Der Scheich der Beni-Surfs hat ihn mir zur Erziehung gegeben.«
Wieder durfte Munro von dieser Antwort denken, was er wollte. Er blickte den Hund an, und dieser ihn.
»Seit drei Jahren begleitet er mich,« fuhr Starke fort, »hat schon manche Meile zurückgelegt, auch jetzt wird er meinem Rade wieder folgen. Neulich, als ich Rad fuhr, hielt mich ein Schutzmann an, ob dies mein Hund sei, und ich musste wegen Thierquälerei eine ganz gehörige Strafe zahlen. Wer dieses englische Gesetz, dass ein Radfahrer keinen Hund mit sich nehmen darf, gemacht hat, das muss aber ein Hundekenner gewesen sein!«
»Kann ich ihn streicheln?«
»Beissen würde er nicht. Aber thun Sie es nicht, ich liebe es auch nicht, wenn mir ein Fremder am Körper herumgreift, Sie doch auch nicht.«
»Na, Mr. Starke,« lachte jetzt Munro, »bitte, nun erklären Sie mir endlich, was es mit diesem Wesen für eine Bewandtniss hat. Ist das auch wirklich ein Hund oder etwas Höherentwickeltes.«
»Wie ich Ihnen sagte, es ist ein arabischer Windhund. Ich sehe, Sie kennen die Verhältnisse nicht, Sir Munro, Sie sind Baronet. Es giebt keinen englischen Lord und Peer, keinen Fürsten in Europa, dessen Stammbaum so alt und so rein ist wie der von diesem Thiere; überhaupt wie alle dieser Wüstenhunde. Bekannter ist nur der Adel der arabischen Pferde geworden. Sie wissen, der Prophet Muhamed hatte fünf Stuten — Tayes, Manekeye, Koheye, Saklawy und Djulf — von diesen gingen die ersten Stammbäume ab; die dieser Hunde sind noch um viele Jahrhunderte älter, und sie haben wirkliche Stammbäume, auf Pergament gezeichnet, und wie Ihnen jeder Araber, wenn ihm Pferde seiner Heimath vorgeführt werden, sagen kann: das ist eine Koheye, das dort ist eineDjulf - so wird er sofort, wenn er diesen Hund hier sieht, sagen: das ist ein Enkel von Nadir el Seba - und er wird sich vor ihm bis an die Erde verneigen.«
Dies that Munro zwar nicht, aber er betrachtete den Hund, gegen dessen Adel der seine ein ganz frischbackener war, jetzt doch mit etwas mehr Ehrfurcht. Hassan der Löwe seufzte tief auf, warf ihm einen verächtlichen Blick zu, drehte sich herum und steckte die Schnauze zwischen die Hinterbeine — und das brachte der englische Baronet auch nicht fertig.
Ehe die Reise selbst besprochen wurde, fiel Munro noch etwas Anderes ein. Auch er wollte sich ja anschliessen, wollte immer von Station zu Station mit der Eisenbahn oder mit sonstigen Gelegenheiten vorausreisen, immer für Räder sorgen u. s. w., kurz, er wollte den Beiden die Wege ebenen, so viel er konnte, und hierbei würde Ellen auch seine ergebene Treue erkennen. Aber er wünschte